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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

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Schriftwechsel. XV.
bei den Erklärungen ihres Schreibens vom 30. Mai bleiben müssten:
nur Handelsbestimmungen könnten verabredet werden; der chine-
sische Text müsse gelten. Nicht China, sondern Preussen suche
den Vertrag und könne nicht verlangen, dass man sich an ein Do-
cument binde, dessen Sinn man nicht kenne. -- Da der Gesandte
nicht sogleich antwortete, so verarbeiteten sie dasselbe Thema in
einem neuen Schreiben am 7., dann abermals am 10. Juni: sein Schwei-
gen sei unerklärlich; die Verhandlungen möchten beginnen, sonst
trage Graf Eulenburg die Schuld am Scheitern seiner Wünsche.
Der Gesandte wollte jedoch den Bescheid aus Pe-kin abwarten.
Ein Schreiben des Herrn Bruce sagte ihm, dass der Kaiser allem
Anschein nach seine Empfindlichkeit über die Anwesenheit fremder
Gesandten in Pe-kin keineswegs verwunden habe, dass die Un-
sicherheit darüber alle Bewegungen der Diplomaten hemme. -- Graf
Eulenburg durfte vermuthen, dass zwischen Pe-kin und Dzehol
Verhandlungen schwebten, dass Prinz Kun seinen Anträgen im
Grunde nicht abgeneigt sei. Leicht konnte sein Erscheinen in
Pe-kin den Kaiser irritiren, der nach den letzten Nachrichten be-
denklich erkrankt war. Man vermuthete, dass seinem Oheim
Hu-wae, -- der Ende Mai von Dzehol nach Pe-kin kam, -- und
dem Prinzen von Kun die Regentschaft für den minderjährigen
Thronerben zufallen würde, eine Eventualität, die dem Abschluss
unseres Vertrages günstig gewesen wäre. -- Ueber die Stellung der
Gesandten von England und Frankreich erhielt Graf Eulenburg
einigen Aufschluss durch den Secretär des General-Gouverneurs
von Ost-Sibirien, Herrn von Bützow, der auf einer Urlaubsreise
nach Pe-kin kam und einen Abstecher nach Tien-tsin machte.
Aeusserungen desselben, welche seine Vermuthungen bestärkten,
und das lange Ausbleiben der Antwort des Grafen Kleczkowski
brachten den Gedanken, bald nach Pe-kin aufzubrechen, zu
grösserer Reife, während doch auch viele Gründe dagegen
sprachen. Es war ein Zustand der peinlichsten Unklarheit, ver-
schlimmert durch die Qualen des Klimas und gezwungene Un-
thätigkeit.

Am 11. Juni antwortete endlich Graf Eulenburg den Com-
missaren, dass er auf dem Rechte der Gesandtschaft fest bestehe,
auch wenn diese Forderung zu Abbruch der Verhandlungen führen
sollte. Nach einigen Tagen kam ein Schreiben in vorwurfsvollem
Ton: England, Frankreich und America ständen seit zwanzig

Schriftwechsel. XV.
bei den Erklärungen ihres Schreibens vom 30. Mai bleiben müssten:
nur Handelsbestimmungen könnten verabredet werden; der chine-
sische Text müsse gelten. Nicht China, sondern Preussen suche
den Vertrag und könne nicht verlangen, dass man sich an ein Do-
cument binde, dessen Sinn man nicht kenne. — Da der Gesandte
nicht sogleich antwortete, so verarbeiteten sie dasselbe Thema in
einem neuen Schreiben am 7., dann abermals am 10. Juni: sein Schwei-
gen sei unerklärlich; die Verhandlungen möchten beginnen, sonst
trage Graf Eulenburg die Schuld am Scheitern seiner Wünsche.
Der Gesandte wollte jedoch den Bescheid aus Pe-kiṅ abwarten.
Ein Schreiben des Herrn Bruce sagte ihm, dass der Kaiser allem
Anschein nach seine Empfindlichkeit über die Anwesenheit fremder
Gesandten in Pe-kiṅ keineswegs verwunden habe, dass die Un-
sicherheit darüber alle Bewegungen der Diplomaten hemme. — Graf
Eulenburg durfte vermuthen, dass zwischen Pe-kiṅ und Džehol
Verhandlungen schwebten, dass Prinz Kuṅ seinen Anträgen im
Grunde nicht abgeneigt sei. Leicht konnte sein Erscheinen in
Pe-kiṅ den Kaiser irritiren, der nach den letzten Nachrichten be-
denklich erkrankt war. Man vermuthete, dass seinem Oheim
Hu-wae, — der Ende Mai von Džehol nach Pe-kiṅ kam, — und
dem Prinzen von Kuṅ die Regentschaft für den minderjährigen
Thronerben zufallen würde, eine Eventualität, die dem Abschluss
unseres Vertrages günstig gewesen wäre. — Ueber die Stellung der
Gesandten von England und Frankreich erhielt Graf Eulenburg
einigen Aufschluss durch den Secretär des General-Gouverneurs
von Ost-Sibirien, Herrn von Bützow, der auf einer Urlaubsreise
nach Pe-kiṅ kam und einen Abstecher nach Tien-tsin machte.
Aeusserungen desselben, welche seine Vermuthungen bestärkten,
und das lange Ausbleiben der Antwort des Grafen Kleczkowski
brachten den Gedanken, bald nach Pe-kiṅ aufzubrechen, zu
grösserer Reife, während doch auch viele Gründe dagegen
sprachen. Es war ein Zustand der peinlichsten Unklarheit, ver-
schlimmert durch die Qualen des Klimas und gezwungene Un-
thätigkeit.

