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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

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Tsi-uen. XV.
gearbeitet, als der Eigenthümer erschien, ein ältlicher schmutziger
Herr von kranker Gesichtsfarbe, der als Abkömmling des Herrscher-
hauses das gelbe Gewand, den rothen Knopf ersten Ranges und
die Pfauenfeder trug. Tsi-uen war, wie man uns sagte, ein Nach-
komme des Kaisers Kan-gi und Bruder des Prinzen von Lian,
dem der Palast der englischen Gesandtschaft gehörte.10) Er begeg-
nete Herrn von Brandt mit süssester Freundlichkeit, besah und
lobte die neuen Einrichtungen, schlug allerlei Verbesserungen vor,
liess sich den Wein schmecken und steckte beim Abschied unge-
beten alle Cigarren ein, deren er habhaft werden konnte. Von
unserem Hause aber, das wussten wir, fuhr er zum Prinzen von
Kun, uns zu verklagen. Einmal traf ihn dort Graf Kleczkowski,
wie er sich heulend dem Prinzen zu Füssen warf: da hätten ihm
zwei Preussen sein Haus genommen, er verlange sein Recht u. s. w.
Das wiederholte er täglich; denn, so gern er das Geld ein-
strich, so bangte ihm doch um seinen Kopf; die kaiserliche Ver-
wandtschaft hätte ihn nicht gerettet. Nach dem Besuch am Nach-
mittag des 25. Juni reichte er der Regierung sogar eine Beschwerde
ein: von seinem Grundstück werde eine Thür nach dem der eng-
lischen Gesandtschaft gebrochen, was nimmermehr zu dulden sei
u. s. w. Auch das war gelogen. -- Herr Bruce, bei welchem der
Prinz über uns Klage führte, wies jede Bezüchtigung derbe zurück und
beleuchtete die Sinnlosigkeit der gegen uns erhobenen Anklagen.11)

10) Ob die Schreibart Tsi-uen genau dem Klang des chinesischen Namens
entspricht, kann der Verfasser in diesem Falle eben so wenig verbürgen, als bei
vielen anderen Namen. Sie entspricht dem Laut, den wir dem Ohr nach in unseren
Notizen niederschrieben, und unterscheidet sich von der Schreibart des Dr. Rennie
"Yih-kwan" nicht mehr, als die englische Schreibart vieler anderen chinesischen
Namen von dem Laut, den wir selbst heraushörten. -- Als Tsi-uen oder Yih-kwan
sein Grundstück im Herbst 1861 an eine englische Missionsgesellschaft verkaufte, --
welche daselbst ein Hospital einrichten liess, -- bezeichnete er sich im Kaufact als
"von der kaiserlichen Familie, Mandschu des weiss-gerandeten Banners, durch
(kaiserliche) Gnade Edler vom Rang eines Tu-kuo-tsian-tsun." -- Ueber die
Adelsverhältnisse unter den Tartaren konnte der Verfasser keine Klarheit gewinnen.
Die Chinesen haben überhaupt keinen Adel, wohl aber die Mongolen und die Tar-
taren. Unter letzteren soll es nur acht Familien geben, in denen der fürstliche
Rang erblich bliebe, während in allen anderen der Adel allmälig erlösche; die Ahnen
jener Familien hätten dem Kaiserhause bei der Thronerwerbung im 17. Jahrhundert
wesentliche Dienste geleistet.
11) Herr Bruce hatte auch seinen chinesischen Comprador vor den kaiserlichen Be-
hörden zu schützen, welche denselben wegen des durch Zuweisung der Handwerker und
den Ankauf von Hausrath uns geleisteten Beistandes belangen wollten. Dem Aermsten
bangte einige Tage um seinen Hals; der Gesandte legte sich aber wirksam ins Mittel.

Tši-uën. XV.
gearbeitet, als der Eigenthümer erschien, ein ältlicher schmutziger
Herr von kranker Gesichtsfarbe, der als Abkömmling des Herrscher-
hauses das gelbe Gewand, den rothen Knopf ersten Ranges und
die Pfauenfeder trug. Tši-uën war, wie man uns sagte, ein Nach-
komme des Kaisers Kaṅ-gi und Bruder des Prinzen von Liaṅ,
dem der Palast der englischen Gesandtschaft gehörte.10) Er begeg-
nete Herrn von Brandt mit süssester Freundlichkeit, besah und
lobte die neuen Einrichtungen, schlug allerlei Verbesserungen vor,
liess sich den Wein schmecken und steckte beim Abschied unge-
beten alle Cigarren ein, deren er habhaft werden konnte. Von
unserem Hause aber, das wussten wir, fuhr er zum Prinzen von
Kuṅ, uns zu verklagen. Einmal traf ihn dort Graf Kleczkowski,
wie er sich heulend dem Prinzen zu Füssen warf: da hätten ihm
zwei Preussen sein Haus genommen, er verlange sein Recht u. s. w.
Das wiederholte er täglich; denn, so gern er das Geld ein-
strich, so bangte ihm doch um seinen Kopf; die kaiserliche Ver-
wandtschaft hätte ihn nicht gerettet. Nach dem Besuch am Nach-
mittag des 25. Juni reichte er der Regierung sogar eine Beschwerde
ein: von seinem Grundstück werde eine Thür nach dem der eng-
lischen Gesandtschaft gebrochen, was nimmermehr zu dulden sei
u. s. w. Auch das war gelogen. — Herr Bruce, bei welchem der
Prinz über uns Klage führte, wies jede Bezüchtigung derbe zurück und
beleuchtete die Sinnlosigkeit der gegen uns erhobenen Anklagen.11)

