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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

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Die Bonzen. XXII.
einige Zeit selbst als Bonzen eingekleidet werden, um, wie man
sagt, ihren Eltern die Schuld der Dankbarkeit abzutragen. Sie
schätzen das Verdienst solcher Einkleidung für mächtig genug, um
ihre Eltern aus der Hölle zu ziehen, wenn sie dahin gerathen."73)
Selbst die Königssöhne gehen für einige Zeit in das Kloster; der
Austritt steht Jedem frei. Pallegoix's Entrüstung ist sicher gerecht.
Selbst uns drängte sich die Ansicht auf, dass bei diesem unver-
schämten Gesindel prassender Tagediebe grobe lüsterne Sinnlich-
keit und alle schlimmen Leidenschaften wuchern. Viele bleiben
nur Bonzen aus Hang zum Müssiggang und um sich den Dienst-
leistungen der Hörigkeit zu entziehen; andere wissen sich aus den
Opfergaben und dem Ertrage ihrer Andachtsübungen ein kleines
Vermögen zusammenzuscharren, treten dann in das bürgerliche Le-
ben zurück und heirathen.

Die Regel der Bonzen ist in 227 Artikeln niedergelegt, die
dem Budda Gotama74) zugeschrieben werden; Pallegoix giebt
einen Auszug davon. Folgende Hauptvorschriften gelten auch für
die Schüler der Bonzen: von Mittag bis zum folgenden Morgen zu
fasten, nicht Blumen bei sich zu haben noch daran zu riechen,
nicht auf Polstern zu sitzen, oder auf Stühlen, die höher sind als
zwölf Zoll. Geboten sind ferner das tägliche Almosensammeln,
das Wohnen im Kloster, das Tragen gelber Gewänder, das Cölibat,
Enthaltung von Lüge, Diebstahl und Tödtung von Thieren.
Letztere sieben Gebote werden nach Pallegoix dem Bonzen bei
seiner Einkleidung vorgelesen. Seine und Dr. Bastian's Schilde-
rungen vom Klosterleben in Bankok sind nicht erbaulich. Bei
Tagesanbruch erheben sich die Bonzen, läuten die Glocken, nehmen
ein Bad und recitiren im Tempel gemeinschaftlich ein Gebet. Dann
macht jeder von seinem Schüler gerudert die vorgeschriebene
Bettelfahrt. Sie kehren mit gefüllten Töpfen zurück, wählen sich
die besten Bissen und geben das Uebrige den Knaben. Dann
wird geraucht und geschwatzt; den ganzen Vormittag kommen An-
dächtige mit Leckerbissen, besonders für die beliebten Prediger.
Um elf Uhr ist die zweite Mahlzeit, die kurz vor Mittag beendet
sein muss; dann folgt die lange Siesta. Bis zum Morgen darf wohl
Thee, Cocosmilch und dergleichen, aber nichts Festes genossen
werden. Oft werden Bonzen in die Häuser der Reichen und Vor-

73) Pallegoix. Description du Royaume Thai on Siam. I. 126.
74) Der indische Prinz Gotama stiftete die buddistische Lehre.

Die Bonzen. XXII.
einige Zeit selbst als Bonzen eingekleidet werden, um, wie man
sagt, ihren Eltern die Schuld der Dankbarkeit abzutragen. Sie
schätzen das Verdienst solcher Einkleidung für mächtig genug, um
ihre Eltern aus der Hölle zu ziehen, wenn sie dahin gerathen.«73)
Selbst die Königssöhne gehen für einige Zeit in das Kloster; der
Austritt steht Jedem frei. Pallégoix’s Entrüstung ist sicher gerecht.
Selbst uns drängte sich die Ansicht auf, dass bei diesem unver-
schämten Gesindel prassender Tagediebe grobe lüsterne Sinnlich-
keit und alle schlimmen Leidenschaften wuchern. Viele bleiben
nur Bonzen aus Hang zum Müssiggang und um sich den Dienst-
leistungen der Hörigkeit zu entziehen; andere wissen sich aus den
Opfergaben und dem Ertrage ihrer Andachtsübungen ein kleines
Vermögen zusammenzuscharren, treten dann in das bürgerliche Le-
ben zurück und heirathen.

