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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

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Thl. I. Bestrafung d. Verbr. u. Vergehen im Allg. Tit. I. Von d. Strafen.

Mit Bezugnahme auf die hier aufgeführten einzelnen Fälle sind
nun folgende allgemeine Regeln aufzustellen.

I. Die Wirkung der zeitigen Untersagung der bürgerlichen Ehren-
rechte ist gleich, sie mag nun ausgesprochen werden müssen oder nur
können; der einzige Unterschied bezieht sich auf die Frage, wann sie statt
findet, und diese ist im Strafurtheile stets ausdrücklich zu entscheiden.
Die Untersagung auf Zeit tritt niemals von Rechtswegen ein, wodurch
sie sich von dem Verlust der bürgerlichen Ehre, der nothwendigen Folge
der Verurtheilung in die Zuchthausstrafe, wesentlich unterscheidet.

II. Für die Fälle, in denen die Untersagung nur zugelassen und
nicht vorgeschrieben ist, genügt es nicht, das richterliche Ermessen auf
das Princip zu verweisen, welches früher für die Aberkennung der Na-
tionalkokarde maaßgebend sein sollte. Ein Mangel an ehrliebender,
patriotischer Gesinnung kann bei Handlungen sich offenbaren, die unter
kein Strafgesetz gestellt sind, und wo die Kognition des Richters also
ganz ausgeschlossen bleibt. Man nehme die Verführung eines unbe-
scholtenen Mädchens, das älter als sechszehn Jahre ist, die Niederle-
gung eines Amtes in der Zeit der Gefahr u. s. w. Aber auch an sich
strafbare Handlungen, z. B. das Austreten aus den Königlichen Landen,
um sich dem Militairdienst zu entziehen (§. 110), Störungen des öf-
fentlichen Gottesdienstes (§. 136.) und andere, selbst unter den Ueber-
tretungen aufgeführten Fälle können vom Standpunkte des sittlichen
Urtheils aus, so verwerflich wie ein Verbrechen oder wie ein mit einer
Ehrenstrafe bedrohtes Vergehen erscheinen. Der Richter muß daher,
wenn er über die Hinzufügung der zeitigen Untersagung der bürgerlichen
Ehrenrechte zu erkennen hat, die besondere Beschaffenheit des einzelnen
Vergehens (oder im Fall mildernder Umstände des einzelnen Verbrechens)
gehörig erwägen, und nach der Art der Verübung und dem Grade der
dabei bewiesenen Verschuldung die Frage entscheiden, ob die immer
außerordentlich große Erschwerung, welche in der Ehrenstrafe liegt, be-
gründet ist. Er ist in einem solchen Fall ähnlich gestellt wie die Ge-
schworenen, wenn sie zu entscheiden haben, ob ein Landesverräther, ein
Mörder der bürgerlichen Ehre verlustig erklärt werden soll. Nur wenn
sich eine besondere Gemeinheit, Rohheit oder Böswilligkeit bei dem An-
geschuldigten herausstellt, wodurch das gewöhnliche Maaß der Straf-
barkeit des Verbrechens an sich, in seiner Handlung wesentlich gesteigert
worden, rechtfertigt sich eine solche Straferhöhung. Denn wenn der
Gesetzgeber nicht bloß die milderen Fälle, sondern auch das gewöhnliche
Maaß der Strafbarkeit mit der zeitigen Entziehung der Ehrenrechte hätte
belegen wollen, so würde diese dispositiv vorgeschrieben und etwa nur
für den Fall mildernder Umstände ausgeschlossen sein, wie dieß z. B.

Thl. I. Beſtrafung d. Verbr. u. Vergehen im Allg. Tit. I. Von d. Strafen.

Mit Bezugnahme auf die hier aufgeführten einzelnen Fälle ſind
nun folgende allgemeine Regeln aufzuſtellen.

I. Die Wirkung der zeitigen Unterſagung der bürgerlichen Ehren-
rechte iſt gleich, ſie mag nun ausgeſprochen werden müſſen oder nur
können; der einzige Unterſchied bezieht ſich auf die Frage, wann ſie ſtatt
findet, und dieſe iſt im Strafurtheile ſtets ausdrücklich zu entſcheiden.
Die Unterſagung auf Zeit tritt niemals von Rechtswegen ein, wodurch
ſie ſich von dem Verluſt der bürgerlichen Ehre, der nothwendigen Folge
der Verurtheilung in die Zuchthausſtrafe, weſentlich unterſcheidet.

