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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

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XV. Besprechung mit den Commissaren.
Jahren in Vertragsbeziehungen zu China, die Freundschaft mit
Russland dauere schon zweihundert Jahre, und jetzt erst sei ihnen
das Recht der Gesandtschaft in Pe-kin gewährt worden. Nun
komme Preussen und verlange dasselbe sofort. Die Commissare
hätten die Vollmachten des Gesandten nochmals geprüft und nichts
darin gefunden, was ihn zu jener Forderung berechtige; allein vom
Abschluss eines Freundschafts- und Handelsvertrages sei die Rede.
-- In diesem Schreiben brauchten die Commissare auffallender
Weise wieder das Zeichen für "Freundschaftsvertrag", das in den
früheren sorgfältig vermieden war: nur von "Handelsbestimmungen"
sprachen sie dort. Da sie um eine Unterredung baten, so empfing
Graf Eulenburg sie am 16. Juni zum Frühstück. Nachdem beide
Theile ihr Bedauern über die lange Unterbrechung des persönlichen
Verkehrs geäussert, kam der Vertrag zur Sprache. Der Gesandte
erklärte wieder, dass er nur auf Grundlage des Gesandtschafts-
rechtes unterhandeln werde, fügte jedoch hinzu, dass auf Gewährung
desselben nicht nothwendig die Absendung eines preussischen Ver-
treters an den Hof von Pe-kin sofort erfolgen müsse. Tsun-luen
hielt darauf lange Reden, deren Gedankengang ebenso naiv als
unlogisch war: man habe von Preussens Existenz gar nichts ge-
wusst; da aber die Gesandten in Pe-kin versicherten, es sei eine
bedeutende Macht, so habe der Kaiser befohlen, einen Handels-
vertrag mit ihm zu schliessen u. s. w.; die Commissare wollten
nicht sämmtliche ihnen vorgelegte Artikel verwerfen, sondern nur
einige Aenderungen treffen. Graf Eulenburg erwiederte, dass der
Vertrag gewiss ein Werk gegenseitiger Uebereinkunft sein müsse;
ohne Einigung über die wesentlichen Grundlagen könnten aber die
Berathungen zu keinem Ziele führen. -- Tsun-luen bat, die For-
derung des Gesandtschaftsrechtes fallen zu lassen, dann werde man
in wenig Tagen im Reinen sein. Er tischte die alten Argumente
auf und fügte ganz offen hinzu, England und Frankreich hätten
jenes Zugeständniss nur durch Kriege erzwungen. Nach einigem
Hin- und Herreden entwand ihm Graf Eulenburg die Aeusserung,
dass Preussen mit der Zeit das Gesandtschaftsrecht gewiss erlan-
gen werde, ja, dass es vielleicht jetzt schon zu gewähren sei, wenn
die Ausübung auf einige Zeit verschoben würde. Dann kamen wie-
der Bedenken, dass viele andere Staaten dasselbe verlangen möchten.
Der Gesandte verwies auf Preussens Stellung als Grossmacht und
hatte manche naive Frage über die Zahl, Natur und Bedeutung der

