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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

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XXI. Wat Po.
Teichen, Brücken, grotesken Steinbildern und allerlei baulichem
Schnickschnack. Gleich am Eingang liegt ein solcher Hof, in dessen
Teich unter Felsen und üppigen Blattpflanzen ein ausgewachsenes
Crocodil haust; träge und schwerfällig lässt es, am Ufer ausgestreckt,
alle Neckereien über sich ergehen ohne aufzublicken. -- Vor den
mit Goldstuck und Glasmosaik geschmückten Tempelportalen stehen
colossale Gestalten der Thürhüter, bald aus Gypsstuck, in reicher
phantastischer Goldrüstung, mit grimmigem Dämonenhaupt und
langen Stosszähnen, oder im faltigen Priestergewande, mit ehr-
würdiger Greisenmiene und wallendem Bart, -- bald aus Stein ge-
meisselt, Portugiesen und Holländer in steifen altfränkischen Uni-
formen darstellend. Sowohl gute als böse Geister scheinen als
Thürhüter zu fungiren; man weiss nicht recht, für welche die
Fremden gemeint sind.

Dem Flussthor gegenüber liegt innerhalb Wat Po ein Tem-
pelchen, das über und über, selbst auf den Dachflächen mit reicher
farbiger Stuckzier bedeckt ist. Dann kommt ein Hof mit drei
gleichartigen Pratsedi, so heissen gewisse spitz zulaufende Monu-
mente bei den siamesischen Tempeln; ihr Grundriss ist meistens
vierseitig, mit verkröpften Ecken; der Sockel erhebt sich in reicher
Profilirung bis zum Drittheil der ganzen Höhe; darauf steht ein
Körper von schlankem Glockenprofil, gekrönt von einer spindel-
förmigen Spitze. Bekleidet sind die Pratsedi von Wat Po, -- die
schönsten in Bankok, -- mit bunten Kacheln, die reizende Muster
bilden; die Farbenwirkung ist harmonisch und milde. Eben so
schön und von der zierlichsten Zeichnung ist ein Glockenhäuschen
im nächsten Hofe; die organische Entwickelung aus der Grund-
form bis in die letzten Einzelnheiten des reichen Zierraths, die
schlanken Verhältnisse, in denen es leicht und stolz in die Luft
strebt, zeugen von hoher Meisterschaft des Architecten. Aehnliches
lässt sich von anderen Bauten sagen, wenn auch das wüste Durch-
einander phantastischer Motive, zu welchem asiatische Baumeister,
nach Fülle und Abwechselung strebend, das ganze Thier- und
Pflanzenreich mit den tollen Gebilden ihrer Fabelwelt verarbeiten,
in der Nähe meist verwirrend und bedrückend wirkt.

Wie weit die Baukunst der Siamesen auf dem Landesboden
gewachsen oder den Nachbarländern Birma, Pegu, Laos, Kamboja
entlehnt ist, welche so stark auf ihre Geschicke wirkten, liesse sich
nur durch Vergleichung mit deren Werken erkennen. Einen aus-

XXI. Wat Po.
Teichen, Brücken, grotesken Steinbildern und allerlei baulichem
Schnickschnack. Gleich am Eingang liegt ein solcher Hof, in dessen
Teich unter Felsen und üppigen Blattpflanzen ein ausgewachsenes
Crocodil haust; träge und schwerfällig lässt es, am Ufer ausgestreckt,
alle Neckereien über sich ergehen ohne aufzublicken. — Vor den
mit Goldstuck und Glasmosaik geschmückten Tempelportalen stehen
colossale Gestalten der Thürhüter, bald aus Gypsstuck, in reicher
phantastischer Goldrüstung, mit grimmigem Dämonenhaupt und
langen Stosszähnen, oder im faltigen Priestergewande, mit ehr-
würdiger Greisenmiene und wallendem Bart, — bald aus Stein ge-
meisselt, Portugiesen und Holländer in steifen altfränkischen Uni-
formen darstellend. Sowohl gute als böse Geister scheinen als
Thürhüter zu fungiren; man weiss nicht recht, für welche die
Fremden gemeint sind.

