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Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851.

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§. 12. Verlust der bürgerlichen Ehre.
sich um die eigenen Kinder handle und die obervormundschaftliche Be-
hörde oder der Familienrath die Genehmigung ertheile.
6) den Verlust des Rechts, Waffen zu tragen und die Unfähigkeit, in die
Armee einzutreten.

Der Verlust der bürgerlichen Ehre tritt mit dem Tage ein, an welchem das
Urtheil rechtskräftig wird.

Insofern nach den bestehenden besonderen Vorschriften, in Folge der Bege-
hung von strafbaren Handlungen, der Verlust noch anderer, als der vorste-
hend erwähnten Rechte, namentlich der Mitgliedschaft an kaufmännischen und
anderen Korporationen eintritt, behält es bei diesen Bestimmungen sein Be-
wenden.



Wenn man die Gründe aufsucht, welche die Lehre von der Ehr-
losigkeit und den verwandten Rechtsinstituten im gemeinen deutschen
Rechte verdunkelt und für die Praxis fast ganz bedeutungslos gemacht
haben; so ergiebt sich, daß die Jurisprudenz in dieser Lehre lange Zeit
das Verständniß von der Kontinuität der Rechtsentwicklung verloren
hatte, und daß auch die Gesetzgebung es nicht vermochte, eine Reform,
die hier nothwendig erschien, selbständig durchzuführen.

Zunächst kommt es darauf an, den Begriff der Ehre in ihrem
technischen Sinn festzustellen. Versteht man unter Ehre die Anerkennung
der persönlichen Achtbarkeit in der öffentlichen Meinung, wie der gute
Name und Ruf sie herbeiführen, so versetzt man dieselbe auf ein Gebiet,
welches der Einwirkung der Staatsgewalt immer nur in sehr beschränkter
Weise unterworfen ist. Es kann freilich die Schmälerung auch dieser
Ehre durch ein Straferkenntniß unmittelbar herbeigeführt werden, und
wenn das Gesetz mit der Volksüberzeugung in dem rechten Einklang
steht, so wird es sogar regelmäßig der Fall sein; aber nothwendig ist es
nicht, da die öffentliche Meinung sich ihre selbständige Entscheidung
nicht nehmen läßt. Auch macht sich dieselbe in ihrem Urtheile über die
Würdigkeit einzelner Personen nicht bloß da geltend, wo die Strafrechts-
pflege ihre Thätigkeit beginnt, sondern über deren Grenzen hinaus zieht
sie die Unsittlichkeit der Handlungsweise, auch wenn sie sich nicht in
einem Verbrechen offenbart hat, vor ihr Forum. Der Staat muß sich
aber im Allgemeinen darauf beschränken, die sittliche Verworfenheit,
welche in der Verübung einer strafbaren Handlung hervortritt, nach
dem Maaße der geläuterten Volksüberzeugung abzuwägen, und darnach
zu bestimmen, ob sie den Verbrecher unfähig machen soll, gewisse Rechte,
welche vom Staate gewährt werden und also auch entzogen werden
können, auszuüben. Der Inbegriff dieser Rechte macht die bürgerliche
Ehre
aus. m)


m) G. Beseler, System des gemeinen deutschen Privatrechts. I. §. 60 ff.
§. 12. Verluſt der bürgerlichen Ehre.
ſich um die eigenen Kinder handle und die obervormundſchaftliche Be-
hörde oder der Familienrath die Genehmigung ertheile.
6) den Verluſt des Rechts, Waffen zu tragen und die Unfähigkeit, in die
Armee einzutreten.

Der Verluſt der bürgerlichen Ehre tritt mit dem Tage ein, an welchem das
Urtheil rechtskräftig wird.

Inſofern nach den beſtehenden beſonderen Vorſchriften, in Folge der Bege-
hung von ſtrafbaren Handlungen, der Verluſt noch anderer, als der vorſte-
hend erwähnten Rechte, namentlich der Mitgliedſchaft an kaufmänniſchen und
anderen Korporationen eintritt, behält es bei dieſen Beſtimmungen ſein Be-
wenden.



Wenn man die Gründe aufſucht, welche die Lehre von der Ehr-
loſigkeit und den verwandten Rechtsinſtituten im gemeinen deutſchen
Rechte verdunkelt und für die Praxis faſt ganz bedeutungslos gemacht
haben; ſo ergiebt ſich, daß die Jurisprudenz in dieſer Lehre lange Zeit
das Verſtändniß von der Kontinuität der Rechtsentwicklung verloren
hatte, und daß auch die Geſetzgebung es nicht vermochte, eine Reform,
die hier nothwendig erſchien, ſelbſtändig durchzuführen.

