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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

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Tempel der Tausend Lamas. XVII.

Die zwischen den Hauptstrassen der Tartarenstadt liegenden
Viertel sind theils von dichtem Häuserlabyrinth, theils von Gärten
und Tempelgründen ausgefüllt. Im Südwesten steht, der Süd-Mauer
der Gelben Stadt gegenüber, eine nach der Unterwerfung von Tur-
kestan
unter Kien-lon für die nach Pe-kin geführte Turkmanen-
Colonie erbaute Moschee. 21) Die Strassenfacade ist arabisch, nur
ihr Dachstuhl chinesisch, und, wie die angrenzenden Wohngebäude
der Turkmanen, in baulichem Verfall. Die Nackommen der Einge-
wanderten, welche eine Handwerker-Innung im Dienste des Hofes
bilden sollen, haben chinesische Tracht und Sprache angenommen,
scheinen aber dem Islam treu geblieben zu sein.

Einer der grössten Tempel ist der des "Ewigen Friedens"
im Nordosten der Tartarenstadt, auch Tempel der tausend Lamas
genannt, zu welchem ein reiches Kloster gehört. Man wandelt
durch sieben stattliche Höfe mit colossalen broncenen Löwen und
Rauchgefässen von erlesener Arbeit. Der Tempel ist ein riesiges
altes Bauwerk ohne jeden Schmuck, im Inneren sehr dunkel; an
den mächtigen Pfeilern hängen schwarze Holztafeln mit tibetanischen
Schriftzeichen. In der Mitte steht ein kleines Götzenbild, davor
ein Altar, auf welchem zur Zeit unseres Besuches Kerzen brannten;
-- es war eben Gottesdienst. Die Mönche -- wohl sechs- bis acht-
hundert -- sassen in langen Reihen auf niedrigen Bänkchen, kleine
Tische vor sich, und sangen in einförmig tiefem Ton und gemessenem
Rythmus ihre Litanei, an bestimmten Stellen zwei Kieselsteine zu-
sammenschlagend, welche sie, vielleicht um wach zu bleiben, be-
ständig in den Händen hielten. Alle waren in gelbe Gewänder ge-
kleidet und hatten ihre einem grossen Achilleshelm gleichende Kopf-
bedeckung aus gelbem plüschartigem Wollenstoff vor sich auf den
Tischen liegen; nur die zwischen den Reihen herumwandelnden
Vorsteher trugen ein dunkelrothes Gewand über dem gelben, und
den Wollenhelm auf dem glattgeschorenen Haupte. Sie empfingen uns
sehr freundlich und zeigten das milde ruhige Wesen friedlicher, dem
Leben versöhnter Männer ohne Wünsche und Leidenschaften. Der
ernste feierliche Ton des Gottesdienstes wurde hier nicht, wie in
anderen chinesischen Tempeln, durch profane Eindrücke entweiht. 22)

21) S. Ansichten aus Japan, China und Siam. VII.
22) Die Engländer fanden bei späteren Besuchen in diesem Tempel noch zwei grosse
Hallen, die wir nicht sahen. In der einen sitzt ein 72 Fuss hoher weiblicher Budda, in
der anderen der Kriegsgott Kwan-ti, welchem bei jedem von chinesischen Truppen er-
fochtenen Siege der Dank der Regierung in der Zeitung von Pe-kin ausgesprochen wird.
Tempel der Tausend Lamas. XVII.

Die zwischen den Hauptstrassen der Tartarenstadt liegenden
Viertel sind theils von dichtem Häuserlabyrinth, theils von Gärten
und Tempelgründen ausgefüllt. Im Südwesten steht, der Süd-Mauer
der Gelben Stadt gegenüber, eine nach der Unterwerfung von Tur-
kestan
unter Kien-loṅ für die nach Pe-kiṅ geführte Turkmanen-
Colonie erbaute Moschee. 21) Die Strassenfaçade ist arabisch, nur
ihr Dachstuhl chinesisch, und, wie die angrenzenden Wohngebäude
der Turkmanen, in baulichem Verfall. Die Nackommen der Einge-
wanderten, welche eine Handwerker-Innung im Dienste des Hofes
bilden sollen, haben chinesische Tracht und Sprache angenommen,
scheinen aber dem Islam treu geblieben zu sein.

