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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

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Tempeldienst. Moschee. XIX.
Seele labte ja der Duft, und der Bonze hat es bescheinigt. -- Seine
Cigarre rauchend schaut man ungestört dem Treiben zu, und wenn
sie ausgeht, bringt der Bonze, ein Trinkgeld erwartend, höflich die
vor dem nächsten Götzenbild brennende Glimmkerze.

Etwas ehrwürdiger war der Cultus in dem grossen Kloster-
tempel auf Ho-nan, einer weitläufigen alten Anlage mit labyrinthischen
Höfen und schönen Gärten. Im grossen Hauptgebäude gingen
Hunderte von Bonzen im Gänsemarsch, rythmisch singend, mit ge-
faltenen Händen, in gewundenem Gange vielfach um die Altäre
herum, während einige an hellgestimmte Becken schlugen. Darauf
ordneten sie sich vor den Altären in regelmässige Gruppen und be-
gannen eine Art Litanei, halb singend, halb redend, mit vielfach
wechselndem Rythmus, theils in Solostimmen, theils im Chor, mit
Begleitung des Gongs, das etwa von Minute zu Minute, bei lang-
samen Rythmen seltener angeschlagen wurde. Sehr verschieden-
artig waren die Physiognomieen der Mönche: da gab es ascetische,
phlegmatische, gleichgültige, fanatische, stumpfe und blöde, auch
schlaue und joviale Gesichter; einige trugen den Ausdruck gläubiger
Frömmigkeit.

Wahrscheinlich giebt es in Kan-ton noch andere Formen
des Cultus; der chinesisch-buddistische ist der vorherrschende, der
tibetanisch-buddistische Lama-Dienst scheint in den südlichen
Landschaften nicht verbreitet zu sein. -- Die Moschee der Moslems,
deren in Kan-ton 30,000 wohnen sollen, steht in der Tartarenstadt,
ein stattliches Gebäude augenscheinlich von hohem Alter, mit
arabischen Anklängen im Innern, nach Mekka gewendetem Mirab
und verfallenem Minaret; sonst ist das Aeussere chinesisch. Ueber
die Gründung dieser Gemeinde fehlen dem Verfasser die Nach-
richten; wahrscheinlich ist sie auf die arabischen Kaufleute zurück-
zuführen, die vom 9. bis zum 13. Jahrhundert so zahlreich nach
Kan-ton kamen.

Die Umgebung der Stadt ist freundlich. Hier und da schnei-
det ein Hügelkamm die Ebene. Zwischen den Reisfeldern laufen
erhöhte Pfade hin; Dörfer und Tempel liegen in dichtem Bambus-
gebüsch oder schattigen Wäldchen. Eine halbe Stunde flussabwärts
steht auf Ho-nan eine steinerne Pagode von hübschen Verhält-
nissen; im Innern sieht man bis in die Spitze des schlanken Bau-
werks; kein Balken, keine Treppe hindert den Blick. Der Stand-
ort auf einem Hügel bietet die schönste Aussicht nach dem be-

Tempeldienst. Moschee. XIX.
Seele labte ja der Duft, und der Bonze hat es bescheinigt. — Seine
Cigarre rauchend schaut man ungestört dem Treiben zu, und wenn
sie ausgeht, bringt der Bonze, ein Trinkgeld erwartend, höflich die
vor dem nächsten Götzenbild brennende Glimmkerze.

Etwas ehrwürdiger war der Cultus in dem grossen Kloster-
tempel auf Ho-nan, einer weitläufigen alten Anlage mit labyrinthischen
Höfen und schönen Gärten. Im grossen Hauptgebäude gingen
Hunderte von Bonzen im Gänsemarsch, rythmisch singend, mit ge-
faltenen Händen, in gewundenem Gange vielfach um die Altäre
herum, während einige an hellgestimmte Becken schlugen. Darauf
ordneten sie sich vor den Altären in regelmässige Gruppen und be-
gannen eine Art Litanei, halb singend, halb redend, mit vielfach
wechselndem Rythmus, theils in Solostimmen, theils im Chor, mit
Begleitung des Gongs, das etwa von Minute zu Minute, bei lang-
samen Rythmen seltener angeschlagen wurde. Sehr verschieden-
artig waren die Physiognomieen der Mönche: da gab es ascetische,
phlegmatische, gleichgültige, fanatische, stumpfe und blöde, auch
schlaue und joviale Gesichter; einige trugen den Ausdruck gläubiger
Frömmigkeit.

