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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

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Empfang beim Prinzen von Kun. XVII.

Der Prinz von Kun, welcher am 15. September aus Dzehol
zurückkehrte, hatte sich bereit erklärt, Graf Eulenburg zu empfan-
gen, wenn eine passende Form dafür gefunden würde; nach chine-
sischer Auffassung war nämlich der Gesandte vor Ratification des
Vertrages zum Aufenthalt in Pe-kin nicht berechtigt und nur in-
cognito anwesend. Die Verhandlungen zogen sich in die Länge;
endlich wurde der Besuch auf den 27. September anberaumt. Graf
Eulenburg ritt mit allen seinen Begleitern. dem Grafen Kleczkowski
und Herrn de Meritens gegen zwei Uhr nach dem im Norden der
Gelben Stadt gelegenen provisorischen Amtsgebäude für die Aus-
wärtigen Angelegenheiten, einem verfallenen Kloster mit ärmlichem
Eingang. Das Empfangszimmer fasste kaum die Gesellschaft, die
Papierfenster und Tapeten waren roh geflickt, die Wände beschmutzt,
alle Ecken voll dicker Spinngewebe. In solchem Raum empfing der
nächste Bruder des seligen Himmelssohnes, der factische Regent
eines Reiches von über dreihundert Millionen den Gesandten einer
europäischen Grossmacht! -- Von den anderen Mitgliedern des
Auswärtigen Amtes waren Wen-sian und Han-ki anwesend; der
alterschwache Kwei-lian blieb wegen seiner Taubheit, Tsun-luen
als Kranker zu Hause. Des Prinzen Trauertracht unterschied sich
in nichts von der aller anderen, auch der geringsten Mandarinen;
ein bis auf die Füsse reichender Rock aus grobem weissem Baum-
wollenstoff mit hellblauen Aufschlägen und Kragen, Stiefel von
schwarzem Atlas, die schwarze Atlasmütze mit steifem aufgekremptem
Rande ohne jedes Abzeichen.

Der Prinz von Kun mag damals kaum dreissig Jahre gezählt
haben; sein blasses Gesicht ist von echt mongolischem Schnitt, das
Auge aber auffallend gross, ernst blickend und ausdrucksvoll; seine
Züge verrathen Entschlossenheit. Die abrupte Art, wie er anfangs
mit unbeweglicher Miene die Worte ausstiess, hatte etwas kaiserlich
Vornehmes, Unumschränktes; man staunte, als sich die kurz ab-
gebrochenen Laute im Munde des Dolmetschers zu den verbind-
lichsten Reden gestalteten. Im Laufe des Gespräches belebte sich
sein Antlitz zu mildem freundlichem Ausdruck.

Graf Eulenburg dankte zunächst für das Entgegenkommen
der kaiserlichen Regierung und die Stellung, welche der Prinz per-
sönlich zu den Vertragsarbeiten genommen habe; Prinz Kun erwie-
derte Aehnliches und rühmte vor Allem, dass der Gesandte in rück-
sichtsvoller Würdigung der politischen Lage von China in die auf-

Empfang beim Prinzen von Kuṅ. XVII.

Der Prinz von Kuṅ, welcher am 15. September aus Džehol
zurückkehrte, hatte sich bereit erklärt, Graf Eulenburg zu empfan-
gen, wenn eine passende Form dafür gefunden würde; nach chine-
sischer Auffassung war nämlich der Gesandte vor Ratification des
Vertrages zum Aufenthalt in Pe-kiṅ nicht berechtigt und nur in-
cognito anwesend. Die Verhandlungen zogen sich in die Länge;
endlich wurde der Besuch auf den 27. September anberaumt. Graf
Eulenburg ritt mit allen seinen Begleitern. dem Grafen Kleczkowski
und Herrn de Méritens gegen zwei Uhr nach dem im Norden der
Gelben Stadt gelegenen provisorischen Amtsgebäude für die Aus-
wärtigen Angelegenheiten, einem verfallenen Kloster mit ärmlichem
Eingang. Das Empfangszimmer fasste kaum die Gesellschaft, die
Papierfenster und Tapeten waren roh geflickt, die Wände beschmutzt,
alle Ecken voll dicker Spinngewebe. In solchem Raum empfing der
nächste Bruder des seligen Himmelssohnes, der factische Regent
eines Reiches von über dreihundert Millionen den Gesandten einer
europäischen Grossmacht! — Von den anderen Mitgliedern des
Auswärtigen Amtes waren Wen-siaṅ und Haṅ-ki anwesend; der
alterschwache Kwei-liaṅ blieb wegen seiner Taubheit, Tsuṅ-luen
als Kranker zu Hause. Des Prinzen Trauertracht unterschied sich
in nichts von der aller anderen, auch der geringsten Mandarinen;
ein bis auf die Füsse reichender Rock aus grobem weissem Baum-
wollenstoff mit hellblauen Aufschlägen und Kragen, Stiefel von
schwarzem Atlas, die schwarze Atlasmütze mit steifem aufgekremptem
Rande ohne jedes Abzeichen.

