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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

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XVI. Grosse Hitze. Krankheit.
in den heissesten Tagen starben davon durchschnittlich 8, -- vom
18. bis 24. Juli 50 Mann, -- ohne dass Epidemieen herrschten, nur
an den Folgen der Hitze. Der Zustand war unheimlich; die Meisten
beschlich das Uebel im Schlafe und führte in einer halben Stunde
zum Tode, ohne dass der Kranke zum Bewusstsein kam. Wer un-
thätig zu Hause blieb, war ebensowenig davor sicher, als wer sich
der Sonne aussetzte und körperlich anstrengte. Die Aerzte wussten
der Krankheit keinen Namen zu geben, und fanden in den seltensten
Fällen Mittel dagegen. Der beginnende Andrang des erhitzten Blutes
nach dem Gehirn machte schläfrig; dann wurden die Wallungen
heftiger und erstickten den Kranken, der unter hohlem Röcheln
verschied. Bei der Section pflegten die Aerzte den Körper in nor-
malem Zustande, nur alle zum Gehirn führenden Gefässe zum Platzen
mit Blut von höchster Temperatur gefüllt zu finden; die Leiche
blieb Stunden lang glühend heiss. Blutergiessungen, wie beim Gehirn-
schlag, wurden niemals beobachtet. Im ersten Stadium des Schwin-
dels nur halfen die kalten Uebergiessungen; nachher blieb jedes Mittel,
auch das Oeffnen der nach dem Gehirn führenden Schlagadern ohne
Wirkung, das die Aerzte in verzweifelten Fällen versuchten.

Graf Eulenburg verlor an diesem Uebel seinen Kammerdiener
Paul, einen braven zuverlässigen Mann, den wir alle schätzten. Er
war an Dyssenterie erkrankt, aber ganz davon hergestellt; wegen der
zurückgebliebenen Schwäche jeder Arbeit enthoben, pflegte er sich
im Hause herumzubewegen und früh zur Ruhe zu gehen. Am
21. Juli besuchte ihn Dr. Lucius noch um sieben Uhr Abends
in seinem Zimmer, fand ihn heiter und behaglich und merkte kein
beunruhigendes Symptom. Nach Tisch plauderten wir im Hofe; der
Attache Graf Eulenburg wollte gegen zehn aus des Gesandten
Räumen etwas holen und hörte in Pauls daran stossendem Zimmer
ein sonderbares Schnarchen. Dr. Lucius fand ihn röchelnd, mit
gebrochenem Auge. Wir hoben ihn aus dem Bett, brachten ihn in
die Luft und übergossen auf Dr. Lucius Anordnung den Kopf mit
kaltem Wasser. Aus dem nahen englischen Lazareth kamen mehrere
Aerzte herbei, Paul athmete kaum. Es war wenig nach zehn
als alle Zeichen des Lebens schwanden; aber der Körper blieb
glühend heiss bis zum folgenden Morgen. Er wurde unter dem
Geleit der ganzen Gesandtschaft auf dem Friedhof der englischen
Garnison an der südlichen Stadtmauer beigesetzt, wohin sich damals
täglich mehrere Leichenzüge bewegten.

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XVI. Grosse Hitze. Krankheit.
in den heissesten Tagen starben davon durchschnittlich 8, — vom
18. bis 24. Juli 50 Mann, — ohne dass Epidemieen herrschten, nur
an den Folgen der Hitze. Der Zustand war unheimlich; die Meisten
beschlich das Uebel im Schlafe und führte in einer halben Stunde
zum Tode, ohne dass der Kranke zum Bewusstsein kam. Wer un-
thätig zu Hause blieb, war ebensowenig davor sicher, als wer sich
der Sonne aussetzte und körperlich anstrengte. Die Aerzte wussten
der Krankheit keinen Namen zu geben, und fanden in den seltensten
Fällen Mittel dagegen. Der beginnende Andrang des erhitzten Blutes
nach dem Gehirn machte schläfrig; dann wurden die Wallungen
heftiger und erstickten den Kranken, der unter hohlem Röcheln
verschied. Bei der Section pflegten die Aerzte den Körper in nor-
malem Zustande, nur alle zum Gehirn führenden Gefässe zum Platzen
mit Blut von höchster Temperatur gefüllt zu finden; die Leiche
blieb Stunden lang glühend heiss. Blutergiessungen, wie beim Gehirn-
schlag, wurden niemals beobachtet. Im ersten Stadium des Schwin-
dels nur halfen die kalten Uebergiessungen; nachher blieb jedes Mittel,
auch das Oeffnen der nach dem Gehirn führenden Schlagadern ohne
Wirkung, das die Aerzte in verzweifelten Fällen versuchten.

