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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

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§. I. Die erste Revision, 1826-36.
lichen Bearbeitung des gemeinen deutschen Kriminalrechts wohl bekannt,
benutzt die Gutachten der Gerichtshöfe mit Umsicht und Geschick, und
findet in den für andere deutschen Staaten bestimmten Gesetzgebungen
einen Anhalt für seine Vorschläge. Besonders das Bayerische Straf-
gesetzbuch und die Entwürfe für Sachsen und Hannover hat er benutzt;
dagegen trifft ihn der Tadel, daß er das Französische oder, wie wir es
lieber nennen wollen, das Rheinische Recht zu wenig berücksichtigt, ja
mit einer gewissen Ungunst behandelt hat. -- Dieser Bode'sche Ent-
wurf nun wurde unter der Leitung des Justizministers Grafen v. Dan-
ckelman
in der Gesetz-Revisions-Kommission d) überarbeitet, und ist in
dieser neuen Gestalt als Manuscript gedruckt, unter dem Titel:

Entwurf des Straf-Gesetz-Buches für die Preußischen Staaten.
Erster Theil. Criminal-Straf-Gesetze. Berlin 1830. 4.

Schon der Titel des in 529 §§. abgefaßten Entwurfs weist auf einen
zweiten Theil hin, der die Polizei-Strafgesetze enthalten sollte; auch für
diesen hat Bode später auf Grund des Tit. 20. einen Entwurf mit
Motiven ausgearbeitet, als Manuscript gedruckt Berlin 1833. 4.

Das Revisionswerk war also im guten Gange; das zeigt sich
deutlich genug, wenn man den Entwurf von 1830 mit dem Titel 20.
Th. II. des Allgemeinen Landrechts vergleicht. Man sieht es diesem
Titel an, (er zählt 1577 §§.) wie wenig zur Zeit seiner Abfassung die
deutsche Gesetzgebung für höhere Aufgaben auf dem Gebiete des Straf-
rechts geübt war; man findet bald, daß die reformatorischen Bestrebun-
gen der neueren Kriminalisten, namentlich Feuerbach's noch keinen
Einfluß darauf hatten gewinnen können. Die Sprache ist breit und
schleppend; den Begriffsbestimmungen fehlt es häufig an Klarheit und
Schärfe, sie führen nicht zu festen Rechtsprincipien, sondern umspannen
eine Menge einzelner Vorschriften, in denen die möglichste Vollständig-
keit der Kasuistik angestrebt wird. Polizeiliche Rücksichten machen sich,
selbst in der Anordnung vorbeugender Maaßregeln, in Belehrungen und
Warnungen überall geltend; allgemeine Strafzumessungsgründe setzen
dem richterlichen Ermessen zu enge Schranken; die Todesstrafe, selbst
mit grausamen Schärfungen, kommt noch häufig vor; in dem System
der Freiheitsstrafen fehlt die Konsequenz, wenn hier überhaupt von ei-
nem Systeme die Rede sein kann, -- selbst die Terminologie ist nicht
immer gleich; die Persönlichkeit, der Stand der Verbrecher sind von ent-
schiedenem Einfluß auf die Anwendung der Strafen. -- Der Entwurf
von
1830 hat sich von diesen Mängeln durchweg freigehalten; er ist

d) Die Mitglieder dieser Kommission waren: der Director im Justizministerium
v. Kamptz, der Geh. Ober-Justizrath Sack, der Geh. Ober-Revisionsrath Fische-
nich
und der Kammergerichtsrath Bode.

§. I. Die erſte Reviſion, 1826-36.
lichen Bearbeitung des gemeinen deutſchen Kriminalrechts wohl bekannt,
benutzt die Gutachten der Gerichtshöfe mit Umſicht und Geſchick, und
findet in den für andere deutſchen Staaten beſtimmten Geſetzgebungen
einen Anhalt für ſeine Vorſchläge. Beſonders das Bayeriſche Straf-
geſetzbuch und die Entwürfe für Sachſen und Hannover hat er benutzt;
dagegen trifft ihn der Tadel, daß er das Franzöſiſche oder, wie wir es
lieber nennen wollen, das Rheiniſche Recht zu wenig berückſichtigt, ja
mit einer gewiſſen Ungunſt behandelt hat. — Dieſer Bode'ſche Ent-
wurf nun wurde unter der Leitung des Juſtizminiſters Grafen v. Dan-
ckelman
in der Geſetz-Reviſions-Kommiſſion d) überarbeitet, und iſt in
dieſer neuen Geſtalt als Manuſcript gedruckt, unter dem Titel:

Entwurf des Straf-Geſetz-Buches für die Preußiſchen Staaten.
Erſter Theil. Criminal-Straf-Geſetze. Berlin 1830. 4.

Schon der Titel des in 529 §§. abgefaßten Entwurfs weiſt auf einen
zweiten Theil hin, der die Polizei-Strafgeſetze enthalten ſollte; auch für
dieſen hat Bode ſpäter auf Grund des Tit. 20. einen Entwurf mit
Motiven ausgearbeitet, als Manuſcript gedruckt Berlin 1833. 4.