Der Prinz von Kuṅ mag damals kaum dreissig Jahre gezählt
haben; sein blasses Gesicht ist von echt mongolischem Schnitt, das
Auge aber auffallend gross, ernst blickend und ausdrucksvoll; seine
Züge verrathen Entschlossenheit. Die abrupte Art, wie er anfangs
mit unbeweglicher Miene die Worte ausstiess, hatte etwas kaiserlich
Vornehmes, Unumschränktes; man staunte, als sich die kurz ab-
gebrochenen Laute im Munde des Dolmetschers zu den verbind-
lichsten Reden gestalteten. Im Laufe des Gespräches belebte sich
sein Antlitz zu mildem freundlichem Ausdruck.

Graf Eulenburg dankte zunächst für das Entgegenkommen
der kaiserlichen Regierung und die Stellung, welche der Prinz per-
sönlich zu den Vertragsarbeiten genommen habe; Prinz Kuṅ erwie-
derte Aehnliches und rühmte vor Allem, dass der Gesandte in rück-
sichtsvoller Würdigung der politischen Lage von China in die auf-

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[146/0160] Empfang beim Prinzen von Kuṅ. XVII. Der Prinz von Kuṅ, welcher am 15. September aus Džehol zurückkehrte, hatte sich bereit erklärt, Graf Eulenburg zu empfan- gen, wenn eine passende Form dafür gefunden würde; nach chine- sischer Auffassung war nämlich der Gesandte vor Ratification des Vertrages zum Aufenthalt in Pe-kiṅ nicht berechtigt und nur in- cognito anwesend. Die Verhandlungen zogen sich in die Länge; endlich wurde der Besuch auf den 27. September anberaumt. Graf Eulenburg ritt mit allen seinen Begleitern. dem Grafen Kleczkowski und Herrn de Méritens gegen zwei Uhr nach dem im Norden der Gelben Stadt gelegenen provisorischen Amtsgebäude für die Aus- wärtigen Angelegenheiten, einem verfallenen Kloster mit ärmlichem Eingang. Das Empfangszimmer fasste kaum die Gesellschaft, die Papierfenster und Tapeten waren roh geflickt, die Wände beschmutzt, alle Ecken voll dicker Spinngewebe. In solchem Raum empfing der nächste Bruder des seligen Himmelssohnes, der factische Regent eines Reiches von über dreihundert Millionen den Gesandten einer europäischen Grossmacht! — Von den anderen Mitgliedern des Auswärtigen Amtes waren Wen-siaṅ und Haṅ-ki anwesend; der alterschwache Kwei-liaṅ blieb wegen seiner Taubheit, Tsuṅ-luen als Kranker zu Hause. Des Prinzen Trauertracht unterschied sich in nichts von der aller anderen, auch der geringsten Mandarinen; ein bis auf die Füsse reichender Rock aus grobem weissem Baum- wollenstoff mit hellblauen Aufschlägen und Kragen, Stiefel von schwarzem Atlas, die schwarze Atlasmütze mit steifem aufgekremptem Rande ohne jedes Abzeichen. Der Prinz von Kuṅ mag damals kaum dreissig Jahre gezählt haben; sein blasses Gesicht ist von echt mongolischem Schnitt, das Auge aber auffallend gross, ernst blickend und ausdrucksvoll; seine Züge verrathen Entschlossenheit. Die abrupte Art, wie er anfangs mit unbeweglicher Miene die Worte ausstiess, hatte etwas kaiserlich Vornehmes, Unumschränktes; man staunte, als sich die kurz ab- gebrochenen Laute im Munde des Dolmetschers zu den verbind- lichsten Reden gestalteten. Im Laufe des Gespräches belebte sich sein Antlitz zu mildem freundlichem Ausdruck. Graf Eulenburg dankte zunächst für das Entgegenkommen der kaiserlichen Regierung und die Stellung, welche der Prinz per- sönlich zu den Vertragsarbeiten genommen habe; Prinz Kuṅ erwie- derte Aehnliches und rühmte vor Allem, dass der Gesandte in rück- sichtsvoller Würdigung der politischen Lage von China in die auf-

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Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/160>, abgerufen am 29.03.2024.