Zunächſt kommt es darauf an, den Begriff der Ehre in ihrem
techniſchen Sinn feſtzuſtellen. Verſteht man unter Ehre die Anerkennung
der perſönlichen Achtbarkeit in der öffentlichen Meinung, wie der gute
Name und Ruf ſie herbeiführen, ſo verſetzt man dieſelbe auf ein Gebiet,
welches der Einwirkung der Staatsgewalt immer nur in ſehr beſchränkter
Weiſe unterworfen iſt. Es kann freilich die Schmälerung auch dieſer
Ehre durch ein Straferkenntniß unmittelbar herbeigeführt werden, und
wenn das Geſetz mit der Volksüberzeugung in dem rechten Einklang
ſteht, ſo wird es ſogar regelmäßig der Fall ſein; aber nothwendig iſt es
nicht, da die öffentliche Meinung ſich ihre ſelbſtändige Entſcheidung
nicht nehmen läßt. Auch macht ſich dieſelbe in ihrem Urtheile über die
Würdigkeit einzelner Perſonen nicht bloß da geltend, wo die Strafrechts-
pflege ihre Thätigkeit beginnt, ſondern über deren Grenzen hinaus zieht
ſie die Unſittlichkeit der Handlungsweiſe, auch wenn ſie ſich nicht in
einem Verbrechen offenbart hat, vor ihr Forum. Der Staat muß ſich
aber im Allgemeinen darauf beſchränken, die ſittliche Verworfenheit,
welche in der Verübung einer ſtrafbaren Handlung hervortritt, nach
dem Maaße der geläuterten Volksüberzeugung abzuwägen, und darnach
zu beſtimmen, ob ſie den Verbrecher unfähig machen ſoll, gewiſſe Rechte,
welche vom Staate gewährt werden und alſo auch entzogen werden
können, auszuüben. Der Inbegriff dieſer Rechte macht die bürgerliche
Ehre
aus. m)


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[103/0113] §. 12. Verluſt der bürgerlichen Ehre. ſich um die eigenen Kinder handle und die obervormundſchaftliche Be- hörde oder der Familienrath die Genehmigung ertheile. 6) den Verluſt des Rechts, Waffen zu tragen und die Unfähigkeit, in die Armee einzutreten. Der Verluſt der bürgerlichen Ehre tritt mit dem Tage ein, an welchem das Urtheil rechtskräftig wird. Inſofern nach den beſtehenden beſonderen Vorſchriften, in Folge der Bege- hung von ſtrafbaren Handlungen, der Verluſt noch anderer, als der vorſte- hend erwähnten Rechte, namentlich der Mitgliedſchaft an kaufmänniſchen und anderen Korporationen eintritt, behält es bei dieſen Beſtimmungen ſein Be- wenden. Wenn man die Gründe aufſucht, welche die Lehre von der Ehr- loſigkeit und den verwandten Rechtsinſtituten im gemeinen deutſchen Rechte verdunkelt und für die Praxis faſt ganz bedeutungslos gemacht haben; ſo ergiebt ſich, daß die Jurisprudenz in dieſer Lehre lange Zeit das Verſtändniß von der Kontinuität der Rechtsentwicklung verloren hatte, und daß auch die Geſetzgebung es nicht vermochte, eine Reform, die hier nothwendig erſchien, ſelbſtändig durchzuführen. Zunächſt kommt es darauf an, den Begriff der Ehre in ihrem techniſchen Sinn feſtzuſtellen. Verſteht man unter Ehre die Anerkennung der perſönlichen Achtbarkeit in der öffentlichen Meinung, wie der gute Name und Ruf ſie herbeiführen, ſo verſetzt man dieſelbe auf ein Gebiet, welches der Einwirkung der Staatsgewalt immer nur in ſehr beſchränkter Weiſe unterworfen iſt. Es kann freilich die Schmälerung auch dieſer Ehre durch ein Straferkenntniß unmittelbar herbeigeführt werden, und wenn das Geſetz mit der Volksüberzeugung in dem rechten Einklang ſteht, ſo wird es ſogar regelmäßig der Fall ſein; aber nothwendig iſt es nicht, da die öffentliche Meinung ſich ihre ſelbſtändige Entſcheidung nicht nehmen läßt. Auch macht ſich dieſelbe in ihrem Urtheile über die Würdigkeit einzelner Perſonen nicht bloß da geltend, wo die Strafrechts- pflege ihre Thätigkeit beginnt, ſondern über deren Grenzen hinaus zieht ſie die Unſittlichkeit der Handlungsweiſe, auch wenn ſie ſich nicht in einem Verbrechen offenbart hat, vor ihr Forum. Der Staat muß ſich aber im Allgemeinen darauf beſchränken, die ſittliche Verworfenheit, welche in der Verübung einer ſtrafbaren Handlung hervortritt, nach dem Maaße der geläuterten Volksüberzeugung abzuwägen, und darnach zu beſtimmen, ob ſie den Verbrecher unfähig machen ſoll, gewiſſe Rechte, welche vom Staate gewährt werden und alſo auch entzogen werden können, auszuüben. Der Inbegriff dieſer Rechte macht die bürgerliche Ehre aus. m) m) G. Beſeler, Syſtem des gemeinen deutſchen Privatrechts. I. §. 60 ff.

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Zitationshilfe: Beseler, Georg: Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten. Leipzig, 1851, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beseler_kommentar_1851/113>, abgerufen am 28.03.2024.