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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

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XVII. Lon-wan-tan.
auf, von der man auf breiter Freitreppe zu einer zweiten und so
weiter von Tempel zu Tempel stieg. Ihre Mittelgebäude pflegen
den goldenen Holzgötzen und das übliche Opfergeräth zu bergen;
auf den Seiten liegen, um Höfe und Gärten gruppirt, viele unregel-
mässige Gebäude, welche die Bonzen theils bewohnen, theils an
Sommergäste vermiethen. Der Ertrag der freundlichen Gartenhäuser,
wo der wohlhabende Städter die heissen Monate in frischer Luft
und ländlicher Stille verlebt, fliesst in die Taschen der höflichen
Mönche, die ein hübsches Dasein geniessen. Bei einer reizenden
Anlage dieser Art, dem Tempel des Drachenkönigs -- Lon-wan-tan
-- etwa 600 Fuss über der Sohle des Gebirges, machten wir Halt; die
Priester räumten gefällig ein hübsches reinliches Zimmer ein, wo das
mitgenommene Frühstück verzehrt wurde. Vom umrankten Altan sah
man in ein schattiges Höfchen hinab, wie es in Toscana nicht schöner
zu finden ist; dort sprudelt unter mächtigen Pinien und Lebens-
bäumen ein klarer eisiger Quell in ein Becken mit Goldfischen, ge-
säumt von reizenden Farren; Glycine chinensis und andere Ranken
decken alle Wände, Stämme und Pfosten. Harmonisch und ange-
nehm wirken sogar die bei aller Einfachheit in jedem Zollbreit echt
chinesischen Gebäude. Wo ein Baustyl, allen Schmuckes entkleidet,
dem Bedürfniss einfacher Lebensverhältnisse ohne Mangel und
Ueppigkeit dient, erkennt man erst seinen Werth: alle chinesischen
Bauten dieser Art beweisen aber in den leicht geschwungenen Dach-
linien, der Raumvertheilung an den Wänden, der Profilirung des
Gebälkes, der Pfosten und Einfassungen die harmonische Durch-
bildung der Verhältnisse einer in sich vollendeten Gattung. Mit
der Baukunst höher begabter Völker kann sich diese eben so wenig
messen, als überhaupt die chinesische Cultur mit der europäischen;
sie entspricht aber der gereiften Durchbildung ihrer gesunden Ele-
mente. -- So zeigen die ländlichen Wohnungen dieser Priester, die
ein beschauliches, mässiges Leben führen, einen gleich poetischen
Sinn für die Natur, wie ähnliche Anlagen in Italien, wo man deren
lebendigen Elemente der Architectur so reizend einzuordnen und
dienstbar zu machen wusste.

Nach dem Frühstück stiegen wir weiter den Berghang hin-
auf, zunächst über mehrere Tempelterrassen. Die Abwechselung,
welche die Chinesen auch in diese Anlagen zu bringen wissen,
ihre meisterliche Benutzung des Raumes und der Bodengestalt
für landschaftliche Wirkung wecken Bewunderung. Der daraus

XVII. Loṅ-waṅ-taṅ.
auf, von der man auf breiter Freitreppe zu einer zweiten und so
weiter von Tempel zu Tempel stieg. Ihre Mittelgebäude pflegen
den goldenen Holzgötzen und das übliche Opfergeräth zu bergen;
auf den Seiten liegen, um Höfe und Gärten gruppirt, viele unregel-
mässige Gebäude, welche die Bonzen theils bewohnen, theils an
Sommergäste vermiethen. Der Ertrag der freundlichen Gartenhäuser,
wo der wohlhabende Städter die heissen Monate in frischer Luft
und ländlicher Stille verlebt, fliesst in die Taschen der höflichen
Mönche, die ein hübsches Dasein geniessen. Bei einer reizenden
Anlage dieser Art, dem Tempel des Drachenkönigs — Loṅ-waṅ-taṅ
— etwa 600 Fuss über der Sohle des Gebirges, machten wir Halt; die
Priester räumten gefällig ein hübsches reinliches Zimmer ein, wo das
mitgenommene Frühstück verzehrt wurde. Vom umrankten Altan sah
man in ein schattiges Höfchen hinab, wie es in Toscana nicht schöner
zu finden ist; dort sprudelt unter mächtigen Pinien und Lebens-
bäumen ein klarer eisiger Quell in ein Becken mit Goldfischen, ge-
säumt von reizenden Farren; Glycine chinensis und andere Ranken
decken alle Wände, Stämme und Pfosten. Harmonisch und ange-
nehm wirken sogar die bei aller Einfachheit in jedem Zollbreit echt
chinesischen Gebäude. Wo ein Baustyl, allen Schmuckes entkleidet,
dem Bedürfniss einfacher Lebensverhältnisse ohne Mangel und
Ueppigkeit dient, erkennt man erst seinen Werth: alle chinesischen
Bauten dieser Art beweisen aber in den leicht geschwungenen Dach-
linien, der Raumvertheilung an den Wänden, der Profilirung des
Gebälkes, der Pfosten und Einfassungen die harmonische Durch-
bildung der Verhältnisse einer in sich vollendeten Gattung. Mit
der Baukunst höher begabter Völker kann sich diese eben so wenig
messen, als überhaupt die chinesische Cultur mit der europäischen;
sie entspricht aber der gereiften Durchbildung ihrer gesunden Ele-
mente. — So zeigen die ländlichen Wohnungen dieser Priester, die
ein beschauliches, mässiges Leben führen, einen gleich poetischen
Sinn für die Natur, wie ähnliche Anlagen in Italien, wo man deren
lebendigen Elemente der Architectur so reizend einzuordnen und
dienstbar zu machen wusste.

