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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

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Der Staatsstreich in Pe-kin. XIX.
die Hauptsache, solche Aenderungen zu treffen, als die Umstände er-
fordern". Wir gaben deshalb persönlich Tsae-yuen und seinen Amts-
genossen den ausdrücklichen Befehl, ein Decret zu erlassen, das des
Censors Bitte gewährte. Als sie aber erschienen um ihre Antwort zu
geben, vergassen sie so gänzlich ihre Pflichten als unsere Diener, dass
sie in schreiendem Ton Einwürfe erhoben. Zweitens, als sie das
Decret ausfertigten, das in unserem Namen erlassen werden sollte,
sind sie unter dem Schein des Gehorsams uns im Geheimen ungehorsam
gewesen, indem sie sich erkühnten Aenderungen in dem Erlass
vorzunehmen, den sie dann als unsere Willensäusserung publicirten.
Was in aller Welt war ihr Motiv dabei? Wenn noch dazu bei jeder
Gelegenheit Tsae-yuen vorschützte, dass Dieses oder Jenes unthunlich
sei, weil sie sich nicht die höchste Macht anzumaassen wagten, --
was war wohl diese Handlung anderes als eine Anmaassung der höch-
sten Macht?

Wenn auch unsere eigene Jugend und die unvollkommene
Kenntniss der Kaiserin-Wittwe von den Staatsgeschäften es in ihre
Macht gelegt hätten, Betrug und Täuschung zu üben so weit wir be-
theiligt sind, so könnten sie doch nicht das ganze Reich betrügen; und
wollten wir länger Nachsicht üben gegen Diejenigen, welche sich so
undankbar zeigten für die grosse Gunst Seiner dahingegangenen Ma-
jestät, wie sollten wir es, in Ehrfurcht nach oben blickend, vor seinem
Geist, der jetzt im Himmel ist, verantworten oder wie der öffentlichen
Meinung des ganzen Reiches Genüge leisten?

Wir befehlen also, dass Tsae-yuen, Twan-wa und Su-tsuen
aus ihren Stellungen entfernt werden und dass Kin-san, Mu-yin,
Kwan-yuen, Tu-han, Tsian-yu-yin
aus dem Grossen Staatsrath
scheiden; und wir beauftragen den Prinzen von Kun im Einvernehmen
mit dem Gross-Secretariat, den sechs Ministerien, den neun hohen Ge-
richtshöfen, den Han-lin-yuen, den Sen-tse-fu und den Censoren
unparteiisch zu überlegen und zu berichten über den Grad der Strafe,
dessen sich jeder Einzelne dem Gesetze nach durch seine Verbrechen
schuldig gemacht hat.

In Bezug auf die Form, in welcher Ihre Majestät die Kaiserin-
Wittwe die Regierung leiten soll, befehlen wir denselben Würdenträgern,
Rath zu pflegen und uns zu berichten.

Ein ausserordentliches Decret."

Nach Verlesung dieses Befehls fragte der Prinz von Kun
die Versammelten ohne ihnen Zeit zu Erörterungen zu lassen, ob
sie gehorchten; auf ihr Ja befahl er ihnen, sich zu entfernen.
Wahrscheinlich waren für den Fall der Widersetzlichkeit alle

Der Staatsstreich in Pe-kiṅ. XIX.
die Hauptsache, solche Aenderungen zu treffen, als die Umstände er-
fordern«. Wir gaben deshalb persönlich Tsae-yuen und seinen Amts-
genossen den ausdrücklichen Befehl, ein Decret zu erlassen, das des
Censors Bitte gewährte. Als sie aber erschienen um ihre Antwort zu
geben, vergassen sie so gänzlich ihre Pflichten als unsere Diener, dass
sie in schreiendem Ton Einwürfe erhoben. Zweitens, als sie das
Decret ausfertigten, das in unserem Namen erlassen werden sollte,
sind sie unter dem Schein des Gehorsams uns im Geheimen ungehorsam
gewesen, indem sie sich erkühnten Aenderungen in dem Erlass
vorzunehmen, den sie dann als unsere Willensäusserung publicirten.
Was in aller Welt war ihr Motiv dabei? Wenn noch dazu bei jeder
Gelegenheit Tsae-yuen vorschützte, dass Dieses oder Jenes unthunlich
sei, weil sie sich nicht die höchste Macht anzumaassen wagten, —
was war wohl diese Handlung anderes als eine Anmaassung der höch-
sten Macht?

Wenn auch unsere eigene Jugend und die unvollkommene
Kenntniss der Kaiserin-Wittwe von den Staatsgeschäften es in ihre
Macht gelegt hätten, Betrug und Täuschung zu üben so weit wir be-
theiligt sind, so könnten sie doch nicht das ganze Reich betrügen; und
wollten wir länger Nachsicht üben gegen Diejenigen, welche sich so
undankbar zeigten für die grosse Gunst Seiner dahingegangenen Ma-
jestät, wie sollten wir es, in Ehrfurcht nach oben blickend, vor seinem
Geist, der jetzt im Himmel ist, verantworten oder wie der öffentlichen
Meinung des ganzen Reiches Genüge leisten?

