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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

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XIV. Tsi-fu.
Fremden Tsi-fu dem in der Nähe gelegenen Tan-tsau vorzogen,
das in den Verträgen dem Handel freigegeben war. Die Bucht ist
geräumig und sicher, der Ankergrund vortrefflich.

Nachdem Arkona gegen drei Uhr Nachmittags Anker gewor-
fen, fuhren Graf Eulenburg und seine Begleiter an das Land und
erstiegen zunächst eine östlich der Stadt gelegene Höhe. Am Ab-
hang blühten Veilchen und ein fliederartiger Strauch; die Spitze
krönt burgartiges Gemäuer. Man blickte auf die am Strande ge-
lagerte, von grünen Gefilden umgebene Stadt, vor welcher die Ebbe
breite Wasserlachen stehen liess; malerische Dschunken lagen kreuz
und quer auf dem grünen Seetang wie auf einer Wiese gestrandet,
im Hafen eine ganze Flotte von Chinesen und fremde Kriegs- und
Handelsschiffe; dahinter die Klippeninseln, Cap Tsi-fu und das
hohe Meer, auf der Landseite ein duftiger Kranz steiler Fels-
gebirge.

Der Stadt, welche seit dem Kriege französische Garnison
hatte, sah man ihren Wohlstand kaum an: breite öde Strassen fast
ohne Kaufläden, die Häuser zwar massiv aus dem anstehenden
Granit, aber so roh und ungeschickt gebaut, wie in China selten
vorkommt. In offenen Buden hielten Krämer ihre Waare feil, unter
der uns auch hier die bunten Wiener Streichholzbüchsen entgegen
lachten. An Victualien sah man Birnen, Wallnüsse, gutes Weizen-
brod, lebende Waldschnepfen und Trappen. Einige Gassen sind
mit Quadern gepflastert; am Hauptplatz steht ein reinlich ge-
haltener Tempel, gegenüber ein Theater, vielmehr eine Bühne mit
geschnörkeltem Dachfirst, denn den Zuschauerraum bildet die
Strasse. Es war grade Vorstellung. Die Musiker begleiteten, im
Grunde der Scene sitzend, das Stück bald mit Becken und Cym-
beln, bald auf einer Art Dudelsack. Die Schauspieler entwickelten
das herrlichste Pathos und illustrirten ihre näselnde Recitation mit
mörderlichen Fratzen und gymnastischer Action, wobei viel Fahnen
und Schwerter geschwenkt wurden. In einer Scene hielten zwei
Männer eine blaue durch weisse Markirung der Steinfugen zur Burg-
mauer gestempelte Leinwand. Dahinter traten die Handelnden auf
Stühle: der schwerbedrängte Burgherr klagte sein Weh in schnei-
denden Trillertönen. Dann erschien vor der Mauer ein aufgeputzter
Held mit Trabanten, der mit dem ganzen Leibe gesticulirte und in
graziöser Wuth seinen Bart strich. Er liess sich einen Bogen rei-
chen und schoss einen Pfeil nach der Burgmauer, worauf einer von

XIV. Tši-fu.
Fremden Tši-fu dem in der Nähe gelegenen Taṅ-tšau vorzogen,
das in den Verträgen dem Handel freigegeben war. Die Bucht ist
geräumig und sicher, der Ankergrund vortrefflich.

Nachdem Arkona gegen drei Uhr Nachmittags Anker gewor-
fen, fuhren Graf Eulenburg und seine Begleiter an das Land und
erstiegen zunächst eine östlich der Stadt gelegene Höhe. Am Ab-
hang blühten Veilchen und ein fliederartiger Strauch; die Spitze
krönt burgartiges Gemäuer. Man blickte auf die am Strande ge-
lagerte, von grünen Gefilden umgebene Stadt, vor welcher die Ebbe
breite Wasserlachen stehen liess; malerische Dschunken lagen kreuz
und quer auf dem grünen Seetang wie auf einer Wiese gestrandet,
im Hafen eine ganze Flotte von Chinesen und fremde Kriegs- und
Handelsschiffe; dahinter die Klippeninseln, Cap Tši-fu und das
hohe Meer, auf der Landseite ein duftiger Kranz steiler Fels-
gebirge.