10) Ob die Schreibart Tši-uën genau dem Klang des chinesischen Namens
entspricht, kann der Verfasser in diesem Falle eben so wenig verbürgen, als bei
vielen anderen Namen. Sie entspricht dem Laut, den wir dem Ohr nach in unseren
Notizen niederschrieben, und unterscheidet sich von der Schreibart des Dr. Rennie
»Yih-kwan« nicht mehr, als die englische Schreibart vieler anderen chinesischen
Namen von dem Laut, den wir selbst heraushörten. — Als Tši-uën oder Yih-kwan
sein Grundstück im Herbst 1861 an eine englische Missionsgesellschaft verkaufte, —
welche daselbst ein Hospital einrichten liess, — bezeichnete er sich im Kaufact als
»von der kaiserlichen Familie, Mandschu des weiss-gerandeten Banners, durch
(kaiserliche) Gnade Edler vom Rang eines Tu-kuo-tšiaṅ-tšun.« — Ueber die
Adelsverhältnisse unter den Tartaren konnte der Verfasser keine Klarheit gewinnen.
Die Chinesen haben überhaupt keinen Adel, wohl aber die Mongolen und die Tar-
taren. Unter letzteren soll es nur acht Familien geben, in denen der fürstliche
Rang erblich bliebe, während in allen anderen der Adel allmälig erlösche; die Ahnen
jener Familien hätten dem Kaiserhause bei der Thronerwerbung im 17. Jahrhundert
wesentliche Dienste geleistet.
11) Herr Bruce hatte auch seinen chinesischen Comprador vor den kaiserlichen Be-
hörden zu schützen, welche denselben wegen des durch Zuweisung der Handwerker und
den Ankauf von Hausrath uns geleisteten Beistandes belangen wollten. Dem Aermsten
bangte einige Tage um seinen Hals; der Gesandte legte sich aber wirksam ins Mittel.
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[56/0070] Tši-uën. XV. gearbeitet, als der Eigenthümer erschien, ein ältlicher schmutziger Herr von kranker Gesichtsfarbe, der als Abkömmling des Herrscher- hauses das gelbe Gewand, den rothen Knopf ersten Ranges und die Pfauenfeder trug. Tši-uën war, wie man uns sagte, ein Nach- komme des Kaisers Kaṅ-gi und Bruder des Prinzen von Liaṅ, dem der Palast der englischen Gesandtschaft gehörte. 10) Er begeg- nete Herrn von Brandt mit süssester Freundlichkeit, besah und lobte die neuen Einrichtungen, schlug allerlei Verbesserungen vor, liess sich den Wein schmecken und steckte beim Abschied unge- beten alle Cigarren ein, deren er habhaft werden konnte. Von unserem Hause aber, das wussten wir, fuhr er zum Prinzen von Kuṅ, uns zu verklagen. Einmal traf ihn dort Graf Kleczkowski, wie er sich heulend dem Prinzen zu Füssen warf: da hätten ihm zwei Preussen sein Haus genommen, er verlange sein Recht u. s. w. Das wiederholte er täglich; denn, so gern er das Geld ein- strich, so bangte ihm doch um seinen Kopf; die kaiserliche Ver- wandtschaft hätte ihn nicht gerettet. Nach dem Besuch am Nach- mittag des 25. Juni reichte er der Regierung sogar eine Beschwerde ein: von seinem Grundstück werde eine Thür nach dem der eng- lischen Gesandtschaft gebrochen, was nimmermehr zu dulden sei u. s. w. Auch das war gelogen. — Herr Bruce, bei welchem der Prinz über uns Klage führte, wies jede Bezüchtigung derbe zurück und beleuchtete die Sinnlosigkeit der gegen uns erhobenen Anklagen. 11) 10) Ob die Schreibart Tši-uën genau dem Klang des chinesischen Namens entspricht, kann der Verfasser in diesem Falle eben so wenig verbürgen, als bei vielen anderen Namen. Sie entspricht dem Laut, den wir dem Ohr nach in unseren Notizen niederschrieben, und unterscheidet sich von der Schreibart des Dr. Rennie »Yih-kwan« nicht mehr, als die englische Schreibart vieler anderen chinesischen Namen von dem Laut, den wir selbst heraushörten. — Als Tši-uën oder Yih-kwan sein Grundstück im Herbst 1861 an eine englische Missionsgesellschaft verkaufte, — welche daselbst ein Hospital einrichten liess, — bezeichnete er sich im Kaufact als »von der kaiserlichen Familie, Mandschu des weiss-gerandeten Banners, durch (kaiserliche) Gnade Edler vom Rang eines Tu-kuo-tšiaṅ-tšun.« — Ueber die Adelsverhältnisse unter den Tartaren konnte der Verfasser keine Klarheit gewinnen. Die Chinesen haben überhaupt keinen Adel, wohl aber die Mongolen und die Tar- taren. Unter letzteren soll es nur acht Familien geben, in denen der fürstliche Rang erblich bliebe, während in allen anderen der Adel allmälig erlösche; die Ahnen jener Familien hätten dem Kaiserhause bei der Thronerwerbung im 17. Jahrhundert wesentliche Dienste geleistet. 11) Herr Bruce hatte auch seinen chinesischen Comprador vor den kaiserlichen Be- hörden zu schützen, welche denselben wegen des durch Zuweisung der Handwerker und den Ankauf von Hausrath uns geleisteten Beistandes belangen wollten. Dem Aermsten bangte einige Tage um seinen Hals; der Gesandte legte sich aber wirksam ins Mittel.

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Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/70>, abgerufen am 19.04.2024.