sind dunkel und mit sicheren Daten der siamesischen Geschichte kaum vereinbar. -- Zu Anfang dieses Jahrhunderts scheinen die regelmässigen Gesandtschaften aufgehört zu haben; gelegentlich gehn noch jetzt siamesische Königsboten mit reichen Gaben nach Pe-kin und müssen natürlich vor dem Kaiser das Ko-to vollziehen; ein Verhältniss wirklicher Abhängigkeit scheint trotzdem niemals bestanden zu haben, sondern nur die Unterthänigkeit des geringeren Mannes gegen den vornehmeren.
Eine Engländerin, Mrs. Leonowens, die gleich nach unserer Abreise als Gouvernante der Königskinder in den Dienst des alten Maha-monkut trat und trotz aller Schwierigkeiten mehrere Jahre darin ausharrte, ist tiefer in die Geheimnisse des Palastes gedrun- gen, als irgend ein Fremder. Ihre Mittheilungen tragen ungeachtet mancher Schwankungen des Urtheils durchaus den Stempel der Treue, und ergänzen die Anschauungen, die sich uns aufdrängten, zu einem so deutlichen Bilde, dass sie kaum davon zu trennen sind. So möge denn hier unter Benutzung dieser ergiebigen Quelle über den siamesichen Königshof Einiges nachgetragen werden, das im Bericht unserer Erlebnisse keinen Platz fand.
Der Gelehrsamkeit und des reformatorischen Strebens des Kö- nigs wurde schon früher gedacht; er erwarb sich während seiner Priesterschaft die eingehendste Kenntniss der in Sanskrit und Pali geschriebenen heiligen Bücher der Brahminen und Buddisten, com- pilirte aus letzteren eine Liturgie für den Tempeldienst und schrieb eine Abhandlung, die auf den Beweis ausgehen soll, dass Befreiung von allen selbstsüchtigen und fleischlichen Leidenschaften das hohe Ziel des Buddismus sei. Er gründete eine neue Theologenschule, die den Buddismus von allen Zuthaten des Aberglaubens zu befreien und auf seinen ethischen Grundlagen eine keineswegs atheistische Glaubenslehre aufzubauen strebte. Der König glaubte an das Ge- setz der Vergeltung, Seelenwanderung, ein endliches Niphan oder Nirwana, mit dem er den Begriff der Seligkeit verband, wider- strebte, wie er sich ausdrückt, "nur dem Begriff von Gott als ewig wirkendem Schöpfer, nicht demjenigen einer Göttlichkeit als erstem Urquell, aus deren Gedanken und Willen alle Formen des Bestehen- den flossen", und kämpfte vor Allem gegen den Glauben an wunder-
Der Königshof. XXII.
sind dunkel und mit sicheren Daten der siamesischen Geschichte kaum vereinbar. — Zu Anfang dieses Jahrhunderts scheinen die regelmässigen Gesandtschaften aufgehört zu haben; gelegentlich gehn noch jetzt siamesische Königsboten mit reichen Gaben nach Pe-kiṅ und müssen natürlich vor dem Kaiser das Ko-to vollziehen; ein Verhältniss wirklicher Abhängigkeit scheint trotzdem niemals bestanden zu haben, sondern nur die Unterthänigkeit des geringeren Mannes gegen den vornehmeren.
Eine Engländerin, Mrs. Leonowens, die gleich nach unserer Abreise als Gouvernante der Königskinder in den Dienst des alten Maha-moṅkut trat und trotz aller Schwierigkeiten mehrere Jahre darin ausharrte, ist tiefer in die Geheimnisse des Palastes gedrun- gen, als irgend ein Fremder. Ihre Mittheilungen tragen ungeachtet mancher Schwankungen des Urtheils durchaus den Stempel der Treue, und ergänzen die Anschauungen, die sich uns aufdrängten, zu einem so deutlichen Bilde, dass sie kaum davon zu trennen sind. So möge denn hier unter Benutzung dieser ergiebigen Quelle über den siamesichen Königshof Einiges nachgetragen werden, das im Bericht unserer Erlebnisse keinen Platz fand.
