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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

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Einwohnerzahl. XVII.
Gesandte der mächtigen britischen Nation ein Rosselenker! --
Eines Tages kam Charlie, ein grosser Jagdhund des Herrn Bruce,
der Liebling der ganzen Gesandtschaft, in ein Zimmer, wo sich
grade der die Wache commandirende junge Officier mit einem der
Dolmetscher und dessen chinesischem Sprachgelehrten Tsan befand.
Letzterer blickte finster, als der Officier den Hund neckte und konnte
seinen Aerger kaum verbergen, als die Balgerei etwas toller wurde.
Als aber der junge Krieger dem Hunde gar in's Ohr bellte, hielt
Tsan sich nicht länger; er nahm seine Brille von der Nase, steckte
sie würdevoll ein und schritt voll Entrüstung hinaus. -- Folgenden
Tages fragte er den Dolmetscher nach Rang und Stellung des
hundefreundlichen Herrn und äusserte darauf, dass sein Stand
Alles erkläre: auch in China hätten die Mandarinen des Kriegerstan-
des keine Erziehung. Uebrigens habe Charlie selbst gebrummt, als
der Officier ihm in das Ohr bellte, und damit mehr Würde bewiesen
als dieser. -- Charlie erwarb sich bei der chinesischen Dienerschaft
bald solche Achtung, dass sie ihn nicht anders nannten als Tsa-
ta-lau-ye
, -- etwa Charles Esquire.

Im vertrauten Verkehr mit ihren Linguisten, welche den
grössten Theil des Tages in den Legationen zuzubringen pflegten,
erhielten die Diplomaten auch wichtige Aufschlüsse über die Haupt-
stadt und deren Bewohner. Die früheren Angaben über die Ein-
wohnerzahl waren sehr schwankend und sicher übertrieben. Zäh-
lungen wurden auch jetzt nicht veranstaltet; die Schätzungen der
Linguisten beruhten aber auf langjähriger Beobachtung und zuver-
lässiger Rechnung; sie stimmten ziemlich genau dahin überein, dass
die Tartarenstadt in runder Zahl gegen 100,000 Hausstände enthalte.
Da nun verheirathete Söhne in China meist bei den Eltern wohnen,
so rechnete man jeden Hausstand durchschnittlich auf 8 Köpfe.
Die Garnison war über 100,000 Mann stark. Auf die Chinesenstadt
rechnete man 50,000 Hausstände; somit betrüge die Gesammt-
bevölkerung gegen 1,300,000 Seelen. So tief diese Zahl unter
früheren Schätzungen steht, so ist sie doch nach der allge-
meinen Ansicht der Fremden eher zu hoch gegriffen. Die Be-
völkerung von Pe-kin hat sich vielleicht gemindert, aber gewiss
nicht in dem Maasse, wie die früheren Angaben vermuthen lassen;
denn offenbar ist ein grosser Theil, vielleicht über die Hälfte
des von der Ringmauer umschlossenen Gebietes niemals städtisch
bebaut gewesen.

Einwohnerzahl. XVII.
Gesandte der mächtigen britischen Nation ein Rosselenker! —
Eines Tages kam Charlie, ein grosser Jagdhund des Herrn Bruce,
der Liebling der ganzen Gesandtschaft, in ein Zimmer, wo sich
grade der die Wache commandirende junge Officier mit einem der
Dolmetscher und dessen chinesischem Sprachgelehrten Tšaṅ befand.
Letzterer blickte finster, als der Officier den Hund neckte und konnte
seinen Aerger kaum verbergen, als die Balgerei etwas toller wurde.
Als aber der junge Krieger dem Hunde gar in’s Ohr bellte, hielt
Tšaṅ sich nicht länger; er nahm seine Brille von der Nase, steckte
sie würdevoll ein und schritt voll Entrüstung hinaus. — Folgenden
Tages fragte er den Dolmetscher nach Rang und Stellung des
hundefreundlichen Herrn und äusserte darauf, dass sein Stand
Alles erkläre: auch in China hätten die Mandarinen des Kriegerstan-
des keine Erziehung. Uebrigens habe Charlie selbst gebrummt, als
der Officier ihm in das Ohr bellte, und damit mehr Würde bewiesen
als dieser. — Charlie erwarb sich bei der chinesischen Dienerschaft
bald solche Achtung, dass sie ihn nicht anders nannten als Tša-
ta-lau-ye
, — etwa Charles Esquire.

