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Martens, Eduard von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Zoologischer Teil. Erster Band. Berlin, 1876.

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Pico Ruivo. Ribeiro frio.
Als ich von unten nach dem zurückgelegten Wege emporsah, über-
kam mich erst ein leiser Schauer und dann grosse Zufriedenheit,
mit ganzen Gliedern unten zu sein. Hier dieselben Patellen und
Trochus, wie bei S. Vincente. Hohe, von der steilen Uferwand
abgelöste Felsenpfeiler, wie sie von Helgoland her den meisten
meiner Leser bekannt sein mögen, bezeugten, mit welcher Gewalt
und Ausdauer hier die Brandung arbeitet, und doch fanden sich
kleine zarte Fliegen (Dipteren) zahlreich gerade an den noch vom
Meerwasser feuchten Stellen der Felsen ein. Für die Rückkehr
fand sich ein bequemerer Weg.

Den nächsten Tag hatten Herr Wichura und ich für die
Besteigung des Pico Ruivo (6056 Fuss hoch nach der mir vor-
liegenden englischen Karte) bestimmt; trotz des nassen Lehmbodens
gingen wir rüstig aufwärts, bald war die Culturregion hinter uns,
Ulex und Spartium scoparium wurden vorherrschend, von ersterem
fast alle Exemplare blühend, von letzterer noch nicht; auch der
rothe Fingerhut ist hier, Laub- und Lebermoose in Menge, Tausend-
füsse und Kellerasseln nicht minder, und zu der einen Glasschnecke
(Vitrina Ruivensis) des vorigen Tages ist die zweite schönere Art
mit orangeroth verbrämtem Mantel (V. nitida Gould) hinzugekommen.
Aber endlich kommen wir in dichten Nebel, unser Führer, der sich
anfangs noch nach einem thurmähnlichen Felsblock, hom en pe,
Mann zu Fuss oder aufrechter Mann, genannt, orientirt hatte, kennt
sich gar nicht mehr aus, auf alle unsere Fragen ist nur das trostlose
no sai, ich weiss nicht, aus ihm herauszubekommen, und statt über
den grossen Corral nach Funchal, müssen wir so wieder nach Santa
Anna zurück, um am nächsten Tage nach Funchal zurückzukehren,
erst durch die schöne "kühle Schlucht" (Ribeiro frio), voll Lor-
beerbäume und romantischer Felsformen, die auch an Landschnecken
einige Ausbeute liefern, und dann über ein Plateau mit kurzem
Gras, hohem Moos (Polytrichum) und dem einheimischen Heidelbeer-
strauch, Vaccinium Madeirense, höher als der unserige, aber die
Beeren minder wohlschmeckend. In Funchal war unterdessen, zu
meiner traurigen Ueberraschung, Segelordre für die "Thetis" ein-
getroffen, und ich benutzte die zwei letzten Tage noch, um durch
einen Taucher, den mir der freundliche Herr Herschel aus Mann-
heim zugeführt, einige Meerthiere aufzufischen und die Bekanntschaft
des Herrn Johnson zu machen, der seit längerer Zeit sich speciell
mit den niederen Thieren dieser Insel beschäftigt und seitdem mehrere

Pico Ruivo. Ribeiro frio.
Als ich von unten nach dem zurückgelegten Wege emporsah, über-
kam mich erst ein leiser Schauer und dann grosse Zufriedenheit,
mit ganzen Gliedern unten zu sein. Hier dieselben Patellen und
Trochus, wie bei S. Vincente. Hohe, von der steilen Uferwand
abgelöste Felsenpfeiler, wie sie von Helgoland her den meisten
meiner Leser bekannt sein mögen, bezeugten, mit welcher Gewalt
und Ausdauer hier die Brandung arbeitet, und doch fanden sich
kleine zarte Fliegen (Dipteren) zahlreich gerade an den noch vom
Meerwasser feuchten Stellen der Felsen ein. Für die Rückkehr
fand sich ein bequemerer Weg.

