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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

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Kleine Conflicte. XVII.
Karren mit Waaren für diese oder jene Gesandtschaft befrachtet
seien. Diesem Missbrauch zu steuern schlug Herr Bruce dem
Prinzen vor, dass ein Beamter solche Karren jedesmal nach der
betreffenden Legation geleiten solle, damit ihr Inhalt untersucht
würde; der Prinz aber rief halb verzweifelt: Glaubt ihr denn, dass
der Beamte uns nicht bestehlen, nicht ein Geschäft machen würde
aus dem Einschwärzen der Waaren? -- Auch von der Gewissen-
losigkeit ihrer eigenen Landsleute, unter welchen, wie in der Blüthe-
zeit des Opium-Schmuggels, die Repräsentanten der angesehensten
Häuser besonders glänzten, hatten die Gesandten in dieser Hinsicht
zu leiden. Ein Vertreter des Hauses Dent in Tien-tsin sandte
mit eherner Stirn eine Menge Kisten unter Adresse des Herrn Bruce
nach Pe-kin, der natürlich den Betrug anzeigte. Solcher Unfug
schädigte wesentlich die Stellung der Fremden; denn die Spione
der feindlichen Parthei berichteten nach Dzehol, dass die Diplo-
maten dem Vertrage entgegen in Pe-kin heimlich Handel trieben,
und der Prinz hatte Noth diese Anklage zu entkräften.

Auch in anderen Dingen beriefen sich Chinesen oft mit
frevelhaftem Leichtsinn auf die Fremden. Nach dem Landesgesetz
scheint in Pe-kin Niemand ohne Erlaubniss der Behörden sein Haus
niederreissen und ein neues bauen zu dürfen. Ein Nachbar der Missio-
nare in Pe-tan hatte es trotzdem gethan und erklärte, von der Polizei
belangt, die Missionare hätten es ihm erlaubt. Abgesehen von deren
Competenz war die Aussage falsch und wurde am Schuldigen schwer
geahndet. -- Dieselben Missionare hatten ein Haus der chinesischen
Stadt auf den Abbruch gekauft, um das Material zu benutzen; die
damit betrauten Arbeiter schleppten aber, auf ihre Autorität fussend,
auch noch die Steine und Balken eines alten Tempels zu eigenem
Gebrauche fort und verwirkten durch diese Schändung die här-
testen Strafen. Die Missionare selbst hatten zum Einreissen jenes
Hauses nicht die Erlaubniss der Behörden eingeholt, und die Sache
machte das peinlichste Aufsehn.

Im Ganzen gestaltete sich das Verhältniss der Fremden zur
Bevölkerung im Sommer 1861 vortrefflich. Pöbel giebt es in jeder
grossen Stadt: der chinesische ist aber nicht schlimmer, als der
civilisirte in Europa. In schlechten Stadtvierteln geschah es wohl,
dass junge Burschen aus dem Volkshaufen, der sich fast überall
um einzelne Reiter schaarte, ihnen Schimpfworte zuriefen, auch mit
Steinen oder, sonderbar genug, mit Kupfermünzen nach ihnen

Kleine Conflicte. XVII.
Karren mit Waaren für diese oder jene Gesandtschaft befrachtet
seien. Diesem Missbrauch zu steuern schlug Herr Bruce dem
Prinzen vor, dass ein Beamter solche Karren jedesmal nach der
betreffenden Legation geleiten solle, damit ihr Inhalt untersucht
würde; der Prinz aber rief halb verzweifelt: Glaubt ihr denn, dass
der Beamte uns nicht bestehlen, nicht ein Geschäft machen würde
aus dem Einschwärzen der Waaren? — Auch von der Gewissen-
losigkeit ihrer eigenen Landsleute, unter welchen, wie in der Blüthe-
zeit des Opium-Schmuggels, die Repräsentanten der angesehensten
Häuser besonders glänzten, hatten die Gesandten in dieser Hinsicht
zu leiden. Ein Vertreter des Hauses Dent in Tien-tsin sandte
mit eherner Stirn eine Menge Kisten unter Adresse des Herrn Bruce
nach Pe-kiṅ, der natürlich den Betrug anzeigte. Solcher Unfug
schädigte wesentlich die Stellung der Fremden; denn die Spione
der feindlichen Parthei berichteten nach Džehol, dass die Diplo-
maten dem Vertrage entgegen in Pe-kiṅ heimlich Handel trieben,
und der Prinz hatte Noth diese Anklage zu entkräften.