Im vertrauten Verkehr mit ihren Linguisten, welche den
grössten Theil des Tages in den Legationen zuzubringen pflegten,
erhielten die Diplomaten auch wichtige Aufschlüsse über die Haupt-
stadt und deren Bewohner. Die früheren Angaben über die Ein-
wohnerzahl waren sehr schwankend und sicher übertrieben. Zäh-
lungen wurden auch jetzt nicht veranstaltet; die Schätzungen der
Linguisten beruhten aber auf langjähriger Beobachtung und zuver-
lässiger Rechnung; sie stimmten ziemlich genau dahin überein, dass
die Tartarenstadt in runder Zahl gegen 100,000 Hausstände enthalte.
Da nun verheirathete Söhne in China meist bei den Eltern wohnen,
so rechnete man jeden Hausstand durchschnittlich auf 8 Köpfe.
Die Garnison war über 100,000 Mann stark. Auf die Chinesenstadt
rechnete man 50,000 Hausstände; somit betrüge die Gesammt-
bevölkerung gegen 1,300,000 Seelen. So tief diese Zahl unter
früheren Schätzungen steht, so ist sie doch nach der allge-
meinen Ansicht der Fremden eher zu hoch gegriffen. Die Be-
völkerung von Pe-kiṅ hat sich vielleicht gemindert, aber gewiss
nicht in dem Maasse, wie die früheren Angaben vermuthen lassen;
denn offenbar ist ein grosser Theil, vielleicht über die Hälfte
des von der Ringmauer umschlossenen Gebietes niemals städtisch
bebaut gewesen.

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[154/0168] Einwohnerzahl. XVII. Gesandte der mächtigen britischen Nation ein Rosselenker! — Eines Tages kam Charlie, ein grosser Jagdhund des Herrn Bruce, der Liebling der ganzen Gesandtschaft, in ein Zimmer, wo sich grade der die Wache commandirende junge Officier mit einem der Dolmetscher und dessen chinesischem Sprachgelehrten Tšaṅ befand. Letzterer blickte finster, als der Officier den Hund neckte und konnte seinen Aerger kaum verbergen, als die Balgerei etwas toller wurde. Als aber der junge Krieger dem Hunde gar in’s Ohr bellte, hielt Tšaṅ sich nicht länger; er nahm seine Brille von der Nase, steckte sie würdevoll ein und schritt voll Entrüstung hinaus. — Folgenden Tages fragte er den Dolmetscher nach Rang und Stellung des hundefreundlichen Herrn und äusserte darauf, dass sein Stand Alles erkläre: auch in China hätten die Mandarinen des Kriegerstan- des keine Erziehung. Uebrigens habe Charlie selbst gebrummt, als der Officier ihm in das Ohr bellte, und damit mehr Würde bewiesen als dieser. — Charlie erwarb sich bei der chinesischen Dienerschaft bald solche Achtung, dass sie ihn nicht anders nannten als Tša- ta-lau-ye, — etwa Charles Esquire. Im vertrauten Verkehr mit ihren Linguisten, welche den grössten Theil des Tages in den Legationen zuzubringen pflegten, erhielten die Diplomaten auch wichtige Aufschlüsse über die Haupt- stadt und deren Bewohner. Die früheren Angaben über die Ein- wohnerzahl waren sehr schwankend und sicher übertrieben. Zäh- lungen wurden auch jetzt nicht veranstaltet; die Schätzungen der Linguisten beruhten aber auf langjähriger Beobachtung und zuver- lässiger Rechnung; sie stimmten ziemlich genau dahin überein, dass die Tartarenstadt in runder Zahl gegen 100,000 Hausstände enthalte. Da nun verheirathete Söhne in China meist bei den Eltern wohnen, so rechnete man jeden Hausstand durchschnittlich auf 8 Köpfe. Die Garnison war über 100,000 Mann stark. Auf die Chinesenstadt rechnete man 50,000 Hausstände; somit betrüge die Gesammt- bevölkerung gegen 1,300,000 Seelen. So tief diese Zahl unter früheren Schätzungen steht, so ist sie doch nach der allge- meinen Ansicht der Fremden eher zu hoch gegriffen. Die Be- völkerung von Pe-kiṅ hat sich vielleicht gemindert, aber gewiss nicht in dem Maasse, wie die früheren Angaben vermuthen lassen; denn offenbar ist ein grosser Theil, vielleicht über die Hälfte des von der Ringmauer umschlossenen Gebietes niemals städtisch bebaut gewesen.

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Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/168>, abgerufen am 29.03.2024.