Graf Eulenburg verlor an diesem Uebel seinen Kammerdiener
Paul, einen braven zuverlässigen Mann, den wir alle schätzten. Er
war an Dyssenterie erkrankt, aber ganz davon hergestellt; wegen der
zurückgebliebenen Schwäche jeder Arbeit enthoben, pflegte er sich
im Hause herumzubewegen und früh zur Ruhe zu gehen. Am
21. Juli besuchte ihn Dr. Lucius noch um sieben Uhr Abends
in seinem Zimmer, fand ihn heiter und behaglich und merkte kein
beunruhigendes Symptom. Nach Tisch plauderten wir im Hofe; der
Attaché Graf Eulenburg wollte gegen zehn aus des Gesandten
Räumen etwas holen und hörte in Pauls daran stossendem Zimmer
ein sonderbares Schnarchen. Dr. Lucius fand ihn röchelnd, mit
gebrochenem Auge. Wir hoben ihn aus dem Bett, brachten ihn in
die Luft und übergossen auf Dr. Lucius Anordnung den Kopf mit
kaltem Wasser. Aus dem nahen englischen Lazareth kamen mehrere
Aerzte herbei, Paul athmete kaum. Es war wenig nach zehn
als alle Zeichen des Lebens schwanden; aber der Körper blieb
glühend heiss bis zum folgenden Morgen. Er wurde unter dem
Geleit der ganzen Gesandtschaft auf dem Friedhof der englischen
Garnison an der südlichen Stadtmauer beigesetzt, wohin sich damals
täglich mehrere Leichenzüge bewegten.

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[67/0081] XVI. Grosse Hitze. Krankheit. in den heissesten Tagen starben davon durchschnittlich 8, — vom 18. bis 24. Juli 50 Mann, — ohne dass Epidemieen herrschten, nur an den Folgen der Hitze. Der Zustand war unheimlich; die Meisten beschlich das Uebel im Schlafe und führte in einer halben Stunde zum Tode, ohne dass der Kranke zum Bewusstsein kam. Wer un- thätig zu Hause blieb, war ebensowenig davor sicher, als wer sich der Sonne aussetzte und körperlich anstrengte. Die Aerzte wussten der Krankheit keinen Namen zu geben, und fanden in den seltensten Fällen Mittel dagegen. Der beginnende Andrang des erhitzten Blutes nach dem Gehirn machte schläfrig; dann wurden die Wallungen heftiger und erstickten den Kranken, der unter hohlem Röcheln verschied. Bei der Section pflegten die Aerzte den Körper in nor- malem Zustande, nur alle zum Gehirn führenden Gefässe zum Platzen mit Blut von höchster Temperatur gefüllt zu finden; die Leiche blieb Stunden lang glühend heiss. Blutergiessungen, wie beim Gehirn- schlag, wurden niemals beobachtet. Im ersten Stadium des Schwin- dels nur halfen die kalten Uebergiessungen; nachher blieb jedes Mittel, auch das Oeffnen der nach dem Gehirn führenden Schlagadern ohne Wirkung, das die Aerzte in verzweifelten Fällen versuchten. Graf Eulenburg verlor an diesem Uebel seinen Kammerdiener Paul, einen braven zuverlässigen Mann, den wir alle schätzten. Er war an Dyssenterie erkrankt, aber ganz davon hergestellt; wegen der zurückgebliebenen Schwäche jeder Arbeit enthoben, pflegte er sich im Hause herumzubewegen und früh zur Ruhe zu gehen. Am 21. Juli besuchte ihn Dr. Lucius noch um sieben Uhr Abends in seinem Zimmer, fand ihn heiter und behaglich und merkte kein beunruhigendes Symptom. Nach Tisch plauderten wir im Hofe; der Attaché Graf Eulenburg wollte gegen zehn aus des Gesandten Räumen etwas holen und hörte in Pauls daran stossendem Zimmer ein sonderbares Schnarchen. Dr. Lucius fand ihn röchelnd, mit gebrochenem Auge. Wir hoben ihn aus dem Bett, brachten ihn in die Luft und übergossen auf Dr. Lucius Anordnung den Kopf mit kaltem Wasser. Aus dem nahen englischen Lazareth kamen mehrere Aerzte herbei, Paul athmete kaum. Es war wenig nach zehn als alle Zeichen des Lebens schwanden; aber der Körper blieb glühend heiss bis zum folgenden Morgen. Er wurde unter dem Geleit der ganzen Gesandtschaft auf dem Friedhof der englischen Garnison an der südlichen Stadtmauer beigesetzt, wohin sich damals täglich mehrere Leichenzüge bewegten. 5*

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Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/81>, abgerufen am 18.04.2024.