XV. Besprechung mit den Commissaren.
Jahren in Vertragsbeziehungen zu China, die Freundschaft mit
Russland dauere schon zweihundert Jahre, und jetzt erst sei ihnen
das Recht der Gesandtschaft in Pe-kiṅ gewährt worden. Nun
komme Preussen und verlange dasselbe sofort. Die Commissare
hätten die Vollmachten des Gesandten nochmals geprüft und nichts
darin gefunden, was ihn zu jener Forderung berechtige; allein vom
Abschluss eines Freundschafts- und Handelsvertrages sei die Rede.
— In diesem Schreiben brauchten die Commissare auffallender
Weise wieder das Zeichen für »Freundschaftsvertrag«, das in den
früheren sorgfältig vermieden war: nur von »Handelsbestimmungen«
sprachen sie dort. Da sie um eine Unterredung baten, so empfing
Graf Eulenburg sie am 16. Juni zum Frühstück. Nachdem beide
Theile ihr Bedauern über die lange Unterbrechung des persönlichen
Verkehrs geäussert, kam der Vertrag zur Sprache. Der Gesandte
erklärte wieder, dass er nur auf Grundlage des Gesandtschafts-
rechtes unterhandeln werde, fügte jedoch hinzu, dass auf Gewährung
desselben nicht nothwendig die Absendung eines preussischen Ver-
treters an den Hof von Pe-kiṅ sofort erfolgen müsse. Tsuṅ-luen
hielt darauf lange Reden, deren Gedankengang ebenso naiv als
unlogisch war: man habe von Preussens Existenz gar nichts ge-
wusst; da aber die Gesandten in Pe-kiṅ versicherten, es sei eine
bedeutende Macht, so habe der Kaiser befohlen, einen Handels-
vertrag mit ihm zu schliessen u. s. w.; die Commissare wollten
nicht sämmtliche ihnen vorgelegte Artikel verwerfen, sondern nur
einige Aenderungen treffen. Graf Eulenburg erwiederte, dass der
Vertrag gewiss ein Werk gegenseitiger Uebereinkunft sein müsse;
ohne Einigung über die wesentlichen Grundlagen könnten aber die
Berathungen zu keinem Ziele führen. — Tsuṅ-luen bat, die For-
derung des Gesandtschaftsrechtes fallen zu lassen, dann werde man
in wenig Tagen im Reinen sein. Er tischte die alten Argumente
auf und fügte ganz offen hinzu, England und Frankreich hätten
jenes Zugeständniss nur durch Kriege erzwungen. Nach einigem
Hin- und Herreden entwand ihm Graf Eulenburg die Aeusserung,
dass Preussen mit der Zeit das Gesandtschaftsrecht gewiss erlan-
gen werde, ja, dass es vielleicht jetzt schon zu gewähren sei, wenn
die Ausübung auf einige Zeit verschoben würde. Dann kamen wie-
der Bedenken, dass viele andere Staaten dasselbe verlangen möchten.
Der Gesandte verwies auf Preussens Stellung als Grossmacht und
hatte manche naive Frage über die Zahl, Natur und Bedeutung der

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[45/0059] XV. Besprechung mit den Commissaren. Jahren in Vertragsbeziehungen zu China, die Freundschaft mit Russland dauere schon zweihundert Jahre, und jetzt erst sei ihnen das Recht der Gesandtschaft in Pe-kiṅ gewährt worden. Nun komme Preussen und verlange dasselbe sofort. Die Commissare hätten die Vollmachten des Gesandten nochmals geprüft und nichts darin gefunden, was ihn zu jener Forderung berechtige; allein vom Abschluss eines Freundschafts- und Handelsvertrages sei die Rede. — In diesem Schreiben brauchten die Commissare auffallender Weise wieder das Zeichen für »Freundschaftsvertrag«, das in den früheren sorgfältig vermieden war: nur von »Handelsbestimmungen« sprachen sie dort. Da sie um eine Unterredung baten, so empfing Graf Eulenburg sie am 16. Juni zum Frühstück. Nachdem beide Theile ihr Bedauern über die lange Unterbrechung des persönlichen Verkehrs geäussert, kam der Vertrag zur Sprache. Der Gesandte erklärte wieder, dass er nur auf Grundlage des Gesandtschafts- rechtes unterhandeln werde, fügte jedoch hinzu, dass auf Gewährung desselben nicht nothwendig die Absendung eines preussischen Ver- treters an den Hof von Pe-kiṅ sofort erfolgen müsse. Tsuṅ-luen hielt darauf lange Reden, deren Gedankengang ebenso naiv als unlogisch war: man habe von Preussens Existenz gar nichts ge- wusst; da aber die Gesandten in Pe-kiṅ versicherten, es sei eine bedeutende Macht, so habe der Kaiser befohlen, einen Handels- vertrag mit ihm zu schliessen u. s. w.; die Commissare wollten nicht sämmtliche ihnen vorgelegte Artikel verwerfen, sondern nur einige Aenderungen treffen. Graf Eulenburg erwiederte, dass der Vertrag gewiss ein Werk gegenseitiger Uebereinkunft sein müsse; ohne Einigung über die wesentlichen Grundlagen könnten aber die Berathungen zu keinem Ziele führen. — Tsuṅ-luen bat, die For- derung des Gesandtschaftsrechtes fallen zu lassen, dann werde man in wenig Tagen im Reinen sein. Er tischte die alten Argumente auf und fügte ganz offen hinzu, England und Frankreich hätten jenes Zugeständniss nur durch Kriege erzwungen. Nach einigem Hin- und Herreden entwand ihm Graf Eulenburg die Aeusserung, dass Preussen mit der Zeit das Gesandtschaftsrecht gewiss erlan- gen werde, ja, dass es vielleicht jetzt schon zu gewähren sei, wenn die Ausübung auf einige Zeit verschoben würde. Dann kamen wie- der Bedenken, dass viele andere Staaten dasselbe verlangen möchten. Der Gesandte verwies auf Preussens Stellung als Grossmacht und hatte manche naive Frage über die Zahl, Natur und Bedeutung der

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Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/59>, abgerufen am 19.04.2024.