Am 11. Juni antwortete endlich Graf Eulenburg den Com-
missaren, dass er auf dem Rechte der Gesandtschaft fest bestehe,
auch wenn diese Forderung zu Abbruch der Verhandlungen führen
sollte. Nach einigen Tagen kam ein Schreiben in vorwurfsvollem
Ton: England, Frankreich und America ständen seit zwanzig

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[44/0058] Schriftwechsel. XV. bei den Erklärungen ihres Schreibens vom 30. Mai bleiben müssten: nur Handelsbestimmungen könnten verabredet werden; der chine- sische Text müsse gelten. Nicht China, sondern Preussen suche den Vertrag und könne nicht verlangen, dass man sich an ein Do- cument binde, dessen Sinn man nicht kenne. — Da der Gesandte nicht sogleich antwortete, so verarbeiteten sie dasselbe Thema in einem neuen Schreiben am 7., dann abermals am 10. Juni: sein Schwei- gen sei unerklärlich; die Verhandlungen möchten beginnen, sonst trage Graf Eulenburg die Schuld am Scheitern seiner Wünsche. Der Gesandte wollte jedoch den Bescheid aus Pe-kiṅ abwarten. Ein Schreiben des Herrn Bruce sagte ihm, dass der Kaiser allem Anschein nach seine Empfindlichkeit über die Anwesenheit fremder Gesandten in Pe-kiṅ keineswegs verwunden habe, dass die Un- sicherheit darüber alle Bewegungen der Diplomaten hemme. — Graf Eulenburg durfte vermuthen, dass zwischen Pe-kiṅ und Džehol Verhandlungen schwebten, dass Prinz Kuṅ seinen Anträgen im Grunde nicht abgeneigt sei. Leicht konnte sein Erscheinen in Pe-kiṅ den Kaiser irritiren, der nach den letzten Nachrichten be- denklich erkrankt war. Man vermuthete, dass seinem Oheim Hu-wae, — der Ende Mai von Džehol nach Pe-kiṅ kam, — und dem Prinzen von Kuṅ die Regentschaft für den minderjährigen Thronerben zufallen würde, eine Eventualität, die dem Abschluss unseres Vertrages günstig gewesen wäre. — Ueber die Stellung der Gesandten von England und Frankreich erhielt Graf Eulenburg einigen Aufschluss durch den Secretär des General-Gouverneurs von Ost-Sibirien, Herrn von Bützow, der auf einer Urlaubsreise nach Pe-kiṅ kam und einen Abstecher nach Tien-tsin machte. Aeusserungen desselben, welche seine Vermuthungen bestärkten, und das lange Ausbleiben der Antwort des Grafen Kleczkowski brachten den Gedanken, bald nach Pe-kiṅ aufzubrechen, zu grösserer Reife, während doch auch viele Gründe dagegen sprachen. Es war ein Zustand der peinlichsten Unklarheit, ver- schlimmert durch die Qualen des Klimas und gezwungene Un- thätigkeit. Am 11. Juni antwortete endlich Graf Eulenburg den Com- missaren, dass er auf dem Rechte der Gesandtschaft fest bestehe, auch wenn diese Forderung zu Abbruch der Verhandlungen führen sollte. Nach einigen Tagen kam ein Schreiben in vorwurfsvollem Ton: England, Frankreich und America ständen seit zwanzig

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Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/58>, abgerufen am 29.03.2024.