Der Stadt, welche seit dem Kriege französische Garnison
hatte, sah man ihren Wohlstand kaum an: breite öde Strassen fast
ohne Kaufläden, die Häuser zwar massiv aus dem anstehenden
Granit, aber so roh und ungeschickt gebaut, wie in China selten
vorkommt. In offenen Buden hielten Krämer ihre Waare feil, unter
der uns auch hier die bunten Wiener Streichholzbüchsen entgegen
lachten. An Victualien sah man Birnen, Wallnüsse, gutes Weizen-
brod, lebende Waldschnepfen und Trappen. Einige Gassen sind
mit Quadern gepflastert; am Hauptplatz steht ein reinlich ge-
haltener Tempel, gegenüber ein Theater, vielmehr eine Bühne mit
geschnörkeltem Dachfirst, denn den Zuschauerraum bildet die
Strasse. Es war grade Vorstellung. Die Musiker begleiteten, im
Grunde der Scene sitzend, das Stück bald mit Becken und Cym-
beln, bald auf einer Art Dudelsack. Die Schauspieler entwickelten
das herrlichste Pathos und illustrirten ihre näselnde Recitation mit
mörderlichen Fratzen und gymnastischer Action, wobei viel Fahnen
und Schwerter geschwenkt wurden. In einer Scene hielten zwei
Männer eine blaue durch weisse Markirung der Steinfugen zur Burg-
mauer gestempelte Leinwand. Dahinter traten die Handelnden auf
Stühle: der schwerbedrängte Burgherr klagte sein Weh in schnei-
denden Trillertönen. Dann erschien vor der Mauer ein aufgeputzter
Held mit Trabanten, der mit dem ganzen Leibe gesticulirte und in
graziöser Wuth seinen Bart strich. Er liess sich einen Bogen rei-
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[5/0019] XIV. Tši-fu. Fremden Tši-fu dem in der Nähe gelegenen Taṅ-tšau vorzogen, das in den Verträgen dem Handel freigegeben war. Die Bucht ist geräumig und sicher, der Ankergrund vortrefflich. Nachdem Arkona gegen drei Uhr Nachmittags Anker gewor- fen, fuhren Graf Eulenburg und seine Begleiter an das Land und erstiegen zunächst eine östlich der Stadt gelegene Höhe. Am Ab- hang blühten Veilchen und ein fliederartiger Strauch; die Spitze krönt burgartiges Gemäuer. Man blickte auf die am Strande ge- lagerte, von grünen Gefilden umgebene Stadt, vor welcher die Ebbe breite Wasserlachen stehen liess; malerische Dschunken lagen kreuz und quer auf dem grünen Seetang wie auf einer Wiese gestrandet, im Hafen eine ganze Flotte von Chinesen und fremde Kriegs- und Handelsschiffe; dahinter die Klippeninseln, Cap Tši-fu und das hohe Meer, auf der Landseite ein duftiger Kranz steiler Fels- gebirge. Der Stadt, welche seit dem Kriege französische Garnison hatte, sah man ihren Wohlstand kaum an: breite öde Strassen fast ohne Kaufläden, die Häuser zwar massiv aus dem anstehenden Granit, aber so roh und ungeschickt gebaut, wie in China selten vorkommt. In offenen Buden hielten Krämer ihre Waare feil, unter der uns auch hier die bunten Wiener Streichholzbüchsen entgegen lachten. An Victualien sah man Birnen, Wallnüsse, gutes Weizen- brod, lebende Waldschnepfen und Trappen. Einige Gassen sind mit Quadern gepflastert; am Hauptplatz steht ein reinlich ge- haltener Tempel, gegenüber ein Theater, vielmehr eine Bühne mit geschnörkeltem Dachfirst, denn den Zuschauerraum bildet die Strasse. Es war grade Vorstellung. Die Musiker begleiteten, im Grunde der Scene sitzend, das Stück bald mit Becken und Cym- beln, bald auf einer Art Dudelsack. Die Schauspieler entwickelten das herrlichste Pathos und illustrirten ihre näselnde Recitation mit mörderlichen Fratzen und gymnastischer Action, wobei viel Fahnen und Schwerter geschwenkt wurden. In einer Scene hielten zwei Männer eine blaue durch weisse Markirung der Steinfugen zur Burg- mauer gestempelte Leinwand. Dahinter traten die Handelnden auf Stühle: der schwerbedrängte Burgherr klagte sein Weh in schnei- denden Trillertönen. Dann erschien vor der Mauer ein aufgeputzter Held mit Trabanten, der mit dem ganzen Leibe gesticulirte und in graziöser Wuth seinen Bart strich. Er liess sich einen Bogen rei- chen und schoss einen Pfeil nach der Burgmauer, worauf einer von

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Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/19>, abgerufen am 19.04.2024.