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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

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XXII. Senabodi. Der Zweite König.
berechtigt nur solche Agnaten des Herrscherhauses seien, die auch
mütterlicherseits aus königlichem Blute stammten, d. h. die Söhne
einer zur Königin-Gemahlin erhobenen Prinzessin des regierenden
Hauses; dass aus diesen der Senabodi den König erwähle. Palle-
goix
sagt, dass die Primogenitur zwar keinen Anspruch auf den
Thron begründe, dass der König aber -- nach chinesischer Art --
durch Testament einen seiner Söhne zum Nachfolger einsetze.
Dazu stimmen aber die Thatsachen der neueren siamesischen Ge-
schichte noch weniger als zu des Königs Aussagen; Phra Tsao
Prasat Ton
, der von 1825 bis 1851 regierte, stammte mütter-
licherseits nicht aus dem Königshause, wurde auch weder von
seinem Vater zum Nachfolger eingesetzt, noch vom Senabodi
erwählt, konnte aber gegen dessen Willen seinen Sohn nicht
auf den Thron bringen. Daraus wäre zu schliessen, dass ein
Usurpator eben so sicher herrscht, wie der legitime Erbe, wenn
er die Grossen bezwingt oder zu Freunden hat, und dass der
legitime Erbe eben so gut deren Zustimmung braucht, wie der
Usurpator.

Ueber des Zweiten Königs Stellung weiss man eben so wenig
Genaues, als über das Alter und die Bedeutung dieser Würde.
Pallegoix behauptet, dass er gewöhnlich den Oberbefehl über die
Kriegsheere führt, dass er in Abwesenheit des Ersten Königs von
der Hauptstadt regiert, dass dieser ihn in allen wichtigen An-
gelegenheiten befragt. Das Alles ist unwahrscheinlich. Die Insti-
tution des zweiten Königthums mag bestimmt sein, die despotische
Alleinherrschaft zu beschränken, sie bietet den Unzufriedenen stets
ein Banner, um das sie sich schaaren können; aber grade deshalb
wird der Zweite König nimmer Einfluss neben dem Ersten ge-
winnen, und sich hüten müssen, dessen Argwohn zu wecken. Er
ist das Schwert des Damokles, das stille droht, doch niemals drein-
schlägt. Das war die Lage des Zweiten Königs, den wir sahen,
des rechten jüngeren Bruders des Maha-monkut, welcher ihn gleich
nach seiner Thronbesteigung mit Zustimmung des Senabodi zu
dieser Würde erhob. Sein Vorrecht vor allen anderen Unterthanen
ist, dass er sich vor dem Herrscher nicht niederwirft, sondern zum
Gruss nur die Hände erhebt; er leistet ihm aber, wie alle anderen
Grossen, jährlich zweimal den Eid der Treue. Er hat seine Sol-
daten und seinen Hof, und bezieht seine Einkünfte aus dem Schatz
des Ersten Königs unter dessen Genehmigung.

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XXII. Senabodi. Der Zweite König.
berechtigt nur solche Agnaten des Herrscherhauses seien, die auch
mütterlicherseits aus königlichem Blute stammten, d. h. die Söhne
einer zur Königin-Gemahlin erhobenen Prinzessin des regierenden
Hauses; dass aus diesen der Senabodi den König erwähle. Pallé-
goix
sagt, dass die Primogenitur zwar keinen Anspruch auf den
Thron begründe, dass der König aber — nach chinesischer Art —
durch Testament einen seiner Söhne zum Nachfolger einsetze.
Dazu stimmen aber die Thatsachen der neueren siamesischen Ge-
schichte noch weniger als zu des Königs Aussagen; Phra Tšao
Prasat Toṅ
, der von 1825 bis 1851 regierte, stammte mütter-
licherseits nicht aus dem Königshause, wurde auch weder von
seinem Vater zum Nachfolger eingesetzt, noch vom Senabodi
erwählt, konnte aber gegen dessen Willen seinen Sohn nicht
auf den Thron bringen. Daraus wäre zu schliessen, dass ein
Usurpator eben so sicher herrscht, wie der legitime Erbe, wenn
er die Grossen bezwingt oder zu Freunden hat, und dass der
legitime Erbe eben so gut deren Zustimmung braucht, wie der
Usurpator.