Einer der grössten Tempel ist der des »Ewigen Friedens«
im Nordosten der Tartarenstadt, auch Tempel der tausend Lamas
genannt, zu welchem ein reiches Kloster gehört. Man wandelt
durch sieben stattliche Höfe mit colossalen broncenen Löwen und
Rauchgefässen von erlesener Arbeit. Der Tempel ist ein riesiges
altes Bauwerk ohne jeden Schmuck, im Inneren sehr dunkel; an
den mächtigen Pfeilern hängen schwarze Holztafeln mit tibetanischen
Schriftzeichen. In der Mitte steht ein kleines Götzenbild, davor
ein Altar, auf welchem zur Zeit unseres Besuches Kerzen brannten;
— es war eben Gottesdienst. Die Mönche — wohl sechs- bis acht-
hundert — sassen in langen Reihen auf niedrigen Bänkchen, kleine
Tische vor sich, und sangen in einförmig tiefem Ton und gemessenem
Rythmus ihre Litanei, an bestimmten Stellen zwei Kieselsteine zu-
sammenschlagend, welche sie, vielleicht um wach zu bleiben, be-
ständig in den Händen hielten. Alle waren in gelbe Gewänder ge-
kleidet und hatten ihre einem grossen Achilleshelm gleichende Kopf-
bedeckung aus gelbem plüschartigem Wollenstoff vor sich auf den
Tischen liegen; nur die zwischen den Reihen herumwandelnden
Vorsteher trugen ein dunkelrothes Gewand über dem gelben, und
den Wollenhelm auf dem glattgeschorenen Haupte. Sie empfingen uns
sehr freundlich und zeigten das milde ruhige Wesen friedlicher, dem
Leben versöhnter Männer ohne Wünsche und Leidenschaften. Der
ernste feierliche Ton des Gottesdienstes wurde hier nicht, wie in
anderen chinesischen Tempeln, durch profane Eindrücke entweiht. 22)

21) S. Ansichten aus Japan, China und Siam. VII.
22) Die Engländer fanden bei späteren Besuchen in diesem Tempel noch zwei grosse
Hallen, die wir nicht sahen. In der einen sitzt ein 72 Fuss hoher weiblicher Budda, in
der anderen der Kriegsgott Kwaṅ-ti, welchem bei jedem von chinesischen Truppen er-
fochtenen Siege der Dank der Regierung in der Zeitung von Pe-kiṅ ausgesprochen wird.
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[120/0134] Tempel der Tausend Lamas. XVII. Die zwischen den Hauptstrassen der Tartarenstadt liegenden Viertel sind theils von dichtem Häuserlabyrinth, theils von Gärten und Tempelgründen ausgefüllt. Im Südwesten steht, der Süd-Mauer der Gelben Stadt gegenüber, eine nach der Unterwerfung von Tur- kestan unter Kien-loṅ für die nach Pe-kiṅ geführte Turkmanen- Colonie erbaute Moschee. 21) Die Strassenfaçade ist arabisch, nur ihr Dachstuhl chinesisch, und, wie die angrenzenden Wohngebäude der Turkmanen, in baulichem Verfall. Die Nackommen der Einge- wanderten, welche eine Handwerker-Innung im Dienste des Hofes bilden sollen, haben chinesische Tracht und Sprache angenommen, scheinen aber dem Islam treu geblieben zu sein. Einer der grössten Tempel ist der des »Ewigen Friedens« im Nordosten der Tartarenstadt, auch Tempel der tausend Lamas genannt, zu welchem ein reiches Kloster gehört. Man wandelt durch sieben stattliche Höfe mit colossalen broncenen Löwen und Rauchgefässen von erlesener Arbeit. Der Tempel ist ein riesiges altes Bauwerk ohne jeden Schmuck, im Inneren sehr dunkel; an den mächtigen Pfeilern hängen schwarze Holztafeln mit tibetanischen Schriftzeichen. In der Mitte steht ein kleines Götzenbild, davor ein Altar, auf welchem zur Zeit unseres Besuches Kerzen brannten; — es war eben Gottesdienst. Die Mönche — wohl sechs- bis acht- hundert — sassen in langen Reihen auf niedrigen Bänkchen, kleine Tische vor sich, und sangen in einförmig tiefem Ton und gemessenem Rythmus ihre Litanei, an bestimmten Stellen zwei Kieselsteine zu- sammenschlagend, welche sie, vielleicht um wach zu bleiben, be- ständig in den Händen hielten. Alle waren in gelbe Gewänder ge- kleidet und hatten ihre einem grossen Achilleshelm gleichende Kopf- bedeckung aus gelbem plüschartigem Wollenstoff vor sich auf den Tischen liegen; nur die zwischen den Reihen herumwandelnden Vorsteher trugen ein dunkelrothes Gewand über dem gelben, und den Wollenhelm auf dem glattgeschorenen Haupte. Sie empfingen uns sehr freundlich und zeigten das milde ruhige Wesen friedlicher, dem Leben versöhnter Männer ohne Wünsche und Leidenschaften. Der ernste feierliche Ton des Gottesdienstes wurde hier nicht, wie in anderen chinesischen Tempeln, durch profane Eindrücke entweiht. 22) 21) S. Ansichten aus Japan, China und Siam. VII. 22) Die Engländer fanden bei späteren Besuchen in diesem Tempel noch zwei grosse Hallen, die wir nicht sahen. In der einen sitzt ein 72 Fuss hoher weiblicher Budda, in der anderen der Kriegsgott Kwaṅ-ti, welchem bei jedem von chinesischen Truppen er- fochtenen Siege der Dank der Regierung in der Zeitung von Pe-kiṅ ausgesprochen wird.

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Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/134>, abgerufen am 25.04.2024.