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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Das Alpengebäude.
mit agrikolen Distrikten, die Gegend wird farbiger, formiger, Bäche
und Flüsse nehmen einen beschleunigteren Lauf an und sammeln sich in
tief ausgespülten Seebecken an der Vorberge Fuß. Noch bekränzen
die rundlich weichschwellenden Formen der Laubhölzer Anhöhe und
Niederung; weithin sind die Halden mit zerstreuten Wohnungen
übersäet; Dörfer und Städte bergen rasch pulsirendes, hastig
drängendes, nach Erwerb ringendes Leben. Es ist das Gebiet
der Molasse-Gebilde, die nach den eingeschlossenen Muscheln
sich theils als Niederschläge aus salzigen Meeresgewässern, theils
als solche aus süßen Wassern ausweisen und meist als blaugraue
Sandsteine, Mergel- und Lettenschichten, Süßwasserkalk, Muschel¬
sandstein und große Konglomerat-Bänke -- Nagelfluh genannt --
darstellen. Die Berge dieser Zone zeigen nur rundliche, hügelhafte
Formen; in der Schweiz wachsen diese bei etwas entschiedeneren
Linien bis zu einer Hebung von 6000 Fuß an (Speer, Rigi,
Napf).

Abermals ein Schritt weiter dem Gebirge zu und in dasselbe
schon eintretend, gelangen wir nach Salzburg, Sonthofen, in das
österreichische Vorarlberg, in die Kantone Appenzell, St. Gallen,
Glarus, Schwyz, nach Sarnen im Kanton Unterwalden, an den
schönen Thuner-See. Der Ackerbau verläßt uns immer mehr, die
Landschaft wird entschieden alpenhaft, der Laubwald zieht sich zurück
und Nadelholzforste treten an dessen Stelle; Viehzucht beginnt die
vorherrschende Beschäftigung des Volkes zu werden. Die leuchtend
grellen Farben rother Ziegeldächer und weißbetünchter Häuser ver¬
schwinden allgemach; silbergrau auf grün, gebleichte Schindeldächer
auf den Holzhäusern in Mitte schwellender Matten treten als
charakteristische Momente hervor. Die Molasse-Gesteine verschwin¬
den; ein anderes Gebilde schiebt sich unter denselben hervor, das
also älter ist und sich durch das ganze mittägige Europa, tief
nach Afrika und Asien hinein verbreitet zeigt. Es ist das der
Eocen-Bildungen, welche, in Flysch- und Nummuliten¬

Das Alpengebäude.
mit agrikolen Diſtrikten, die Gegend wird farbiger, formiger, Bäche
und Flüſſe nehmen einen beſchleunigteren Lauf an und ſammeln ſich in
tief ausgeſpülten Seebecken an der Vorberge Fuß. Noch bekränzen
die rundlich weichſchwellenden Formen der Laubhölzer Anhöhe und
Niederung; weithin ſind die Halden mit zerſtreuten Wohnungen
überſäet; Dörfer und Städte bergen raſch pulſirendes, haſtig
drängendes, nach Erwerb ringendes Leben. Es iſt das Gebiet
der Molaſſe-Gebilde, die nach den eingeſchloſſenen Muſcheln
ſich theils als Niederſchläge aus ſalzigen Meeresgewäſſern, theils
als ſolche aus ſüßen Waſſern ausweiſen und meiſt als blaugraue
Sandſteine, Mergel- und Lettenſchichten, Süßwaſſerkalk, Muſchel¬
ſandſtein und große Konglomerat-Bänke — Nagelfluh genannt —
darſtellen. Die Berge dieſer Zone zeigen nur rundliche, hügelhafte
Formen; in der Schweiz wachſen dieſe bei etwas entſchiedeneren
Linien bis zu einer Hebung von 6000 Fuß an (Speer, Rigi,
Napf).

