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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

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XXII. Königliches Ballet.
Grosse am Boden stehende Wachskerzen und viele Hängelampen
erleuchteten die Bühne.

Ein von bösen Geistern verfolgtes himmlisches Wesen, das
sie durch Talismane auf mancherlei Weise bändigt, schien die
Hauptrolle zu spielen. Glanzpuncte des Abends bildeten ein Ring-
kampf und ein mit männlicher Kraft ausgeführtes Solo einer hoch-
gewachsenen Tänzerin. Manche Gruppirungen waren recht schön.
Für uns wäre trotzdem eine halbe Stunde des unfasslichen Spieles
genug gewesen; doch hielten wir bis elf Uhr aus und verabschie-
deten uns vor Beginn des letzten Actes, des letzten nur für diesen
Abend; denn das Stück sollte den ganzen nächsten Tag dauern.

Als Graf Eulenburg sich auf besondere Einladung dazu ge-
gen elf Uhr Vormittags einstellte, gab der König das Zeichen zum
Anfang. Die ersten zwei Stunden dauerten Umzüge der himmlischen
und der bösen Geister. Teufelsmasken kämpften gegen eine Schaar
Genien mit Affenköpfen. Dann traten -- mitten hinein -- zwei Da-
men in französischen Abendtoiletten auf, grüssten mit rothseidenen
Taschentüchern und setzten sich in der Mitte der Bühne auf
Stühle. Während dann weiter gespielt wurde, schickte man sich
zum Frühstück an, der König mit den Kindern in seiner Loge,
die Prinzen und Grossen ringsum auf dem Bauche liegend, die
Hauptactricen auf einer aus niedrigen Tischen aufgebauten Estrade,
von wo sie, sich trunken stellend, bald herabstiegen, um die franzö-
sisch gekleideten Damen mit Zutraulichkeiten zu necken. Auch uns
wurde unterdessen ein Frühstück aufgetragen.

Nach der Stärkung bekam das Spiel neues Leben; die Mi-
men geriethen zuweilen in solchen Affect, dass sie ihren Gebehrden
durch heftig ausgestossene Worte Nachdruck gaben. Der König
erklärte, dass das bei einem von so vornehmen Damen gespielten
Stück nur "incidenter" (incidentally) vorkommen dürfe; nur auf
Volksbühnen werde gesprochen und declamirt. Er gab dem Ge-
sandten, den er nach seiner Loge beschied, noch allerlei Erklärun-
gen, welche die Aussprache seines zahnlosen Mundes unverständ-
lich liess, erlaubte ihm auch die Kostüme der Tänzerinnen von
nahem zu sehn, wozu eine alte Duenna sehr grimmig blickte. Unter
den umherliegenden Fürsten war auch ein König der Laos mit
seinem Gefolge: "We give him the title of king," sagte Maha
Monkut
, "but we institute him." Ununterbrochen spann das Stück
sich weiter; auch Pferde kamen auf die Bühne, europäische Kinder-

XXII. Königliches Ballet.
Grosse am Boden stehende Wachskerzen und viele Hängelampen
erleuchteten die Bühne.

Ein von bösen Geistern verfolgtes himmlisches Wesen, das
sie durch Talismane auf mancherlei Weise bändigt, schien die
Hauptrolle zu spielen. Glanzpuncte des Abends bildeten ein Ring-
kampf und ein mit männlicher Kraft ausgeführtes Solo einer hoch-
gewachsenen Tänzerin. Manche Gruppirungen waren recht schön.
Für uns wäre trotzdem eine halbe Stunde des unfasslichen Spieles
genug gewesen; doch hielten wir bis elf Uhr aus und verabschie-
deten uns vor Beginn des letzten Actes, des letzten nur für diesen
Abend; denn das Stück sollte den ganzen nächsten Tag dauern.

Als Graf Eulenburg sich auf besondere Einladung dazu ge-
gen elf Uhr Vormittags einstellte, gab der König das Zeichen zum
Anfang. Die ersten zwei Stunden dauerten Umzüge der himmlischen
und der bösen Geister. Teufelsmasken kämpften gegen eine Schaar
Genien mit Affenköpfen. Dann traten — mitten hinein — zwei Da-
men in französischen Abendtoiletten auf, grüssten mit rothseidenen
Taschentüchern und setzten sich in der Mitte der Bühne auf
Stühle. Während dann weiter gespielt wurde, schickte man sich
zum Frühstück an, der König mit den Kindern in seiner Loge,
die Prinzen und Grossen ringsum auf dem Bauche liegend, die
Hauptactricen auf einer aus niedrigen Tischen aufgebauten Estrade,
von wo sie, sich trunken stellend, bald herabstiegen, um die franzö-
sisch gekleideten Damen mit Zutraulichkeiten zu necken. Auch uns
wurde unterdessen ein Frühstück aufgetragen.

