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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

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XVII. Die russischen Verträge.

Zur Revision des Grenzvertrages von 1688 erschien 1727
Graf Sava Vladislavitsch in der chinesischen Hauptstadt. Der neue
Vertrag wurde im October 1727 unterzeichnet, die Ratification aber
wegen des inzwischen erfolgten Ablebens der Kaiserin Katharina
erst Juni 1728 im Namen Peter II. vollzogen. Die elf Artikel dieses
ursprünglich in der Mandschu-Sprache redigirten, in das Latei-
nische und das Russische übersetzten Freundschaftsvertrages regeln
die Behandlung der Ueberläufer aus beiden Ländern, die Art des
Handelsverkehrs, die Zahl der Kaufleute -- bis zweihundert --
welche alle drei Jahre nach Pe-kin kommen durften, die Verhält-
nisse einer dort zu errichtenden kirchlichen Mission und die amt-
lichen Mittheilungen zwischen den beiden Reichen. Eine genauere
durch Karten illustrirte Grenzbestimmung ersetzte die frühere.

Die Mitglieder der damals gegründeten russischen Mission,
vier Geistliche und sechs Laien, sollten alle zehn Jahre abgelöst
werden. "Es soll den Oros erlaubt sein, ihren Gottesdienst mit
allen dazu gehörigen Ceremonieen auszuüben und ihre Gebete zu
sagen. Vier junge Russen, welche die russische und lateinische
Schrift kennen, und zwei ältere, welche der Gesandte in der Haupt-
stadt gelassen hat, damit sie die chinesische Sprache lernen, wer-
den an demselben Orte wohnen. Ihr Unterhalt wird durch die Re-
gierung bestritten, und wenn sie ihre Studien vollendet haben, sollen
sie in ihre Heimath zurückkehren dürfen, sobald man es verlangt."
-- Damals war die Vertreibung der Jesuiten wohl beschlossene
Sache; die chinesische Regierung, der sie als Dolmetscher gedient
hatten, musste auf Ersatz denken und wollte den Russen den ganzen
Besitz der römischen Priester überweisen. So erklärt sich der An-
spruch, den Jene auf deren Cathedrale erheben konnten, um sie
vor Zerstörung zu retten. Kaiser Yun-tsin soll die Jesuiten des-
halb so gehasst haben, weil sie den alten Kan-gi zu seiner Aus-
schliessung vom Throne und Erhebung eines anderen auf den ka-
tholischen Glauben getauften Prinzen zu vermögen strebten. -- In
Sachen der Etiquette scheint Graf Vladislavitsch Concessionen er-
langt zu haben, welche zu Reibungen zwischen den Hofbeamten
und dem gleichzeitig in Pe-kin anwesenden portugiesischen Ge-
sandten Dom Metello de Souza-y-Menezes führten.

Der Vertrag von 1727 wurde 1767 in Kiakta einer Revision
durch Bevollmächtigte der beiden Reiche unterworfen; das im
October 1768 unterzeichnete Supplement enthielt Bestimmungen über

IV. 9
XVII. Die russischen Verträge.

Zur Revision des Grenzvertrages von 1688 erschien 1727
Graf Sava Vladislavitsch in der chinesischen Hauptstadt. Der neue
Vertrag wurde im October 1727 unterzeichnet, die Ratification aber
wegen des inzwischen erfolgten Ablebens der Kaiserin Katharina
erst Juni 1728 im Namen Peter II. vollzogen. Die elf Artikel dieses
ursprünglich in der Mandschu-Sprache redigirten, in das Latei-
nische und das Russische übersetzten Freundschaftsvertrages regeln
die Behandlung der Ueberläufer aus beiden Ländern, die Art des
Handelsverkehrs, die Zahl der Kaufleute — bis zweihundert —
welche alle drei Jahre nach Pe-kiṅ kommen durften, die Verhält-
nisse einer dort zu errichtenden kirchlichen Mission und die amt-
lichen Mittheilungen zwischen den beiden Reichen. Eine genauere
durch Karten illustrirte Grenzbestimmung ersetzte die frühere.