Das Reviſionswerk war alſo im guten Gange; das zeigt ſich
deutlich genug, wenn man den Entwurf von 1830 mit dem Titel 20.
Th. II. des Allgemeinen Landrechts vergleicht. Man ſieht es dieſem
Titel an, (er zählt 1577 §§.) wie wenig zur Zeit ſeiner Abfaſſung die
deutſche Geſetzgebung für höhere Aufgaben auf dem Gebiete des Straf-
rechts geübt war; man findet bald, daß die reformatoriſchen Beſtrebun-
gen der neueren Kriminaliſten, namentlich Feuerbach's noch keinen
Einfluß darauf hatten gewinnen können. Die Sprache iſt breit und
ſchleppend; den Begriffsbeſtimmungen fehlt es häufig an Klarheit und
Schärfe, ſie führen nicht zu feſten Rechtsprincipien, ſondern umſpannen
eine Menge einzelner Vorſchriften, in denen die möglichſte Vollſtändig-
keit der Kaſuiſtik angeſtrebt wird. Polizeiliche Rückſichten machen ſich,
ſelbſt in der Anordnung vorbeugender Maaßregeln, in Belehrungen und
Warnungen überall geltend; allgemeine Strafzumeſſungsgründe ſetzen
dem richterlichen Ermeſſen zu enge Schranken; die Todesſtrafe, ſelbſt
mit grauſamen Schärfungen, kommt noch häufig vor; in dem Syſtem
der Freiheitsſtrafen fehlt die Konſequenz, wenn hier überhaupt von ei-
nem Syſteme die Rede ſein kann, — ſelbſt die Terminologie iſt nicht
immer gleich; die Perſönlichkeit, der Stand der Verbrecher ſind von ent-
ſchiedenem Einfluß auf die Anwendung der Strafen. — Der Entwurf
von
1830 hat ſich von dieſen Mängeln durchweg freigehalten; er iſt

d) Die Mitglieder dieſer Kommiſſion waren: der Director im Juſtizminiſterium
v. Kamptz, der Geh. Ober-Juſtizrath Sack, der Geh. Ober-Reviſionsrath Fiſche-
nich
und der Kammergerichtsrath Bode.
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[5/0015] §. I. Die erſte Reviſion, 1826-36. lichen Bearbeitung des gemeinen deutſchen Kriminalrechts wohl bekannt, benutzt die Gutachten der Gerichtshöfe mit Umſicht und Geſchick, und findet in den für andere deutſchen Staaten beſtimmten Geſetzgebungen einen Anhalt für ſeine Vorſchläge. Beſonders das Bayeriſche Straf- geſetzbuch und die Entwürfe für Sachſen und Hannover hat er benutzt; dagegen trifft ihn der Tadel, daß er das Franzöſiſche oder, wie wir es lieber nennen wollen, das Rheiniſche Recht zu wenig berückſichtigt, ja mit einer gewiſſen Ungunſt behandelt hat. — Dieſer Bode'ſche Ent- wurf nun wurde unter der Leitung des Juſtizminiſters Grafen v. Dan- ckelman in der Geſetz-Reviſions-Kommiſſion d) überarbeitet, und iſt in dieſer neuen Geſtalt als Manuſcript gedruckt, unter dem Titel: Entwurf des Straf-Geſetz-Buches für die Preußiſchen Staaten. Erſter Theil. Criminal-Straf-Geſetze. Berlin 1830. 4. Schon der Titel des in 529 §§. abgefaßten Entwurfs weiſt auf einen zweiten Theil hin, der die Polizei-Strafgeſetze enthalten ſollte; auch für dieſen hat Bode ſpäter auf Grund des Tit. 20. einen Entwurf mit Motiven ausgearbeitet, als Manuſcript gedruckt Berlin 1833. 4. Das Reviſionswerk war alſo im guten Gange; das zeigt ſich deutlich genug, wenn man den Entwurf von 1830 mit dem Titel 20. Th. II. des Allgemeinen Landrechts vergleicht. Man ſieht es dieſem Titel an, (er zählt 1577 §§.) wie wenig zur Zeit ſeiner Abfaſſung die deutſche Geſetzgebung für höhere Aufgaben auf dem Gebiete des Straf- rechts geübt war; man findet bald, daß die reformatoriſchen Beſtrebun- gen der neueren Kriminaliſten, namentlich Feuerbach's noch keinen Einfluß darauf hatten gewinnen können. Die Sprache iſt breit und ſchleppend; den Begriffsbeſtimmungen fehlt es häufig an Klarheit und Schärfe, ſie führen nicht zu feſten Rechtsprincipien, ſondern umſpannen eine Menge einzelner Vorſchriften, in denen die möglichſte Vollſtändig- keit der Kaſuiſtik angeſtrebt wird. Polizeiliche Rückſichten machen ſich, ſelbſt in der Anordnung vorbeugender Maaßregeln, in Belehrungen und Warnungen überall geltend; allgemeine Strafzumeſſungsgründe ſetzen dem richterlichen Ermeſſen zu enge Schranken; die Todesſtrafe, ſelbſt mit grauſamen Schärfungen, kommt noch häufig vor; in dem Syſtem der Freiheitsſtrafen fehlt die Konſequenz, wenn hier überhaupt von ei- nem Syſteme die Rede ſein kann, — ſelbſt die Terminologie iſt nicht immer gleich; die Perſönlichkeit, der Stand der Verbrecher ſind von ent- ſchiedenem Einfluß auf die Anwendung der Strafen. — Der Entwurf von 1830 hat ſich von dieſen Mängeln durchweg freigehalten; er iſt d) Die Mitglieder dieſer Kommiſſion waren: der Director im Juſtizminiſterium v. Kamptz, der Geh. Ober-Juſtizrath Sack, der Geh. Ober-Reviſionsrath Fiſche- nich und der Kammergerichtsrath Bode.

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/15>, abgerufen am 19.04.2024.