Nach der Stärkung bekam das Spiel neues Leben; die Mi-
men geriethen zuweilen in solchen Affect, dass sie ihren Gebehrden
durch heftig ausgestossene Worte Nachdruck gaben. Der König
erklärte, dass das bei einem von so vornehmen Damen gespielten
Stück nur »incidenter« (incidentally) vorkommen dürfe; nur auf
Volksbühnen werde gesprochen und declamirt. Er gab dem Ge-
sandten, den er nach seiner Loge beschied, noch allerlei Erklärun-
gen, welche die Aussprache seines zahnlosen Mundes unverständ-
lich liess, erlaubte ihm auch die Kostüme der Tänzerinnen von
nahem zu sehn, wozu eine alte Duenna sehr grimmig blickte. Unter
den umherliegenden Fürsten war auch ein König der Laos mit
seinem Gefolge: »We give him the title of king,« sagte Maha
Moṅkut
, »but we institute him.« Ununterbrochen spann das Stück
sich weiter; auch Pferde kamen auf die Bühne, europäische Kinder-

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[319/0333] XXII. Königliches Ballet. Grosse am Boden stehende Wachskerzen und viele Hängelampen erleuchteten die Bühne. Ein von bösen Geistern verfolgtes himmlisches Wesen, das sie durch Talismane auf mancherlei Weise bändigt, schien die Hauptrolle zu spielen. Glanzpuncte des Abends bildeten ein Ring- kampf und ein mit männlicher Kraft ausgeführtes Solo einer hoch- gewachsenen Tänzerin. Manche Gruppirungen waren recht schön. Für uns wäre trotzdem eine halbe Stunde des unfasslichen Spieles genug gewesen; doch hielten wir bis elf Uhr aus und verabschie- deten uns vor Beginn des letzten Actes, des letzten nur für diesen Abend; denn das Stück sollte den ganzen nächsten Tag dauern. Als Graf Eulenburg sich auf besondere Einladung dazu ge- gen elf Uhr Vormittags einstellte, gab der König das Zeichen zum Anfang. Die ersten zwei Stunden dauerten Umzüge der himmlischen und der bösen Geister. Teufelsmasken kämpften gegen eine Schaar Genien mit Affenköpfen. Dann traten — mitten hinein — zwei Da- men in französischen Abendtoiletten auf, grüssten mit rothseidenen Taschentüchern und setzten sich in der Mitte der Bühne auf Stühle. Während dann weiter gespielt wurde, schickte man sich zum Frühstück an, der König mit den Kindern in seiner Loge, die Prinzen und Grossen ringsum auf dem Bauche liegend, die Hauptactricen auf einer aus niedrigen Tischen aufgebauten Estrade, von wo sie, sich trunken stellend, bald herabstiegen, um die franzö- sisch gekleideten Damen mit Zutraulichkeiten zu necken. Auch uns wurde unterdessen ein Frühstück aufgetragen. Nach der Stärkung bekam das Spiel neues Leben; die Mi- men geriethen zuweilen in solchen Affect, dass sie ihren Gebehrden durch heftig ausgestossene Worte Nachdruck gaben. Der König erklärte, dass das bei einem von so vornehmen Damen gespielten Stück nur »incidenter« (incidentally) vorkommen dürfe; nur auf Volksbühnen werde gesprochen und declamirt. Er gab dem Ge- sandten, den er nach seiner Loge beschied, noch allerlei Erklärun- gen, welche die Aussprache seines zahnlosen Mundes unverständ- lich liess, erlaubte ihm auch die Kostüme der Tänzerinnen von nahem zu sehn, wozu eine alte Duenna sehr grimmig blickte. Unter den umherliegenden Fürsten war auch ein König der Laos mit seinem Gefolge: »We give him the title of king,« sagte Maha Moṅkut, »but we institute him.« Ununterbrochen spann das Stück sich weiter; auch Pferde kamen auf die Bühne, europäische Kinder-

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Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/333>, abgerufen am 28.03.2024.