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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

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Kaiserlicher Befehl. XV.
europäischen Grossmächte zu bestehen. Wenn nun auch andere
Staaten sich für Grossmächte ausgäben, wie solle man das Gegen-
theil beweisen? Die Commissare müssten neue Befehle einholen
und bäten den Grafen, sie durch eine Denkschrift über die Gross-
mächte und die aufzuschiebende Ausübung des Gesandtschafts-
rechtes ins Klare zu setzen. -- Am Schlusse der Unterredung sagte
Tsun-luen: "Wir wussten vor deiner Excellenz Ankunft wenig
von europäischen Angelegenheiten; nun wissen wir Manches und
sehen namentlich, dass der Gesandte ein sehr liebenswürdiger Herr
ist. Was wir sahen und hörten muss aber auch der Prinz von
Kun erfahren, und dann bleibt noch die Schwierigkeit, dass ge-
wisse Forderungen ganz unerfüllbar scheinen. Man kann unsere
Zugeständnisse einer Tasse Thee vergleichen, die wir halb gefüllt
anbieten; der Gesandte wünscht sie voll. Giebt es aber keinen
Thee mehr, so ist die Erfüllung des Wunsches eben unmöglich."
Graf Eulenburg dankte für die Schmeichelei und bemerkte scherzend
zu dem Gleichniss, in China könne es doch an Thee nicht fehlen.

Hatte nun auch der Gesandte aus dem wirren Hin- und
Herreden dieser Conferenz die Ueberzeugung gewonnen, dass die
Commissare nicht selbstständig handeln konnten und keiner folge-
rechten Schlüsse fähig waren, so erweckten doch ihr Wunsch, den
Prinzen über die Grossmächte zu unterrichten, und ihre sichtliche
Genugthuung über das vorgeschlagene Auskunftsmittel wieder die
Hoffnung, dass trotz aller Hindernisse auf diesem Wege das Ziel
zu erreichen sei. Diese Hoffnung war, wie sich später zeigte, ge-
gründet. Zum Unglück traf aber am 19. Juni ein Schreiben des
Grafen Kleczkowski ein, nach welchem trotz der Befürwortung
jenes Vorschlages durch den Prinzen von Kun am 16. Juni aus
Dzehol der gemessene Befehl gekommen war, Preussen nicht mehr
zu gewähren, als das bisher Gebotene. Nach dieser Mittheilung
glaubte Graf Eulenburg annehmen zu müssen, dass auch auf den
Bericht der Commissare und seine Denkschrift über die Grossmächte
ein ablehnender Bescheid erfolgen werde, und beschloss, als letztes
Mittel, nach Pe-kin zu gehen. Er war sich dabei vollkommen be-
wusst, dass dieser Schritt ein gewagter sei, dass er gewärtigen
musste, an den Thoren der Hauptstadt gewaltsam abgewiesen zu
werden. Denn ein Völkerrecht, welches die Gesandten schützt,
kennen die Chinesen nicht; nach ihren Begriffen haben nur die
Vertreter derjenigen Mächte ein Recht zum Aufenthalt in der

Kaiserlicher Befehl. XV.
europäischen Grossmächte zu bestehen. Wenn nun auch andere
Staaten sich für Grossmächte ausgäben, wie solle man das Gegen-
theil beweisen? Die Commissare müssten neue Befehle einholen
und bäten den Grafen, sie durch eine Denkschrift über die Gross-
mächte und die aufzuschiebende Ausübung des Gesandtschafts-
rechtes ins Klare zu setzen. — Am Schlusse der Unterredung sagte
Tsuṅ-luen: »Wir wussten vor deiner Excellenz Ankunft wenig
von europäischen Angelegenheiten; nun wissen wir Manches und
sehen namentlich, dass der Gesandte ein sehr liebenswürdiger Herr
ist. Was wir sahen und hörten muss aber auch der Prinz von
Kuṅ erfahren, und dann bleibt noch die Schwierigkeit, dass ge-
wisse Forderungen ganz unerfüllbar scheinen. Man kann unsere
Zugeständnisse einer Tasse Thee vergleichen, die wir halb gefüllt
anbieten; der Gesandte wünscht sie voll. Giebt es aber keinen
Thee mehr, so ist die Erfüllung des Wunsches eben unmöglich.«
Graf Eulenburg dankte für die Schmeichelei und bemerkte scherzend
zu dem Gleichniss, in China könne es doch an Thee nicht fehlen.