Wahrscheinlich giebt es in Kan-ton noch andere Formen
des Cultus; der chinesisch-buddistische ist der vorherrschende, der
tibetanisch-buddistische Lama-Dienst scheint in den südlichen
Landschaften nicht verbreitet zu sein. — Die Moschee der Moslems,
deren in Kan-ton 30,000 wohnen sollen, steht in der Tartarenstadt,
ein stattliches Gebäude augenscheinlich von hohem Alter, mit
arabischen Anklängen im Innern, nach Mekka gewendetem Mirab
und verfallenem Minaret; sonst ist das Aeussere chinesisch. Ueber
die Gründung dieser Gemeinde fehlen dem Verfasser die Nach-
richten; wahrscheinlich ist sie auf die arabischen Kaufleute zurück-
zuführen, die vom 9. bis zum 13. Jahrhundert so zahlreich nach
Kan-ton kamen.

Die Umgebung der Stadt ist freundlich. Hier und da schnei-
det ein Hügelkamm die Ebene. Zwischen den Reisfeldern laufen
erhöhte Pfade hin; Dörfer und Tempel liegen in dichtem Bambus-
gebüsch oder schattigen Wäldchen. Eine halbe Stunde flussabwärts
steht auf Ho-nan eine steinerne Pagode von hübschen Verhält-
nissen; im Innern sieht man bis in die Spitze des schlanken Bau-
werks; kein Balken, keine Treppe hindert den Blick. Der Stand-
ort auf einem Hügel bietet die schönste Aussicht nach dem be-

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[196/0210] Tempeldienst. Moschee. XIX. Seele labte ja der Duft, und der Bonze hat es bescheinigt. — Seine Cigarre rauchend schaut man ungestört dem Treiben zu, und wenn sie ausgeht, bringt der Bonze, ein Trinkgeld erwartend, höflich die vor dem nächsten Götzenbild brennende Glimmkerze. Etwas ehrwürdiger war der Cultus in dem grossen Kloster- tempel auf Ho-nan, einer weitläufigen alten Anlage mit labyrinthischen Höfen und schönen Gärten. Im grossen Hauptgebäude gingen Hunderte von Bonzen im Gänsemarsch, rythmisch singend, mit ge- faltenen Händen, in gewundenem Gange vielfach um die Altäre herum, während einige an hellgestimmte Becken schlugen. Darauf ordneten sie sich vor den Altären in regelmässige Gruppen und be- gannen eine Art Litanei, halb singend, halb redend, mit vielfach wechselndem Rythmus, theils in Solostimmen, theils im Chor, mit Begleitung des Gongs, das etwa von Minute zu Minute, bei lang- samen Rythmen seltener angeschlagen wurde. Sehr verschieden- artig waren die Physiognomieen der Mönche: da gab es ascetische, phlegmatische, gleichgültige, fanatische, stumpfe und blöde, auch schlaue und joviale Gesichter; einige trugen den Ausdruck gläubiger Frömmigkeit. Wahrscheinlich giebt es in Kan-ton noch andere Formen des Cultus; der chinesisch-buddistische ist der vorherrschende, der tibetanisch-buddistische Lama-Dienst scheint in den südlichen Landschaften nicht verbreitet zu sein. — Die Moschee der Moslems, deren in Kan-ton 30,000 wohnen sollen, steht in der Tartarenstadt, ein stattliches Gebäude augenscheinlich von hohem Alter, mit arabischen Anklängen im Innern, nach Mekka gewendetem Mirab und verfallenem Minaret; sonst ist das Aeussere chinesisch. Ueber die Gründung dieser Gemeinde fehlen dem Verfasser die Nach- richten; wahrscheinlich ist sie auf die arabischen Kaufleute zurück- zuführen, die vom 9. bis zum 13. Jahrhundert so zahlreich nach Kan-ton kamen. Die Umgebung der Stadt ist freundlich. Hier und da schnei- det ein Hügelkamm die Ebene. Zwischen den Reisfeldern laufen erhöhte Pfade hin; Dörfer und Tempel liegen in dichtem Bambus- gebüsch oder schattigen Wäldchen. Eine halbe Stunde flussabwärts steht auf Ho-nan eine steinerne Pagode von hübschen Verhält- nissen; im Innern sieht man bis in die Spitze des schlanken Bau- werks; kein Balken, keine Treppe hindert den Blick. Der Stand- ort auf einem Hügel bietet die schönste Aussicht nach dem be-

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Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/210>, abgerufen am 19.04.2024.