Dem Flussthor gegenüber liegt innerhalb Wat Po ein Tem-
pelchen, das über und über, selbst auf den Dachflächen mit reicher
farbiger Stuckzier bedeckt ist. Dann kommt ein Hof mit drei
gleichartigen Pratšedi, so heissen gewisse spitz zulaufende Monu-
mente bei den siamesischen Tempeln; ihr Grundriss ist meistens
vierseitig, mit verkröpften Ecken; der Sockel erhebt sich in reicher
Profilirung bis zum Drittheil der ganzen Höhe; darauf steht ein
Körper von schlankem Glockenprofil, gekrönt von einer spindel-
förmigen Spitze. Bekleidet sind die Pratšedi von Wat Po, — die
schönsten in Baṅkok, — mit bunten Kacheln, die reizende Muster
bilden; die Farbenwirkung ist harmonisch und milde. Eben so
schön und von der zierlichsten Zeichnung ist ein Glockenhäuschen
im nächsten Hofe; die organische Entwickelung aus der Grund-
form bis in die letzten Einzelnheiten des reichen Zierraths, die
schlanken Verhältnisse, in denen es leicht und stolz in die Luft
strebt, zeugen von hoher Meisterschaft des Architecten. Aehnliches
lässt sich von anderen Bauten sagen, wenn auch das wüste Durch-
einander phantastischer Motive, zu welchem asiatische Baumeister,
nach Fülle und Abwechselung strebend, das ganze Thier- und
Pflanzenreich mit den tollen Gebilden ihrer Fabelwelt verarbeiten,
in der Nähe meist verwirrend und bedrückend wirkt.

Wie weit die Baukunst der Siamesen auf dem Landesboden
gewachsen oder den Nachbarländern Birma, Pegu, Laos, Kamboǰa
entlehnt ist, welche so stark auf ihre Geschicke wirkten, liesse sich
nur durch Vergleichung mit deren Werken erkennen. Einen aus-

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[277/0291] XXI. Wat Po. Teichen, Brücken, grotesken Steinbildern und allerlei baulichem Schnickschnack. Gleich am Eingang liegt ein solcher Hof, in dessen Teich unter Felsen und üppigen Blattpflanzen ein ausgewachsenes Crocodil haust; träge und schwerfällig lässt es, am Ufer ausgestreckt, alle Neckereien über sich ergehen ohne aufzublicken. — Vor den mit Goldstuck und Glasmosaik geschmückten Tempelportalen stehen colossale Gestalten der Thürhüter, bald aus Gypsstuck, in reicher phantastischer Goldrüstung, mit grimmigem Dämonenhaupt und langen Stosszähnen, oder im faltigen Priestergewande, mit ehr- würdiger Greisenmiene und wallendem Bart, — bald aus Stein ge- meisselt, Portugiesen und Holländer in steifen altfränkischen Uni- formen darstellend. Sowohl gute als böse Geister scheinen als Thürhüter zu fungiren; man weiss nicht recht, für welche die Fremden gemeint sind. Dem Flussthor gegenüber liegt innerhalb Wat Po ein Tem- pelchen, das über und über, selbst auf den Dachflächen mit reicher farbiger Stuckzier bedeckt ist. Dann kommt ein Hof mit drei gleichartigen Pratšedi, so heissen gewisse spitz zulaufende Monu- mente bei den siamesischen Tempeln; ihr Grundriss ist meistens vierseitig, mit verkröpften Ecken; der Sockel erhebt sich in reicher Profilirung bis zum Drittheil der ganzen Höhe; darauf steht ein Körper von schlankem Glockenprofil, gekrönt von einer spindel- förmigen Spitze. Bekleidet sind die Pratšedi von Wat Po, — die schönsten in Baṅkok, — mit bunten Kacheln, die reizende Muster bilden; die Farbenwirkung ist harmonisch und milde. Eben so schön und von der zierlichsten Zeichnung ist ein Glockenhäuschen im nächsten Hofe; die organische Entwickelung aus der Grund- form bis in die letzten Einzelnheiten des reichen Zierraths, die schlanken Verhältnisse, in denen es leicht und stolz in die Luft strebt, zeugen von hoher Meisterschaft des Architecten. Aehnliches lässt sich von anderen Bauten sagen, wenn auch das wüste Durch- einander phantastischer Motive, zu welchem asiatische Baumeister, nach Fülle und Abwechselung strebend, das ganze Thier- und Pflanzenreich mit den tollen Gebilden ihrer Fabelwelt verarbeiten, in der Nähe meist verwirrend und bedrückend wirkt. Wie weit die Baukunst der Siamesen auf dem Landesboden gewachsen oder den Nachbarländern Birma, Pegu, Laos, Kamboǰa entlehnt ist, welche so stark auf ihre Geschicke wirkten, liesse sich nur durch Vergleichung mit deren Werken erkennen. Einen aus-

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Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/291>, abgerufen am 25.04.2024.