II. Für die Fälle, in denen die Unterſagung nur zugelaſſen und
nicht vorgeſchrieben iſt, genügt es nicht, das richterliche Ermeſſen auf
das Princip zu verweiſen, welches früher für die Aberkennung der Na-
tionalkokarde maaßgebend ſein ſollte. Ein Mangel an ehrliebender,
patriotiſcher Geſinnung kann bei Handlungen ſich offenbaren, die unter
kein Strafgeſetz geſtellt ſind, und wo die Kognition des Richters alſo
ganz ausgeſchloſſen bleibt. Man nehme die Verführung eines unbe-
ſcholtenen Mädchens, das älter als ſechszehn Jahre iſt, die Niederle-
gung eines Amtes in der Zeit der Gefahr u. ſ. w. Aber auch an ſich
ſtrafbare Handlungen, z. B. das Austreten aus den Königlichen Landen,
um ſich dem Militairdienſt zu entziehen (§. 110), Störungen des öf-
fentlichen Gottesdienſtes (§. 136.) und andere, ſelbſt unter den Ueber-
tretungen aufgeführten Fälle können vom Standpunkte des ſittlichen
Urtheils aus, ſo verwerflich wie ein Verbrechen oder wie ein mit einer
Ehrenſtrafe bedrohtes Vergehen erſcheinen. Der Richter muß daher,
wenn er über die Hinzufügung der zeitigen Unterſagung der bürgerlichen
Ehrenrechte zu erkennen hat, die beſondere Beſchaffenheit des einzelnen
Vergehens (oder im Fall mildernder Umſtände des einzelnen Verbrechens)
gehörig erwägen, und nach der Art der Verübung und dem Grade der
dabei bewieſenen Verſchuldung die Frage entſcheiden, ob die immer
außerordentlich große Erſchwerung, welche in der Ehrenſtrafe liegt, be-
gründet iſt. Er iſt in einem ſolchen Fall ähnlich geſtellt wie die Ge-
ſchworenen, wenn ſie zu entſcheiden haben, ob ein Landesverräther, ein
Mörder der bürgerlichen Ehre verluſtig erklärt werden ſoll. Nur wenn
ſich eine beſondere Gemeinheit, Rohheit oder Böswilligkeit bei dem An-
geſchuldigten herausſtellt, wodurch das gewöhnliche Maaß der Straf-
barkeit des Verbrechens an ſich, in ſeiner Handlung weſentlich geſteigert
worden, rechtfertigt ſich eine ſolche Straferhöhung. Denn wenn der
Geſetzgeber nicht bloß die milderen Fälle, ſondern auch das gewöhnliche
Maaß der Strafbarkeit mit der zeitigen Entziehung der Ehrenrechte hätte
belegen wollen, ſo würde dieſe dispoſitiv vorgeſchrieben und etwa nur
für den Fall mildernder Umſtände ausgeſchloſſen ſein, wie dieß z. B.

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[126/0136] Thl. I. Beſtrafung d. Verbr. u. Vergehen im Allg. Tit. I. Von d. Strafen. Mit Bezugnahme auf die hier aufgeführten einzelnen Fälle ſind nun folgende allgemeine Regeln aufzuſtellen. I. Die Wirkung der zeitigen Unterſagung der bürgerlichen Ehren- rechte iſt gleich, ſie mag nun ausgeſprochen werden müſſen oder nur können; der einzige Unterſchied bezieht ſich auf die Frage, wann ſie ſtatt findet, und dieſe iſt im Strafurtheile ſtets ausdrücklich zu entſcheiden. Die Unterſagung auf Zeit tritt niemals von Rechtswegen ein, wodurch ſie ſich von dem Verluſt der bürgerlichen Ehre, der nothwendigen Folge der Verurtheilung in die Zuchthausſtrafe, weſentlich unterſcheidet. II. Für die Fälle, in denen die Unterſagung nur zugelaſſen und nicht vorgeſchrieben iſt, genügt es nicht, das richterliche Ermeſſen auf das Princip zu verweiſen, welches früher für die Aberkennung der Na- tionalkokarde maaßgebend ſein ſollte. Ein Mangel an ehrliebender, patriotiſcher Geſinnung kann bei Handlungen ſich offenbaren, die unter kein Strafgeſetz geſtellt ſind, und wo die Kognition des Richters alſo ganz ausgeſchloſſen bleibt. Man nehme die Verführung eines unbe- ſcholtenen Mädchens, das älter als ſechszehn Jahre iſt, die Niederle- gung eines Amtes in der Zeit der Gefahr u. ſ. w. Aber auch an ſich ſtrafbare Handlungen, z. B. das Austreten aus den Königlichen Landen, um ſich dem Militairdienſt zu entziehen (§. 110), Störungen des öf- fentlichen Gottesdienſtes (§. 136.) und andere, ſelbſt unter den Ueber- tretungen aufgeführten Fälle können vom Standpunkte des ſittlichen Urtheils aus, ſo verwerflich wie ein Verbrechen oder wie ein mit einer Ehrenſtrafe bedrohtes Vergehen erſcheinen. Der Richter muß daher, wenn er über die Hinzufügung der zeitigen Unterſagung der bürgerlichen Ehrenrechte zu erkennen hat, die beſondere Beſchaffenheit des einzelnen Vergehens (oder im Fall mildernder Umſtände des einzelnen Verbrechens) gehörig erwägen, und nach der Art der Verübung und dem Grade der dabei bewieſenen Verſchuldung die Frage entſcheiden, ob die immer außerordentlich große Erſchwerung, welche in der Ehrenſtrafe liegt, be- gründet iſt. Er iſt in einem ſolchen Fall ähnlich geſtellt wie die Ge- ſchworenen, wenn ſie zu entſcheiden haben, ob ein Landesverräther, ein Mörder der bürgerlichen Ehre verluſtig erklärt werden ſoll. Nur wenn ſich eine beſondere Gemeinheit, Rohheit oder Böswilligkeit bei dem An- geſchuldigten herausſtellt, wodurch das gewöhnliche Maaß der Straf- barkeit des Verbrechens an ſich, in ſeiner Handlung weſentlich geſteigert worden, rechtfertigt ſich eine ſolche Straferhöhung. Denn wenn der Geſetzgeber nicht bloß die milderen Fälle, ſondern auch das gewöhnliche Maaß der Strafbarkeit mit der zeitigen Entziehung der Ehrenrechte hätte belegen wollen, ſo würde dieſe dispoſitiv vorgeſchrieben und etwa nur für den Fall mildernder Umſtände ausgeſchloſſen ſein, wie dieß z. B.

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/136>, abgerufen am 19.04.2024.