Der Gelehrsamkeit und des reformatorischen Strebens des Kö- nigs wurde schon früher gedacht; er erwarb sich während seiner Priesterschaft die eingehendste Kenntniss der in Sanskrit und Pali geschriebenen heiligen Bücher der Brahminen und Buddisten, com- pilirte aus letzteren eine Liturgie für den Tempeldienst und schrieb eine Abhandlung, die auf den Beweis ausgehen soll, dass Befreiung von allen selbstsüchtigen und fleischlichen Leidenschaften das hohe Ziel des Buddismus sei. Er gründete eine neue Theologenschule, die den Buddismus von allen Zuthaten des Aberglaubens zu befreien und auf seinen ethischen Grundlagen eine keineswegs atheistische Glaubenslehre aufzubauen strebte. Der König glaubte an das Ge- setz der Vergeltung, Seelenwanderung, ein endliches Niphan oder Nirwana, mit dem er den Begriff der Seligkeit verband, wider- strebte, wie er sich ausdrückt, »nur dem Begriff von Gott als ewig wirkendem Schöpfer, nicht demjenigen einer Göttlichkeit als erstem Urquell, aus deren Gedanken und Willen alle Formen des Bestehen- den flossen«, und kämpfte vor Allem gegen den Glauben an wunder-
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Der Königshof. XXII.
sind dunkel und mit sicheren Daten der siamesischen Geschichte
kaum vereinbar. — Zu Anfang dieses Jahrhunderts scheinen die
regelmässigen Gesandtschaften aufgehört zu haben; gelegentlich
gehn noch jetzt siamesische Königsboten mit reichen Gaben nach
Pe-kiṅ und müssen natürlich vor dem Kaiser das Ko-to vollziehen;
ein Verhältniss wirklicher Abhängigkeit scheint trotzdem niemals
bestanden zu haben, sondern nur die Unterthänigkeit des geringeren
Mannes gegen den vornehmeren.
Eine Engländerin, Mrs. Leonowens, die gleich nach unserer
Abreise als Gouvernante der Königskinder in den Dienst des alten
Maha-moṅkut trat und trotz aller Schwierigkeiten mehrere Jahre
darin ausharrte, ist tiefer in die Geheimnisse des Palastes gedrun-
gen, als irgend ein Fremder. Ihre Mittheilungen tragen ungeachtet
mancher Schwankungen des Urtheils durchaus den Stempel der
Treue, und ergänzen die Anschauungen, die sich uns aufdrängten,
zu einem so deutlichen Bilde, dass sie kaum davon zu trennen sind.
So möge denn hier unter Benutzung dieser ergiebigen Quelle über
den siamesichen Königshof Einiges nachgetragen werden, das im
Bericht unserer Erlebnisse keinen Platz fand.
Der Gelehrsamkeit und des reformatorischen Strebens des Kö-
nigs wurde schon früher gedacht; er erwarb sich während seiner
Priesterschaft die eingehendste Kenntniss der in Sanskrit und Pali
geschriebenen heiligen Bücher der Brahminen und Buddisten, com-
pilirte aus letzteren eine Liturgie für den Tempeldienst und schrieb
eine Abhandlung, die auf den Beweis ausgehen soll, dass Befreiung
von allen selbstsüchtigen und fleischlichen Leidenschaften das hohe
Ziel des Buddismus sei. Er gründete eine neue Theologenschule,
die den Buddismus von allen Zuthaten des Aberglaubens zu befreien
und auf seinen ethischen Grundlagen eine keineswegs atheistische
Glaubenslehre aufzubauen strebte. Der König glaubte an das Ge-
setz der Vergeltung, Seelenwanderung, ein endliches Niphan oder
Nirwana, mit dem er den Begriff der Seligkeit verband, wider-
strebte, wie er sich ausdrückt, »nur dem Begriff von Gott als ewig
wirkendem Schöpfer, nicht demjenigen einer Göttlichkeit als erstem
Urquell, aus deren Gedanken und Willen alle Formen des Bestehen-
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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/350>, abgerufen am 20.04.2024.
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