Wir befehlen also, dass Tsae-yuen, Twan-wa und Su-tšuen
aus ihren Stellungen entfernt werden und dass Kiṅ-šan, Mu-yin,
Kwaṅ-yuen, Tu-han, Tsian-yu-yiṅ
aus dem Grossen Staatsrath
scheiden; und wir beauftragen den Prinzen von Kuṅ im Einvernehmen
mit dem Gross-Secretariat, den sechs Ministerien, den neun hohen Ge-
richtshöfen, den Han-lin-yuen, den Šen-tse-fu und den Censoren
unparteiisch zu überlegen und zu berichten über den Grad der Strafe,
dessen sich jeder Einzelne dem Gesetze nach durch seine Verbrechen
schuldig gemacht hat.

In Bezug auf die Form, in welcher Ihre Majestät die Kaiserin-
Wittwe die Regierung leiten soll, befehlen wir denselben Würdenträgern,
Rath zu pflegen und uns zu berichten.

Ein ausserordentliches Decret.«

Nach Verlesung dieses Befehls fragte der Prinz von Kuṅ
die Versammelten ohne ihnen Zeit zu Erörterungen zu lassen, ob
sie gehorchten; auf ihr Ja befahl er ihnen, sich zu entfernen.
Wahrscheinlich waren für den Fall der Widersetzlichkeit alle

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[206/0220] Der Staatsstreich in Pe-kiṅ. XIX. die Hauptsache, solche Aenderungen zu treffen, als die Umstände er- fordern«. Wir gaben deshalb persönlich Tsae-yuen und seinen Amts- genossen den ausdrücklichen Befehl, ein Decret zu erlassen, das des Censors Bitte gewährte. Als sie aber erschienen um ihre Antwort zu geben, vergassen sie so gänzlich ihre Pflichten als unsere Diener, dass sie in schreiendem Ton Einwürfe erhoben. Zweitens, als sie das Decret ausfertigten, das in unserem Namen erlassen werden sollte, sind sie unter dem Schein des Gehorsams uns im Geheimen ungehorsam gewesen, indem sie sich erkühnten Aenderungen in dem Erlass vorzunehmen, den sie dann als unsere Willensäusserung publicirten. Was in aller Welt war ihr Motiv dabei? Wenn noch dazu bei jeder Gelegenheit Tsae-yuen vorschützte, dass Dieses oder Jenes unthunlich sei, weil sie sich nicht die höchste Macht anzumaassen wagten, — was war wohl diese Handlung anderes als eine Anmaassung der höch- sten Macht? Wenn auch unsere eigene Jugend und die unvollkommene Kenntniss der Kaiserin-Wittwe von den Staatsgeschäften es in ihre Macht gelegt hätten, Betrug und Täuschung zu üben so weit wir be- theiligt sind, so könnten sie doch nicht das ganze Reich betrügen; und wollten wir länger Nachsicht üben gegen Diejenigen, welche sich so undankbar zeigten für die grosse Gunst Seiner dahingegangenen Ma- jestät, wie sollten wir es, in Ehrfurcht nach oben blickend, vor seinem Geist, der jetzt im Himmel ist, verantworten oder wie der öffentlichen Meinung des ganzen Reiches Genüge leisten? Wir befehlen also, dass Tsae-yuen, Twan-wa und Su-tšuen aus ihren Stellungen entfernt werden und dass Kiṅ-šan, Mu-yin, Kwaṅ-yuen, Tu-han, Tsian-yu-yiṅ aus dem Grossen Staatsrath scheiden; und wir beauftragen den Prinzen von Kuṅ im Einvernehmen mit dem Gross-Secretariat, den sechs Ministerien, den neun hohen Ge- richtshöfen, den Han-lin-yuen, den Šen-tse-fu und den Censoren unparteiisch zu überlegen und zu berichten über den Grad der Strafe, dessen sich jeder Einzelne dem Gesetze nach durch seine Verbrechen schuldig gemacht hat. In Bezug auf die Form, in welcher Ihre Majestät die Kaiserin- Wittwe die Regierung leiten soll, befehlen wir denselben Würdenträgern, Rath zu pflegen und uns zu berichten. Ein ausserordentliches Decret.« Nach Verlesung dieses Befehls fragte der Prinz von Kuṅ die Versammelten ohne ihnen Zeit zu Erörterungen zu lassen, ob sie gehorchten; auf ihr Ja befahl er ihnen, sich zu entfernen. Wahrscheinlich waren für den Fall der Widersetzlichkeit alle

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Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/220>, abgerufen am 28.03.2024.