Die Regel der Bonzen ist in 227 Artikeln niedergelegt, die
dem Budda Gotama74) zugeschrieben werden; Pallégoix giebt
einen Auszug davon. Folgende Hauptvorschriften gelten auch für
die Schüler der Bonzen: von Mittag bis zum folgenden Morgen zu
fasten, nicht Blumen bei sich zu haben noch daran zu riechen,
nicht auf Polstern zu sitzen, oder auf Stühlen, die höher sind als
zwölf Zoll. Geboten sind ferner das tägliche Almosensammeln,
das Wohnen im Kloster, das Tragen gelber Gewänder, das Cölibat,
Enthaltung von Lüge, Diebstahl und Tödtung von Thieren.
Letztere sieben Gebote werden nach Pallégoix dem Bonzen bei
seiner Einkleidung vorgelesen. Seine und Dr. Bastian’s Schilde-
rungen vom Klosterleben in Baṅkok sind nicht erbaulich. Bei
Tagesanbruch erheben sich die Bonzen, läuten die Glocken, nehmen
ein Bad und recitiren im Tempel gemeinschaftlich ein Gebet. Dann
macht jeder von seinem Schüler gerudert die vorgeschriebene
Bettelfahrt. Sie kehren mit gefüllten Töpfen zurück, wählen sich
die besten Bissen und geben das Uebrige den Knaben. Dann
wird geraucht und geschwatzt; den ganzen Vormittag kommen An-
dächtige mit Leckerbissen, besonders für die beliebten Prediger.
Um elf Uhr ist die zweite Mahlzeit, die kurz vor Mittag beendet
sein muss; dann folgt die lange Siesta. Bis zum Morgen darf wohl
Thee, Cocosmilch und dergleichen, aber nichts Festes genossen
werden. Oft werden Bonzen in die Häuser der Reichen und Vor-

73) Pallégoix. Déscription du Royaume Thai on Siam. I. 126.
74) Der indische Prinz Gotama stiftete die buddistische Lehre.
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[330/0344] Die Bonzen. XXII. einige Zeit selbst als Bonzen eingekleidet werden, um, wie man sagt, ihren Eltern die Schuld der Dankbarkeit abzutragen. Sie schätzen das Verdienst solcher Einkleidung für mächtig genug, um ihre Eltern aus der Hölle zu ziehen, wenn sie dahin gerathen.« 73) Selbst die Königssöhne gehen für einige Zeit in das Kloster; der Austritt steht Jedem frei. Pallégoix’s Entrüstung ist sicher gerecht. Selbst uns drängte sich die Ansicht auf, dass bei diesem unver- schämten Gesindel prassender Tagediebe grobe lüsterne Sinnlich- keit und alle schlimmen Leidenschaften wuchern. Viele bleiben nur Bonzen aus Hang zum Müssiggang und um sich den Dienst- leistungen der Hörigkeit zu entziehen; andere wissen sich aus den Opfergaben und dem Ertrage ihrer Andachtsübungen ein kleines Vermögen zusammenzuscharren, treten dann in das bürgerliche Le- ben zurück und heirathen. Die Regel der Bonzen ist in 227 Artikeln niedergelegt, die dem Budda Gotama 74) zugeschrieben werden; Pallégoix giebt einen Auszug davon. Folgende Hauptvorschriften gelten auch für die Schüler der Bonzen: von Mittag bis zum folgenden Morgen zu fasten, nicht Blumen bei sich zu haben noch daran zu riechen, nicht auf Polstern zu sitzen, oder auf Stühlen, die höher sind als zwölf Zoll. Geboten sind ferner das tägliche Almosensammeln, das Wohnen im Kloster, das Tragen gelber Gewänder, das Cölibat, Enthaltung von Lüge, Diebstahl und Tödtung von Thieren. Letztere sieben Gebote werden nach Pallégoix dem Bonzen bei seiner Einkleidung vorgelesen. Seine und Dr. Bastian’s Schilde- rungen vom Klosterleben in Baṅkok sind nicht erbaulich. Bei Tagesanbruch erheben sich die Bonzen, läuten die Glocken, nehmen ein Bad und recitiren im Tempel gemeinschaftlich ein Gebet. Dann macht jeder von seinem Schüler gerudert die vorgeschriebene Bettelfahrt. Sie kehren mit gefüllten Töpfen zurück, wählen sich die besten Bissen und geben das Uebrige den Knaben. Dann wird geraucht und geschwatzt; den ganzen Vormittag kommen An- dächtige mit Leckerbissen, besonders für die beliebten Prediger. Um elf Uhr ist die zweite Mahlzeit, die kurz vor Mittag beendet sein muss; dann folgt die lange Siesta. Bis zum Morgen darf wohl Thee, Cocosmilch und dergleichen, aber nichts Festes genossen werden. Oft werden Bonzen in die Häuser der Reichen und Vor- 73) Pallégoix. Déscription du Royaume Thai on Siam. I. 126. 74) Der indische Prinz Gotama stiftete die buddistische Lehre.

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Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/344>, abgerufen am 28.03.2024.