Abermals ein Schritt weiter dem Gebirge zu und in daſſelbe
ſchon eintretend, gelangen wir nach Salzburg, Sonthofen, in das
öſterreichiſche Vorarlberg, in die Kantone Appenzell, St. Gallen,
Glarus, Schwyz, nach Sarnen im Kanton Unterwalden, an den
ſchönen Thuner-See. Der Ackerbau verläßt uns immer mehr, die
Landſchaft wird entſchieden alpenhaft, der Laubwald zieht ſich zurück
und Nadelholzforſte treten an deſſen Stelle; Viehzucht beginnt die
vorherrſchende Beſchäftigung des Volkes zu werden. Die leuchtend
grellen Farben rother Ziegeldächer und weißbetünchter Häuſer ver¬
ſchwinden allgemach; ſilbergrau auf grün, gebleichte Schindeldächer
auf den Holzhäuſern in Mitte ſchwellender Matten treten als
charakteriſtiſche Momente hervor. Die Molaſſe-Geſteine verſchwin¬
den; ein anderes Gebilde ſchiebt ſich unter denſelben hervor, das
alſo älter iſt und ſich durch das ganze mittägige Europa, tief
nach Afrika und Aſien hinein verbreitet zeigt. Es iſt das der
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[8/0026] Das Alpengebäude. mit agrikolen Diſtrikten, die Gegend wird farbiger, formiger, Bäche und Flüſſe nehmen einen beſchleunigteren Lauf an und ſammeln ſich in tief ausgeſpülten Seebecken an der Vorberge Fuß. Noch bekränzen die rundlich weichſchwellenden Formen der Laubhölzer Anhöhe und Niederung; weithin ſind die Halden mit zerſtreuten Wohnungen überſäet; Dörfer und Städte bergen raſch pulſirendes, haſtig drängendes, nach Erwerb ringendes Leben. Es iſt das Gebiet der Molaſſe-Gebilde, die nach den eingeſchloſſenen Muſcheln ſich theils als Niederſchläge aus ſalzigen Meeresgewäſſern, theils als ſolche aus ſüßen Waſſern ausweiſen und meiſt als blaugraue Sandſteine, Mergel- und Lettenſchichten, Süßwaſſerkalk, Muſchel¬ ſandſtein und große Konglomerat-Bänke — Nagelfluh genannt — darſtellen. Die Berge dieſer Zone zeigen nur rundliche, hügelhafte Formen; in der Schweiz wachſen dieſe bei etwas entſchiedeneren Linien bis zu einer Hebung von 6000 Fuß an (Speer, Rigi, Napf). Abermals ein Schritt weiter dem Gebirge zu und in daſſelbe ſchon eintretend, gelangen wir nach Salzburg, Sonthofen, in das öſterreichiſche Vorarlberg, in die Kantone Appenzell, St. Gallen, Glarus, Schwyz, nach Sarnen im Kanton Unterwalden, an den ſchönen Thuner-See. Der Ackerbau verläßt uns immer mehr, die Landſchaft wird entſchieden alpenhaft, der Laubwald zieht ſich zurück und Nadelholzforſte treten an deſſen Stelle; Viehzucht beginnt die vorherrſchende Beſchäftigung des Volkes zu werden. Die leuchtend grellen Farben rother Ziegeldächer und weißbetünchter Häuſer ver¬ ſchwinden allgemach; ſilbergrau auf grün, gebleichte Schindeldächer auf den Holzhäuſern in Mitte ſchwellender Matten treten als charakteriſtiſche Momente hervor. Die Molaſſe-Geſteine verſchwin¬ den; ein anderes Gebilde ſchiebt ſich unter denſelben hervor, das alſo älter iſt und ſich durch das ganze mittägige Europa, tief nach Afrika und Aſien hinein verbreitet zeigt. Es iſt das der Eocen-Bildungen, welche, in Flyſch- und Nummuliten¬

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/26>, abgerufen am 29.03.2024.