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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

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XIX. Fahrt nach Kan-ton.
giebt grosse Summen aus, um die breiten Strassen und Plätze
mit Bäumen zu bepflanzen; ihre chinesischen Unterthanen stehlen
sie aber trotz aller Wachsamkeit der Polizei mit löblicher Ausdauer.

Am 20. November fuhr der Gesandte mit einigen seiner Be-
gleiter auf dem Dampfer "Hankow" nach Kan-ton. Das Schiff ist
in America gebaut, ein Flussdampfer der besten Art, einem schwim-
menden Hause vergleichbar. Ein kühnes Wagstück muss es ge-
wesen sein, das Fahrzeug über den Ocean zu bringen. -- Morgens
um acht ging es von Hong-kong ab. Das untere Stockwerk wimmelte
von Chinesen; das obere ist sehr elegant nur für westländische
Reisende eingerichtet und enthält einen Speisesaal, Salon, Rauch-
zimmer u. s. w. Die Maschine liegt grossentheils über dem schmalen
scharfgebauten Rumpf; ihre Hebel ragen hoch über die Radkasten
der ungeheuren Schaufelräder. -- Die Fahrt ist reizend. Zuerst
saust das Schiff in fliegender Eile durch dichtgedrängte Dschunken;
jeden Augenblick glaubt man anzurennen; aber vorn an der Spitze
drehen zwei Chinesen, einander so gleich wie ein Ei dem anderen,
mit unbeweglicher Miene das Steuerrad; wie aus einem Guss, von
einem Willen gelenkt sind ihre Bewegungen, man glaubt denselben
Menschen doppelt zu sehen. Der americanische Capitän leitet hinter
ihnen stehend den Gang der Maschine; auf Zollbreite streift der
Coloss an den Dschunken vorbei.

Ein Weilchen geht es darauf über freies Wasser, dann
zwischen die Felseilande hinein. Oft scheint der Ausgang ver-
sperrt; da schlüpft der Dampfer in scharfer Wendung durch einen
engen Canal, den Niemand ahnte. Auch diese Inseln sind kahl:
nur hier und da liegt ein Fischerdorf an heimlicher Bucht zwischen
dichte Wipfel gebettet. -- Nochmals öffnet sich die breite Meeres-
fläche, nach Süden unabsehbar. Dann läuft das Schiff in den Perl-
Fluss
, dessen weite Mündung von malerischen Fahrzeugen wimmelt:
da kreuzen Lorchas mit fächerförmigen Mattensegeln, und tausend
Fischerdschunken, denen ihre zum Trocknen über die Raaen ge-
hängten Netze die abenteuerlichste Gestalt geben. Auf überflutheten
Sandbänken waten einsame Fischer, ihre Netze stellend, bis an die
Hüften im Wasser. Noch schwimmen die Ufer in nebliger Ferne.

Von Tsuen-pi und Ti-kok-to gewahrte man wenig; erst
weiter hinauf verengt sich das Becken. Im Westen steigt die
sonderbar geformte Felsengruppe auf, deren Umriss einem lie-
genden Tiger verglichen wird; nach ihr nannten die Portugiesen

XIX. Fahrt nach Kan-ton.
giebt grosse Summen aus, um die breiten Strassen und Plätze
mit Bäumen zu bepflanzen; ihre chinesischen Unterthanen stehlen
sie aber trotz aller Wachsamkeit der Polizei mit löblicher Ausdauer.

Am 20. November fuhr der Gesandte mit einigen seiner Be-
gleiter auf dem Dampfer »Hankow« nach Kan-ton. Das Schiff ist
in America gebaut, ein Flussdampfer der besten Art, einem schwim-
menden Hause vergleichbar. Ein kühnes Wagstück muss es ge-
wesen sein, das Fahrzeug über den Ocean zu bringen. — Morgens
um acht ging es von Hong-kong ab. Das untere Stockwerk wimmelte
von Chinesen; das obere ist sehr elegant nur für westländische
Reisende eingerichtet und enthält einen Speisesaal, Salon, Rauch-
zimmer u. s. w. Die Maschine liegt grossentheils über dem schmalen
scharfgebauten Rumpf; ihre Hebel ragen hoch über die Radkasten
der ungeheuren Schaufelräder. — Die Fahrt ist reizend. Zuerst
saust das Schiff in fliegender Eile durch dichtgedrängte Dschunken;
jeden Augenblick glaubt man anzurennen; aber vorn an der Spitze
drehen zwei Chinesen, einander so gleich wie ein Ei dem anderen,
mit unbeweglicher Miene das Steuerrad; wie aus einem Guss, von
einem Willen gelenkt sind ihre Bewegungen, man glaubt denselben
Menschen doppelt zu sehen. Der americanische Capitän leitet hinter
ihnen stehend den Gang der Maschine; auf Zollbreite streift der
Coloss an den Dschunken vorbei.