Auch in anderen Dingen beriefen sich Chinesen oft mit
frevelhaftem Leichtsinn auf die Fremden. Nach dem Landesgesetz
scheint in Pe-kiṅ Niemand ohne Erlaubniss der Behörden sein Haus
niederreissen und ein neues bauen zu dürfen. Ein Nachbar der Missio-
nare in Pe-taṅ hatte es trotzdem gethan und erklärte, von der Polizei
belangt, die Missionare hätten es ihm erlaubt. Abgesehen von deren
Competenz war die Aussage falsch und wurde am Schuldigen schwer
geahndet. — Dieselben Missionare hatten ein Haus der chinesischen
Stadt auf den Abbruch gekauft, um das Material zu benutzen; die
damit betrauten Arbeiter schleppten aber, auf ihre Autorität fussend,
auch noch die Steine und Balken eines alten Tempels zu eigenem
Gebrauche fort und verwirkten durch diese Schändung die här-
testen Strafen. Die Missionare selbst hatten zum Einreissen jenes
Hauses nicht die Erlaubniss der Behörden eingeholt, und die Sache
machte das peinlichste Aufsehn.

Im Ganzen gestaltete sich das Verhältniss der Fremden zur
Bevölkerung im Sommer 1861 vortrefflich. Pöbel giebt es in jeder
grossen Stadt: der chinesische ist aber nicht schlimmer, als der
civilisirte in Europa. In schlechten Stadtvierteln geschah es wohl,
dass junge Burschen aus dem Volkshaufen, der sich fast überall
um einzelne Reiter schaarte, ihnen Schimpfworte zuriefen, auch mit
Steinen oder, sonderbar genug, mit Kupfermünzen nach ihnen

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[152/0166] Kleine Conflicte. XVII. Karren mit Waaren für diese oder jene Gesandtschaft befrachtet seien. Diesem Missbrauch zu steuern schlug Herr Bruce dem Prinzen vor, dass ein Beamter solche Karren jedesmal nach der betreffenden Legation geleiten solle, damit ihr Inhalt untersucht würde; der Prinz aber rief halb verzweifelt: Glaubt ihr denn, dass der Beamte uns nicht bestehlen, nicht ein Geschäft machen würde aus dem Einschwärzen der Waaren? — Auch von der Gewissen- losigkeit ihrer eigenen Landsleute, unter welchen, wie in der Blüthe- zeit des Opium-Schmuggels, die Repräsentanten der angesehensten Häuser besonders glänzten, hatten die Gesandten in dieser Hinsicht zu leiden. Ein Vertreter des Hauses Dent in Tien-tsin sandte mit eherner Stirn eine Menge Kisten unter Adresse des Herrn Bruce nach Pe-kiṅ, der natürlich den Betrug anzeigte. Solcher Unfug schädigte wesentlich die Stellung der Fremden; denn die Spione der feindlichen Parthei berichteten nach Džehol, dass die Diplo- maten dem Vertrage entgegen in Pe-kiṅ heimlich Handel trieben, und der Prinz hatte Noth diese Anklage zu entkräften. Auch in anderen Dingen beriefen sich Chinesen oft mit frevelhaftem Leichtsinn auf die Fremden. Nach dem Landesgesetz scheint in Pe-kiṅ Niemand ohne Erlaubniss der Behörden sein Haus niederreissen und ein neues bauen zu dürfen. Ein Nachbar der Missio- nare in Pe-taṅ hatte es trotzdem gethan und erklärte, von der Polizei belangt, die Missionare hätten es ihm erlaubt. Abgesehen von deren Competenz war die Aussage falsch und wurde am Schuldigen schwer geahndet. — Dieselben Missionare hatten ein Haus der chinesischen Stadt auf den Abbruch gekauft, um das Material zu benutzen; die damit betrauten Arbeiter schleppten aber, auf ihre Autorität fussend, auch noch die Steine und Balken eines alten Tempels zu eigenem Gebrauche fort und verwirkten durch diese Schändung die här- testen Strafen. Die Missionare selbst hatten zum Einreissen jenes Hauses nicht die Erlaubniss der Behörden eingeholt, und die Sache machte das peinlichste Aufsehn. Im Ganzen gestaltete sich das Verhältniss der Fremden zur Bevölkerung im Sommer 1861 vortrefflich. Pöbel giebt es in jeder grossen Stadt: der chinesische ist aber nicht schlimmer, als der civilisirte in Europa. In schlechten Stadtvierteln geschah es wohl, dass junge Burschen aus dem Volkshaufen, der sich fast überall um einzelne Reiter schaarte, ihnen Schimpfworte zuriefen, auch mit Steinen oder, sonderbar genug, mit Kupfermünzen nach ihnen

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Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/166>, abgerufen am 24.04.2024.