Ueber des Zweiten Königs Stellung weiss man eben so wenig
Genaues, als über das Alter und die Bedeutung dieser Würde.
Pallégoix behauptet, dass er gewöhnlich den Oberbefehl über die
Kriegsheere führt, dass er in Abwesenheit des Ersten Königs von
der Hauptstadt regiert, dass dieser ihn in allen wichtigen An-
gelegenheiten befragt. Das Alles ist unwahrscheinlich. Die Insti-
tution des zweiten Königthums mag bestimmt sein, die despotische
Alleinherrschaft zu beschränken, sie bietet den Unzufriedenen stets
ein Banner, um das sie sich schaaren können; aber grade deshalb
wird der Zweite König nimmer Einfluss neben dem Ersten ge-
winnen, und sich hüten müssen, dessen Argwohn zu wecken. Er
ist das Schwert des Damokles, das stille droht, doch niemals drein-
schlägt. Das war die Lage des Zweiten Königs, den wir sahen,
des rechten jüngeren Bruders des Maha-moṅkut, welcher ihn gleich
nach seiner Thronbesteigung mit Zustimmung des Senabodi zu
dieser Würde erhob. Sein Vorrecht vor allen anderen Unterthanen
ist, dass er sich vor dem Herrscher nicht niederwirft, sondern zum
Gruss nur die Hände erhebt; er leistet ihm aber, wie alle anderen
Grossen, jährlich zweimal den Eid der Treue. Er hat seine Sol-
daten und seinen Hof, und bezieht seine Einkünfte aus dem Schatz
des Ersten Königs unter dessen Genehmigung.

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[323/0337] XXII. Senabodi. Der Zweite König. berechtigt nur solche Agnaten des Herrscherhauses seien, die auch mütterlicherseits aus königlichem Blute stammten, d. h. die Söhne einer zur Königin-Gemahlin erhobenen Prinzessin des regierenden Hauses; dass aus diesen der Senabodi den König erwähle. Pallé- goix sagt, dass die Primogenitur zwar keinen Anspruch auf den Thron begründe, dass der König aber — nach chinesischer Art — durch Testament einen seiner Söhne zum Nachfolger einsetze. Dazu stimmen aber die Thatsachen der neueren siamesischen Ge- schichte noch weniger als zu des Königs Aussagen; Phra Tšao Prasat Toṅ, der von 1825 bis 1851 regierte, stammte mütter- licherseits nicht aus dem Königshause, wurde auch weder von seinem Vater zum Nachfolger eingesetzt, noch vom Senabodi erwählt, konnte aber gegen dessen Willen seinen Sohn nicht auf den Thron bringen. Daraus wäre zu schliessen, dass ein Usurpator eben so sicher herrscht, wie der legitime Erbe, wenn er die Grossen bezwingt oder zu Freunden hat, und dass der legitime Erbe eben so gut deren Zustimmung braucht, wie der Usurpator. Ueber des Zweiten Königs Stellung weiss man eben so wenig Genaues, als über das Alter und die Bedeutung dieser Würde. Pallégoix behauptet, dass er gewöhnlich den Oberbefehl über die Kriegsheere führt, dass er in Abwesenheit des Ersten Königs von der Hauptstadt regiert, dass dieser ihn in allen wichtigen An- gelegenheiten befragt. Das Alles ist unwahrscheinlich. Die Insti- tution des zweiten Königthums mag bestimmt sein, die despotische Alleinherrschaft zu beschränken, sie bietet den Unzufriedenen stets ein Banner, um das sie sich schaaren können; aber grade deshalb wird der Zweite König nimmer Einfluss neben dem Ersten ge- winnen, und sich hüten müssen, dessen Argwohn zu wecken. Er ist das Schwert des Damokles, das stille droht, doch niemals drein- schlägt. Das war die Lage des Zweiten Königs, den wir sahen, des rechten jüngeren Bruders des Maha-moṅkut, welcher ihn gleich nach seiner Thronbesteigung mit Zustimmung des Senabodi zu dieser Würde erhob. Sein Vorrecht vor allen anderen Unterthanen ist, dass er sich vor dem Herrscher nicht niederwirft, sondern zum Gruss nur die Hände erhebt; er leistet ihm aber, wie alle anderen Grossen, jährlich zweimal den Eid der Treue. Er hat seine Sol- daten und seinen Hof, und bezieht seine Einkünfte aus dem Schatz des Ersten Königs unter dessen Genehmigung. 21*

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Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 323. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/337>, abgerufen am 28.03.2024.