Den nächsten Tag hatten Herr Wichura und ich für die
Besteigung des Pico Ruivo (6056 Fuss hoch nach der mir vor-
liegenden englischen Karte) bestimmt; trotz des nassen Lehmbodens
gingen wir rüstig aufwärts, bald war die Culturregion hinter uns,
Ulex und Spartium scoparium wurden vorherrschend, von ersterem
fast alle Exemplare blühend, von letzterer noch nicht; auch der
rothe Fingerhut ist hier, Laub- und Lebermoose in Menge, Tausend-
füsse und Kellerasseln nicht minder, und zu der einen Glasschnecke
(Vitrina Ruivensis) des vorigen Tages ist die zweite schönere Art
mit orangeroth verbrämtem Mantel (V. nitida Gould) hinzugekommen.
Aber endlich kommen wir in dichten Nebel, unser Führer, der sich
anfangs noch nach einem thurmähnlichen Felsblock, hom en pe,
Mann zu Fuss oder aufrechter Mann, genannt, orientirt hatte, kennt
sich gar nicht mehr aus, auf alle unsere Fragen ist nur das trostlose
no sai, ich weiss nicht, aus ihm herauszubekommen, und statt über
den grossen Corral nach Funchal, müssen wir so wieder nach Santa
Anna zurück, um am nächsten Tage nach Funchal zurückzukehren,
erst durch die schöne »kühle Schlucht« (Ribeiro frio), voll Lor-
beerbäume und romantischer Felsformen, die auch an Landschnecken
einige Ausbeute liefern, und dann über ein Plateau mit kurzem
Gras, hohem Moos (Polytrichum) und dem einheimischen Heidelbeer-
strauch, Vaccinium Madeirense, höher als der unserige, aber die
Beeren minder wohlschmeckend. In Funchal war unterdessen, zu
meiner traurigen Ueberraschung, Segelordre für die »Thetis« ein-
getroffen, und ich benutzte die zwei letzten Tage noch, um durch
einen Taucher, den mir der freundliche Herr Herschel aus Mann-
heim zugeführt, einige Meerthiere aufzufischen und die Bekanntschaft
des Herrn Johnson zu machen, der seit längerer Zeit sich speciell
mit den niederen Thieren dieser Insel beschäftigt und seitdem mehrere

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[7/0025] Pico Ruivo. Ribeiro frio. Als ich von unten nach dem zurückgelegten Wege emporsah, über- kam mich erst ein leiser Schauer und dann grosse Zufriedenheit, mit ganzen Gliedern unten zu sein. Hier dieselben Patellen und Trochus, wie bei S. Vincente. Hohe, von der steilen Uferwand abgelöste Felsenpfeiler, wie sie von Helgoland her den meisten meiner Leser bekannt sein mögen, bezeugten, mit welcher Gewalt und Ausdauer hier die Brandung arbeitet, und doch fanden sich kleine zarte Fliegen (Dipteren) zahlreich gerade an den noch vom Meerwasser feuchten Stellen der Felsen ein. Für die Rückkehr fand sich ein bequemerer Weg. Den nächsten Tag hatten Herr Wichura und ich für die Besteigung des Pico Ruivo (6056 Fuss hoch nach der mir vor- liegenden englischen Karte) bestimmt; trotz des nassen Lehmbodens gingen wir rüstig aufwärts, bald war die Culturregion hinter uns, Ulex und Spartium scoparium wurden vorherrschend, von ersterem fast alle Exemplare blühend, von letzterer noch nicht; auch der rothe Fingerhut ist hier, Laub- und Lebermoose in Menge, Tausend- füsse und Kellerasseln nicht minder, und zu der einen Glasschnecke (Vitrina Ruivensis) des vorigen Tages ist die zweite schönere Art mit orangeroth verbrämtem Mantel (V. nitida Gould) hinzugekommen. Aber endlich kommen wir in dichten Nebel, unser Führer, der sich anfangs noch nach einem thurmähnlichen Felsblock, hom en pe, Mann zu Fuss oder aufrechter Mann, genannt, orientirt hatte, kennt sich gar nicht mehr aus, auf alle unsere Fragen ist nur das trostlose no sai, ich weiss nicht, aus ihm herauszubekommen, und statt über den grossen Corral nach Funchal, müssen wir so wieder nach Santa Anna zurück, um am nächsten Tage nach Funchal zurückzukehren, erst durch die schöne »kühle Schlucht« (Ribeiro frio), voll Lor- beerbäume und romantischer Felsformen, die auch an Landschnecken einige Ausbeute liefern, und dann über ein Plateau mit kurzem Gras, hohem Moos (Polytrichum) und dem einheimischen Heidelbeer- strauch, Vaccinium Madeirense, höher als der unserige, aber die Beeren minder wohlschmeckend. In Funchal war unterdessen, zu meiner traurigen Ueberraschung, Segelordre für die »Thetis« ein- getroffen, und ich benutzte die zwei letzten Tage noch, um durch einen Taucher, den mir der freundliche Herr Herschel aus Mann- heim zugeführt, einige Meerthiere aufzufischen und die Bekanntschaft des Herrn Johnson zu machen, der seit längerer Zeit sich speciell mit den niederen Thieren dieser Insel beschäftigt und seitdem mehrere

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Zitationshilfe: Martens, Eduard von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Zoologischer Teil. Erster Band. Berlin, 1876, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasienzoologie01_1876/25>, abgerufen am 29.03.2024.