Hatte nun auch der Gesandte aus dem wirren Hin- und
Herreden dieser Conferenz die Ueberzeugung gewonnen, dass die
Commissare nicht selbstständig handeln konnten und keiner folge-
rechten Schlüsse fähig waren, so erweckten doch ihr Wunsch, den
Prinzen über die Grossmächte zu unterrichten, und ihre sichtliche
Genugthuung über das vorgeschlagene Auskunftsmittel wieder die
Hoffnung, dass trotz aller Hindernisse auf diesem Wege das Ziel
zu erreichen sei. Diese Hoffnung war, wie sich später zeigte, ge-
gründet. Zum Unglück traf aber am 19. Juni ein Schreiben des
Grafen Kleczkowski ein, nach welchem trotz der Befürwortung
jenes Vorschlages durch den Prinzen von Kuṅ am 16. Juni aus
Džehol der gemessene Befehl gekommen war, Preussen nicht mehr
zu gewähren, als das bisher Gebotene. Nach dieser Mittheilung
glaubte Graf Eulenburg annehmen zu müssen, dass auch auf den
Bericht der Commissare und seine Denkschrift über die Grossmächte
ein ablehnender Bescheid erfolgen werde, und beschloss, als letztes
Mittel, nach Pe-kiṅ zu gehen. Er war sich dabei vollkommen be-
wusst, dass dieser Schritt ein gewagter sei, dass er gewärtigen
musste, an den Thoren der Hauptstadt gewaltsam abgewiesen zu
werden. Denn ein Völkerrecht, welches die Gesandten schützt,
kennen die Chinesen nicht; nach ihren Begriffen haben nur die
Vertreter derjenigen Mächte ein Recht zum Aufenthalt in der

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[46/0060] Kaiserlicher Befehl. XV. europäischen Grossmächte zu bestehen. Wenn nun auch andere Staaten sich für Grossmächte ausgäben, wie solle man das Gegen- theil beweisen? Die Commissare müssten neue Befehle einholen und bäten den Grafen, sie durch eine Denkschrift über die Gross- mächte und die aufzuschiebende Ausübung des Gesandtschafts- rechtes ins Klare zu setzen. — Am Schlusse der Unterredung sagte Tsuṅ-luen: »Wir wussten vor deiner Excellenz Ankunft wenig von europäischen Angelegenheiten; nun wissen wir Manches und sehen namentlich, dass der Gesandte ein sehr liebenswürdiger Herr ist. Was wir sahen und hörten muss aber auch der Prinz von Kuṅ erfahren, und dann bleibt noch die Schwierigkeit, dass ge- wisse Forderungen ganz unerfüllbar scheinen. Man kann unsere Zugeständnisse einer Tasse Thee vergleichen, die wir halb gefüllt anbieten; der Gesandte wünscht sie voll. Giebt es aber keinen Thee mehr, so ist die Erfüllung des Wunsches eben unmöglich.« Graf Eulenburg dankte für die Schmeichelei und bemerkte scherzend zu dem Gleichniss, in China könne es doch an Thee nicht fehlen. Hatte nun auch der Gesandte aus dem wirren Hin- und Herreden dieser Conferenz die Ueberzeugung gewonnen, dass die Commissare nicht selbstständig handeln konnten und keiner folge- rechten Schlüsse fähig waren, so erweckten doch ihr Wunsch, den Prinzen über die Grossmächte zu unterrichten, und ihre sichtliche Genugthuung über das vorgeschlagene Auskunftsmittel wieder die Hoffnung, dass trotz aller Hindernisse auf diesem Wege das Ziel zu erreichen sei. Diese Hoffnung war, wie sich später zeigte, ge- gründet. Zum Unglück traf aber am 19. Juni ein Schreiben des Grafen Kleczkowski ein, nach welchem trotz der Befürwortung jenes Vorschlages durch den Prinzen von Kuṅ am 16. Juni aus Džehol der gemessene Befehl gekommen war, Preussen nicht mehr zu gewähren, als das bisher Gebotene. Nach dieser Mittheilung glaubte Graf Eulenburg annehmen zu müssen, dass auch auf den Bericht der Commissare und seine Denkschrift über die Grossmächte ein ablehnender Bescheid erfolgen werde, und beschloss, als letztes Mittel, nach Pe-kiṅ zu gehen. Er war sich dabei vollkommen be- wusst, dass dieser Schritt ein gewagter sei, dass er gewärtigen musste, an den Thoren der Hauptstadt gewaltsam abgewiesen zu werden. Denn ein Völkerrecht, welches die Gesandten schützt, kennen die Chinesen nicht; nach ihren Begriffen haben nur die Vertreter derjenigen Mächte ein Recht zum Aufenthalt in der

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Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/60>, abgerufen am 28.03.2024.