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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

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XXI. Siamesische Grosse.
denn die meisten Reviere dieser Waldstadt, wo es mehr Palmen als
Häuser geben mag, sind auch in der trockenen Jahreszeit nur zu
Wasser zugänglich.

Herr Pieschel besuchte sogleich die Consuln von England
und Frankreich, Sir Robert Schomburgk und Comte de Castelnau,
und liess sich durch Ersteren am 25. November dem Phra-Klan
oder Minister des Auswärtigen,53) Tsau Phya Rawe Mons Kosadhi-
puti
vorstellen, der ihn freundschaftlich empfing und im voraus die
Erfüllung aller Wünsche verhiess. Er stellte sofort eine hinreichende
Zahl königlicher Boote zur Verfügung, wollte alle Anordnungen für
die Reisen der Naturforscher treffen und das für die preussische
Gesandtschaft bestimmte Gebäude sofort in Bereitschaft setzen. Dort
wurde schon rüstig gearbeitet. Der Phra-Klan, ein wohlgenährter
Herr mit breitem pockennarbigem Antlitz, zeigte Herrn Pieschel die
Räumlichkeiten und entschuldigte sich wegen deren Unzulänglichkeit:
Siam sei ein armes Land und könne es nicht besser geben. -- Er
trug den Saron,54) ein viereckiges Stück gemusterten Baumwollen-
zeuges, das um die Hüften gewunden und mit einem zwischen den
Lenden rückwärts durch den Gürtel gezogenen Zipfel festgehalten
wird, und eine graue Merino-Jacke. Das ist die gewöhnliche Tracht
der Siamesen; Schuh, Strümpfe und Wäsche mögen sie nicht; auch
die Jacke legen zur heissen Tageszeit selbst die Vornehmsten ab,
so dass nur jener Schurz übrig bleibt. Bei Festlichkeiten tragen
die Grossen oft kostbare Gewänder, auch wohl europäische Unifor-
men; im gewöhnlichen Leben unterscheiden sie sich kaum von ihren
Trabanten, die gesenkten Hauptes im Staube kriechen. -- Das Haar
wird bei Männern und Frauen rings um den Kopf geschoren; auf
dem Scheitel bleibt etwa handgross ein Schopf stehen, der zolllang
geschnitten, bürstenartig aufrecht steht.

Prinz Khroma-Luan Wonsa Dirai Snid, ein Halbbruder der
beiden Könige, der schon seinen Sohn auf die Rhede hinausschickte,
erschien mit zwei Töchtern wenige Stunden nach Herrn Pieschel's
Ankunft zu dessen Begrüssung im Hause des Herrn Markwald.
Bei Erwiederung des Besuches fand ihn der Legationssecretär in
dem schwimmenden Hause vor seinem Palast, das er am liebsten

53) Phra-Klan heisst Grossschatzmeister; Siam's Beziehungen zu fremden Völkern
scheinen zu allen Zeiten durch Träger dieser Würde vermittelt worden zu sein.
54) So nennen gewöhnlich die Fremden dieses Kleidungsstück, dessen siamesischer
Namen nach Pallegoix Languti lautet.

XXI. Siamesische Grosse.
denn die meisten Reviere dieser Waldstadt, wo es mehr Palmen als
Häuser geben mag, sind auch in der trockenen Jahreszeit nur zu
Wasser zugänglich.

Herr Pieschel besuchte sogleich die Consuln von England
und Frankreich, Sir Robert Schomburgk und Comte de Castelnau,
und liess sich durch Ersteren am 25. November dem Phra-Klaṅ
oder Minister des Auswärtigen,53) Tšau Phya Rawe Moṅs Kosadhi-
puti
vorstellen, der ihn freundschaftlich empfing und im voraus die
Erfüllung aller Wünsche verhiess. Er stellte sofort eine hinreichende
Zahl königlicher Boote zur Verfügung, wollte alle Anordnungen für
die Reisen der Naturforscher treffen und das für die preussische
Gesandtschaft bestimmte Gebäude sofort in Bereitschaft setzen. Dort
wurde schon rüstig gearbeitet. Der Phra-Klaṅ, ein wohlgenährter
Herr mit breitem pockennarbigem Antlitz, zeigte Herrn Pieschel die
Räumlichkeiten und entschuldigte sich wegen deren Unzulänglichkeit:
Siam sei ein armes Land und könne es nicht besser geben. — Er
trug den Saroṅ,54) ein viereckiges Stück gemusterten Baumwollen-
zeuges, das um die Hüften gewunden und mit einem zwischen den
Lenden rückwärts durch den Gürtel gezogenen Zipfel festgehalten
wird, und eine graue Merino-Jacke. Das ist die gewöhnliche Tracht
der Siamesen; Schuh, Strümpfe und Wäsche mögen sie nicht; auch
die Jacke legen zur heissen Tageszeit selbst die Vornehmsten ab,
so dass nur jener Schurz übrig bleibt. Bei Festlichkeiten tragen
die Grossen oft kostbare Gewänder, auch wohl europäische Unifor-
men; im gewöhnlichen Leben unterscheiden sie sich kaum von ihren
Trabanten, die gesenkten Hauptes im Staube kriechen. — Das Haar
wird bei Männern und Frauen rings um den Kopf geschoren; auf
dem Scheitel bleibt etwa handgross ein Schopf stehen, der zolllang
geschnitten, bürstenartig aufrecht steht.