Nach dem Frühstück stiegen wir weiter den Berghang hin-
auf, zunächst über mehrere Tempelterrassen. Die Abwechselung,
welche die Chinesen auch in diese Anlagen zu bringen wissen,
ihre meisterliche Benutzung des Raumes und der Bodengestalt
für landschaftliche Wirkung wecken Bewunderung. Der daraus

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[137/0151] XVII. Loṅ-waṅ-taṅ. auf, von der man auf breiter Freitreppe zu einer zweiten und so weiter von Tempel zu Tempel stieg. Ihre Mittelgebäude pflegen den goldenen Holzgötzen und das übliche Opfergeräth zu bergen; auf den Seiten liegen, um Höfe und Gärten gruppirt, viele unregel- mässige Gebäude, welche die Bonzen theils bewohnen, theils an Sommergäste vermiethen. Der Ertrag der freundlichen Gartenhäuser, wo der wohlhabende Städter die heissen Monate in frischer Luft und ländlicher Stille verlebt, fliesst in die Taschen der höflichen Mönche, die ein hübsches Dasein geniessen. Bei einer reizenden Anlage dieser Art, dem Tempel des Drachenkönigs — Loṅ-waṅ-taṅ — etwa 600 Fuss über der Sohle des Gebirges, machten wir Halt; die Priester räumten gefällig ein hübsches reinliches Zimmer ein, wo das mitgenommene Frühstück verzehrt wurde. Vom umrankten Altan sah man in ein schattiges Höfchen hinab, wie es in Toscana nicht schöner zu finden ist; dort sprudelt unter mächtigen Pinien und Lebens- bäumen ein klarer eisiger Quell in ein Becken mit Goldfischen, ge- säumt von reizenden Farren; Glycine chinensis und andere Ranken decken alle Wände, Stämme und Pfosten. Harmonisch und ange- nehm wirken sogar die bei aller Einfachheit in jedem Zollbreit echt chinesischen Gebäude. Wo ein Baustyl, allen Schmuckes entkleidet, dem Bedürfniss einfacher Lebensverhältnisse ohne Mangel und Ueppigkeit dient, erkennt man erst seinen Werth: alle chinesischen Bauten dieser Art beweisen aber in den leicht geschwungenen Dach- linien, der Raumvertheilung an den Wänden, der Profilirung des Gebälkes, der Pfosten und Einfassungen die harmonische Durch- bildung der Verhältnisse einer in sich vollendeten Gattung. Mit der Baukunst höher begabter Völker kann sich diese eben so wenig messen, als überhaupt die chinesische Cultur mit der europäischen; sie entspricht aber der gereiften Durchbildung ihrer gesunden Ele- mente. — So zeigen die ländlichen Wohnungen dieser Priester, die ein beschauliches, mässiges Leben führen, einen gleich poetischen Sinn für die Natur, wie ähnliche Anlagen in Italien, wo man deren lebendigen Elemente der Architectur so reizend einzuordnen und dienstbar zu machen wusste. Nach dem Frühstück stiegen wir weiter den Berghang hin- auf, zunächst über mehrere Tempelterrassen. Die Abwechselung, welche die Chinesen auch in diese Anlagen zu bringen wissen, ihre meisterliche Benutzung des Raumes und der Bodengestalt für landschaftliche Wirkung wecken Bewunderung. Der daraus

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Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/151>, abgerufen am 29.03.2024.