Ein Weilchen geht es darauf über freies Wasser, dann
zwischen die Felseilande hinein. Oft scheint der Ausgang ver-
sperrt; da schlüpft der Dampfer in scharfer Wendung durch einen
engen Canal, den Niemand ahnte. Auch diese Inseln sind kahl:
nur hier und da liegt ein Fischerdorf an heimlicher Bucht zwischen
dichte Wipfel gebettet. — Nochmals öffnet sich die breite Meeres-
fläche, nach Süden unabsehbar. Dann läuft das Schiff in den Perl-
Fluss
, dessen weite Mündung von malerischen Fahrzeugen wimmelt:
da kreuzen Lorchas mit fächerförmigen Mattensegeln, und tausend
Fischerdschunken, denen ihre zum Trocknen über die Raaen ge-
hängten Netze die abenteuerlichste Gestalt geben. Auf überflutheten
Sandbänken waten einsame Fischer, ihre Netze stellend, bis an die
Hüften im Wasser. Noch schwimmen die Ufer in nebliger Ferne.

Von Tšuen-pi und Ti-kok-to gewahrte man wenig; erst
weiter hinauf verengt sich das Becken. Im Westen steigt die
sonderbar geformte Felsengruppe auf, deren Umriss einem lie-
genden Tiger verglichen wird; nach ihr nannten die Portugiesen

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[189/0203] XIX. Fahrt nach Kan-ton. giebt grosse Summen aus, um die breiten Strassen und Plätze mit Bäumen zu bepflanzen; ihre chinesischen Unterthanen stehlen sie aber trotz aller Wachsamkeit der Polizei mit löblicher Ausdauer. Am 20. November fuhr der Gesandte mit einigen seiner Be- gleiter auf dem Dampfer »Hankow« nach Kan-ton. Das Schiff ist in America gebaut, ein Flussdampfer der besten Art, einem schwim- menden Hause vergleichbar. Ein kühnes Wagstück muss es ge- wesen sein, das Fahrzeug über den Ocean zu bringen. — Morgens um acht ging es von Hong-kong ab. Das untere Stockwerk wimmelte von Chinesen; das obere ist sehr elegant nur für westländische Reisende eingerichtet und enthält einen Speisesaal, Salon, Rauch- zimmer u. s. w. Die Maschine liegt grossentheils über dem schmalen scharfgebauten Rumpf; ihre Hebel ragen hoch über die Radkasten der ungeheuren Schaufelräder. — Die Fahrt ist reizend. Zuerst saust das Schiff in fliegender Eile durch dichtgedrängte Dschunken; jeden Augenblick glaubt man anzurennen; aber vorn an der Spitze drehen zwei Chinesen, einander so gleich wie ein Ei dem anderen, mit unbeweglicher Miene das Steuerrad; wie aus einem Guss, von einem Willen gelenkt sind ihre Bewegungen, man glaubt denselben Menschen doppelt zu sehen. Der americanische Capitän leitet hinter ihnen stehend den Gang der Maschine; auf Zollbreite streift der Coloss an den Dschunken vorbei. Ein Weilchen geht es darauf über freies Wasser, dann zwischen die Felseilande hinein. Oft scheint der Ausgang ver- sperrt; da schlüpft der Dampfer in scharfer Wendung durch einen engen Canal, den Niemand ahnte. Auch diese Inseln sind kahl: nur hier und da liegt ein Fischerdorf an heimlicher Bucht zwischen dichte Wipfel gebettet. — Nochmals öffnet sich die breite Meeres- fläche, nach Süden unabsehbar. Dann läuft das Schiff in den Perl- Fluss, dessen weite Mündung von malerischen Fahrzeugen wimmelt: da kreuzen Lorchas mit fächerförmigen Mattensegeln, und tausend Fischerdschunken, denen ihre zum Trocknen über die Raaen ge- hängten Netze die abenteuerlichste Gestalt geben. Auf überflutheten Sandbänken waten einsame Fischer, ihre Netze stellend, bis an die Hüften im Wasser. Noch schwimmen die Ufer in nebliger Ferne. Von Tšuen-pi und Ti-kok-to gewahrte man wenig; erst weiter hinauf verengt sich das Becken. Im Westen steigt die sonderbar geformte Felsengruppe auf, deren Umriss einem lie- genden Tiger verglichen wird; nach ihr nannten die Portugiesen

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Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/203>, abgerufen am 20.04.2024.