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Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871.

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Das Alpengebäude.
Schöpfungstage in den Felsenblättern dieser versteinerten Welt¬
chronik nach und erforsche ihren Existenzzweck; -- und die großen
todten Massen werden sich beleben, es wird sich Dir ein Blick
erschließen in den unendlichen Kreislauf der Ewigkeit.

Gedankenvoll, verstandvoll ist die Schöpfung,
Ein großes Herz, das Wärm' in alle Adern,
In alle Nerven Gluth der Fühlung gießt
Und sich in Allem fühlet.
Herder.


In weit gestrecktem Halbbogen durchziehen die Alpen das
südliche Europa, ein Glied jenes kolossalen Erdrippen-Baues,
der den, ins mittelländische Meer hinausragenden Landzungen
der Iberischen, Italienischen und Osmanisch-Hellenischen Halbinseln
als Pyrenäen, Apennin, Tschar-Dagh und Hämus ihren inneren
Halt giebt. Sie sind Resultate und Gebilde viel hunderttausend¬
jähriger Krystallisationen und Niederschläge aus einstigen Ur¬
meeren. In verschiedenen Epochen erfolgten dann Hebungen und
Senkungen, abermalige Ueberfluthungen und neue Ablagerungen,
und endlich durchbrachen feuerflüssige Produkte aus den Schmelz¬
öfen des Erdinneren diese vielfach übereinander lagernden Schichten,

Wer Zeuge jener Umwälzungen und Ausbrüche hätte sein kön¬
nen, als in den Central-Alpen der eigentlichste, innere Kern des
riesigen Berggebäudes, die Granite, Gneise und krystallinischen
Schiefer aus den Tiefen der Erdrinde emporgedrängt, von den
strahlend aufschießenden Massen der hornblendartigen Gestein¬
durchbohrt und in Fächerform aufgerichtet wurden? Wie ohne
mächtig möchten die Momente des wildesten Natur-Aufruhrs die
wir kennen, -- wie unbedeutend Erdbeben und Meeressturm,
Vulkan-Ausbruch und Felsensturz der Jetztzeit gegen jene Kata¬
strophen erscheinen, welche dem Alpengebäude seine gegenwärtige
Gestalt gaben? Wie hat unser Verstand so ganz und gar keinen

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Das Alpengebäude.
Schöpfungstage in den Felſenblättern dieſer verſteinerten Welt¬
chronik nach und erforſche ihren Exiſtenzzweck; — und die großen
todten Maſſen werden ſich beleben, es wird ſich Dir ein Blick
erſchließen in den unendlichen Kreislauf der Ewigkeit.

Gedankenvoll, verſtandvoll iſt die Schöpfung,
Ein großes Herz, das Wärm' in alle Adern,
In alle Nerven Gluth der Fühlung gießt
Und ſich in Allem fühlet.
Herder.


In weit geſtrecktem Halbbogen durchziehen die Alpen das
ſüdliche Europa, ein Glied jenes koloſſalen Erdrippen-Baues,
der den, ins mittelländiſche Meer hinausragenden Landzungen
der Iberiſchen, Italieniſchen und Osmaniſch-Helleniſchen Halbinſeln
als Pyrenäen, Apennin, Tſchar-Dagh und Hämus ihren inneren
Halt giebt. Sie ſind Reſultate und Gebilde viel hunderttauſend¬
jähriger Kryſtalliſationen und Niederſchläge aus einſtigen Ur¬
meeren. In verſchiedenen Epochen erfolgten dann Hebungen und
Senkungen, abermalige Ueberfluthungen und neue Ablagerungen,
und endlich durchbrachen feuerflüſſige Produkte aus den Schmelz¬
öfen des Erdinneren dieſe vielfach übereinander lagernden Schichten,

Wer Zeuge jener Umwälzungen und Ausbrüche hätte ſein kön¬
nen, als in den Central-Alpen der eigentlichſte, innere Kern des
rieſigen Berggebäudes, die Granite, Gneiſe und kryſtalliniſchen
Schiefer aus den Tiefen der Erdrinde emporgedrängt, von den
ſtrahlend aufſchießenden Maſſen der hornblendartigen Geſtein¬
durchbohrt und in Fächerform aufgerichtet wurden? Wie ohne
mächtig möchten die Momente des wildeſten Natur-Aufruhrs die
wir kennen, — wie unbedeutend Erdbeben und Meeresſturm,
Vulkan-Ausbruch und Felſenſturz der Jetztzeit gegen jene Kata¬
ſtrophen erſcheinen, welche dem Alpengebäude ſeine gegenwärtige
Geſtalt gaben? Wie hat unſer Verſtand ſo ganz und gar keinen

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[3/0021] Das Alpengebäude. Schöpfungstage in den Felſenblättern dieſer verſteinerten Welt¬ chronik nach und erforſche ihren Exiſtenzzweck; — und die großen todten Maſſen werden ſich beleben, es wird ſich Dir ein Blick erſchließen in den unendlichen Kreislauf der Ewigkeit. Gedankenvoll, verſtandvoll iſt die Schöpfung, Ein großes Herz, das Wärm' in alle Adern, In alle Nerven Gluth der Fühlung gießt Und ſich in Allem fühlet. Herder. In weit geſtrecktem Halbbogen durchziehen die Alpen das ſüdliche Europa, ein Glied jenes koloſſalen Erdrippen-Baues, der den, ins mittelländiſche Meer hinausragenden Landzungen der Iberiſchen, Italieniſchen und Osmaniſch-Helleniſchen Halbinſeln als Pyrenäen, Apennin, Tſchar-Dagh und Hämus ihren inneren Halt giebt. Sie ſind Reſultate und Gebilde viel hunderttauſend¬ jähriger Kryſtalliſationen und Niederſchläge aus einſtigen Ur¬ meeren. In verſchiedenen Epochen erfolgten dann Hebungen und Senkungen, abermalige Ueberfluthungen und neue Ablagerungen, und endlich durchbrachen feuerflüſſige Produkte aus den Schmelz¬ öfen des Erdinneren dieſe vielfach übereinander lagernden Schichten, Wer Zeuge jener Umwälzungen und Ausbrüche hätte ſein kön¬ nen, als in den Central-Alpen der eigentlichſte, innere Kern des rieſigen Berggebäudes, die Granite, Gneiſe und kryſtalliniſchen Schiefer aus den Tiefen der Erdrinde emporgedrängt, von den ſtrahlend aufſchießenden Maſſen der hornblendartigen Geſtein¬ durchbohrt und in Fächerform aufgerichtet wurden? Wie ohne mächtig möchten die Momente des wildeſten Natur-Aufruhrs die wir kennen, — wie unbedeutend Erdbeben und Meeresſturm, Vulkan-Ausbruch und Felſenſturz der Jetztzeit gegen jene Kata¬ ſtrophen erſcheinen, welche dem Alpengebäude ſeine gegenwärtige Geſtalt gaben? Wie hat unſer Verſtand ſo ganz und gar keinen 1*

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Zitationshilfe: Berlepsch, Hermann Alexander: Die Alpen in Natur- und Lebensbildern. Leipzig, 1871, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berlepsch_alpen_1861/21>, abgerufen am 25.04.2024.