Die Mitglieder der damals gegründeten russischen Mission,
vier Geistliche und sechs Laien, sollten alle zehn Jahre abgelöst
werden. »Es soll den Oros erlaubt sein, ihren Gottesdienst mit
allen dazu gehörigen Ceremonieen auszuüben und ihre Gebete zu
sagen. Vier junge Russen, welche die russische und lateinische
Schrift kennen, und zwei ältere, welche der Gesandte in der Haupt-
stadt gelassen hat, damit sie die chinesische Sprache lernen, wer-
den an demselben Orte wohnen. Ihr Unterhalt wird durch die Re-
gierung bestritten, und wenn sie ihre Studien vollendet haben, sollen
sie in ihre Heimath zurückkehren dürfen, sobald man es verlangt.«
— Damals war die Vertreibung der Jesuiten wohl beschlossene
Sache; die chinesische Regierung, der sie als Dolmetscher gedient
hatten, musste auf Ersatz denken und wollte den Russen den ganzen
Besitz der römischen Priester überweisen. So erklärt sich der An-
spruch, den Jene auf deren Cathedrale erheben konnten, um sie
vor Zerstörung zu retten. Kaiser Yuṅ-tšin soll die Jesuiten des-
halb so gehasst haben, weil sie den alten Kaṅ-gi zu seiner Aus-
schliessung vom Throne und Erhebung eines anderen auf den ka-
tholischen Glauben getauften Prinzen zu vermögen strebten. — In
Sachen der Etiquette scheint Graf Vladislavitsch Concessionen er-
langt zu haben, welche zu Reibungen zwischen den Hofbeamten
und dem gleichzeitig in Pe-kiṅ anwesenden portugiesischen Ge-
sandten Dom Metello de Souza-y-Menezes führten.

Der Vertrag von 1727 wurde 1767 in Kiakta einer Revision
durch Bevollmächtigte der beiden Reiche unterworfen; das im
October 1768 unterzeichnete Supplement enthielt Bestimmungen über

IV. 9
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[129/0143] XVII. Die russischen Verträge. Zur Revision des Grenzvertrages von 1688 erschien 1727 Graf Sava Vladislavitsch in der chinesischen Hauptstadt. Der neue Vertrag wurde im October 1727 unterzeichnet, die Ratification aber wegen des inzwischen erfolgten Ablebens der Kaiserin Katharina erst Juni 1728 im Namen Peter II. vollzogen. Die elf Artikel dieses ursprünglich in der Mandschu-Sprache redigirten, in das Latei- nische und das Russische übersetzten Freundschaftsvertrages regeln die Behandlung der Ueberläufer aus beiden Ländern, die Art des Handelsverkehrs, die Zahl der Kaufleute — bis zweihundert — welche alle drei Jahre nach Pe-kiṅ kommen durften, die Verhält- nisse einer dort zu errichtenden kirchlichen Mission und die amt- lichen Mittheilungen zwischen den beiden Reichen. Eine genauere durch Karten illustrirte Grenzbestimmung ersetzte die frühere. Die Mitglieder der damals gegründeten russischen Mission, vier Geistliche und sechs Laien, sollten alle zehn Jahre abgelöst werden. »Es soll den Oros erlaubt sein, ihren Gottesdienst mit allen dazu gehörigen Ceremonieen auszuüben und ihre Gebete zu sagen. Vier junge Russen, welche die russische und lateinische Schrift kennen, und zwei ältere, welche der Gesandte in der Haupt- stadt gelassen hat, damit sie die chinesische Sprache lernen, wer- den an demselben Orte wohnen. Ihr Unterhalt wird durch die Re- gierung bestritten, und wenn sie ihre Studien vollendet haben, sollen sie in ihre Heimath zurückkehren dürfen, sobald man es verlangt.« — Damals war die Vertreibung der Jesuiten wohl beschlossene Sache; die chinesische Regierung, der sie als Dolmetscher gedient hatten, musste auf Ersatz denken und wollte den Russen den ganzen Besitz der römischen Priester überweisen. So erklärt sich der An- spruch, den Jene auf deren Cathedrale erheben konnten, um sie vor Zerstörung zu retten. Kaiser Yuṅ-tšin soll die Jesuiten des- halb so gehasst haben, weil sie den alten Kaṅ-gi zu seiner Aus- schliessung vom Throne und Erhebung eines anderen auf den ka- tholischen Glauben getauften Prinzen zu vermögen strebten. — In Sachen der Etiquette scheint Graf Vladislavitsch Concessionen er- langt zu haben, welche zu Reibungen zwischen den Hofbeamten und dem gleichzeitig in Pe-kiṅ anwesenden portugiesischen Ge- sandten Dom Metello de Souza-y-Menezes führten. Der Vertrag von 1727 wurde 1767 in Kiakta einer Revision durch Bevollmächtigte der beiden Reiche unterworfen; das im October 1768 unterzeichnete Supplement enthielt Bestimmungen über IV. 9

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Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/143>, abgerufen am 16.04.2024.