Prinz Khroma-Luaṅ Woṅsa Dirai Snid, ein Halbbruder der
beiden Könige, der schon seinen Sohn auf die Rhede hinausschickte,
erschien mit zwei Töchtern wenige Stunden nach Herrn Pieschel’s
Ankunft zu dessen Begrüssung im Hause des Herrn Markwald.
Bei Erwiederung des Besuches fand ihn der Legationssecretär in
dem schwimmenden Hause vor seinem Palast, das er am liebsten

53) Phra-Klaṅ heisst Grossschatzmeister; Siam’s Beziehungen zu fremden Völkern
scheinen zu allen Zeiten durch Träger dieser Würde vermittelt worden zu sein.
54) So nennen gewöhnlich die Fremden dieses Kleidungsstück, dessen siamesischer
Namen nach Pallégoix Languti lautet.
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[231/0245] XXI. Siamesische Grosse. denn die meisten Reviere dieser Waldstadt, wo es mehr Palmen als Häuser geben mag, sind auch in der trockenen Jahreszeit nur zu Wasser zugänglich. Herr Pieschel besuchte sogleich die Consuln von England und Frankreich, Sir Robert Schomburgk und Comte de Castelnau, und liess sich durch Ersteren am 25. November dem Phra-Klaṅ oder Minister des Auswärtigen, 53) Tšau Phya Rawe Moṅs Kosadhi- puti vorstellen, der ihn freundschaftlich empfing und im voraus die Erfüllung aller Wünsche verhiess. Er stellte sofort eine hinreichende Zahl königlicher Boote zur Verfügung, wollte alle Anordnungen für die Reisen der Naturforscher treffen und das für die preussische Gesandtschaft bestimmte Gebäude sofort in Bereitschaft setzen. Dort wurde schon rüstig gearbeitet. Der Phra-Klaṅ, ein wohlgenährter Herr mit breitem pockennarbigem Antlitz, zeigte Herrn Pieschel die Räumlichkeiten und entschuldigte sich wegen deren Unzulänglichkeit: Siam sei ein armes Land und könne es nicht besser geben. — Er trug den Saroṅ, 54) ein viereckiges Stück gemusterten Baumwollen- zeuges, das um die Hüften gewunden und mit einem zwischen den Lenden rückwärts durch den Gürtel gezogenen Zipfel festgehalten wird, und eine graue Merino-Jacke. Das ist die gewöhnliche Tracht der Siamesen; Schuh, Strümpfe und Wäsche mögen sie nicht; auch die Jacke legen zur heissen Tageszeit selbst die Vornehmsten ab, so dass nur jener Schurz übrig bleibt. Bei Festlichkeiten tragen die Grossen oft kostbare Gewänder, auch wohl europäische Unifor- men; im gewöhnlichen Leben unterscheiden sie sich kaum von ihren Trabanten, die gesenkten Hauptes im Staube kriechen. — Das Haar wird bei Männern und Frauen rings um den Kopf geschoren; auf dem Scheitel bleibt etwa handgross ein Schopf stehen, der zolllang geschnitten, bürstenartig aufrecht steht. Prinz Khroma-Luaṅ Woṅsa Dirai Snid, ein Halbbruder der beiden Könige, der schon seinen Sohn auf die Rhede hinausschickte, erschien mit zwei Töchtern wenige Stunden nach Herrn Pieschel’s Ankunft zu dessen Begrüssung im Hause des Herrn Markwald. Bei Erwiederung des Besuches fand ihn der Legationssecretär in dem schwimmenden Hause vor seinem Palast, das er am liebsten 53) Phra-Klaṅ heisst Grossschatzmeister; Siam’s Beziehungen zu fremden Völkern scheinen zu allen Zeiten durch Träger dieser Würde vermittelt worden zu sein. 54) So nennen gewöhnlich die Fremden dieses Kleidungsstück, dessen siamesischer Namen nach Pallégoix Languti lautet.

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Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/245>, abgerufen am 24.04.2024.