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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

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XVII. Der Tempel des Himmels.
durch Verkauf von Pretiosen zu steuern suchten. Fast täglich wur-
den durch Unterhändler den Mitgliedern der Gesandtschaften die
kostbarsten Arbeiten in Porcelan, Email und Jade angeboten, Fa-
milienstücke, die vielleicht Jahrhunderte lang im Besitz eines vor-
nehmen Hauses waren, unter anderen ein prachtvoller Thron aus
Ebenholz mit Gedichten eines Kaisers auf eingelegten Emailtafeln
und Zierrathen von ciselirtem Golde; nach Aussage der chinesischen
Literaten durfte nur der Himmelssohn auf solchem Stuhle sitzen;
der Unterhändler bot ihn im Auftrag eines kaiserlichen Prinzen
ersten Ranges an, dessen Apanage in Abwesenheit des Hofes unge-
zahlt blieb.

So lebhaft das Gewühl der Hauptstrassen, so still ist es in
den engen gewundenen Gassen der dazwischen liegenden Stadt-
viertel; viele sind ganz ohne Läden, von Arbeitern bewohnt; an-
dere dienen ausschliesslich einem bestimmten Handelszweige, so
giebt es ganze Strassen voll Buchläden. -- Die südliche Hälfte der
chinesischen Stadt füllen Gärten, Felder und Tempel aus; hier liegt
der See des schwarzen Drachen, He-lun-tsau, mit kleinem ver-
fallenem Tempel, wo in trockenen Jahren Kaiser und Prinzen
den König der Drachen um Regen anflehen. Das Kloster Tao-
yan-tin,
ein früher von Mandarinen begünstigter Vergnügungsort,
steht auf der Spitze eines Hügels mit anmuthiger Aussicht auf die
ländliche Umgebung. Die Tempel des Himmels und des Acker-
baues bedecken mit ihren parkartigen Gärten ein grosses Areal;
sie wurden erst nach unserer Anwesenheit den Diplomaten zugäng-
lich. Nach ihren Schilderungen umgiebt den Tempel des Himmels
ein weiter Park uralter immergrüner Bäume, welchen breite mit
Steinplatten belegte, von Marmorgittern eingefasste Gänge durch-
schneiden. Die dichten Wipfel lassen kaum einen Sonnenstrahl
durch; kein Gräschen gedeiht auf dem mit moderndem Laube fuss-
hoch bedeckten Boden. Kein Geräusch unterbricht die tiefe Stille,
denn ausser den Wächtern und Priestern darf kein Chinese hinein.
Der Umfang des kreisrunden Tempels soll 1500 Fuss betragen; er
hat zwei übereinandergestülpte Dächer, deren Form einem spitzen
chinesischen Strohhut verglichen wird; die blauen glasirten Dach-
ziegel schimmern durch dichte Lagen von schwärzlichem Moos.
Das Wandstück zwischen den Dächern ist mit hellblauen bunt be-
malten Kacheln bekleidet. Vier grosse geschnitzte Schilder von
lackirtem Holz, mit Inschriften und dem kaiserlichen Drachen, be-

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XVII. Der Tempel des Himmels.
durch Verkauf von Pretiosen zu steuern suchten. Fast täglich wur-
den durch Unterhändler den Mitgliedern der Gesandtschaften die
kostbarsten Arbeiten in Porcelan, Email und Jade angeboten, Fa-
milienstücke, die vielleicht Jahrhunderte lang im Besitz eines vor-
nehmen Hauses waren, unter anderen ein prachtvoller Thron aus
Ebenholz mit Gedichten eines Kaisers auf eingelegten Emailtafeln
und Zierrathen von ciselirtem Golde; nach Aussage der chinesischen
Literaten durfte nur der Himmelssohn auf solchem Stuhle sitzen;
der Unterhändler bot ihn im Auftrag eines kaiserlichen Prinzen
ersten Ranges an, dessen Apanage in Abwesenheit des Hofes unge-
zahlt blieb.

So lebhaft das Gewühl der Hauptstrassen, so still ist es in
den engen gewundenen Gassen der dazwischen liegenden Stadt-
viertel; viele sind ganz ohne Läden, von Arbeitern bewohnt; an-
dere dienen ausschliesslich einem bestimmten Handelszweige, so
giebt es ganze Strassen voll Buchläden. — Die südliche Hälfte der
chinesischen Stadt füllen Gärten, Felder und Tempel aus; hier liegt
der See des schwarzen Drachen, He-luṅ-tšau, mit kleinem ver-
fallenem Tempel, wo in trockenen Jahren Kaiser und Prinzen
den König der Drachen um Regen anflehen. Das Kloster Tao-
yaṅ-tiṅ,
ein früher von Mandarinen begünstigter Vergnügungsort,
steht auf der Spitze eines Hügels mit anmuthiger Aussicht auf die
ländliche Umgebung. Die Tempel des Himmels und des Acker-
baues bedecken mit ihren parkartigen Gärten ein grosses Areal;
sie wurden erst nach unserer Anwesenheit den Diplomaten zugäng-
lich. Nach ihren Schilderungen umgiebt den Tempel des Himmels
ein weiter Park uralter immergrüner Bäume, welchen breite mit
Steinplatten belegte, von Marmorgittern eingefasste Gänge durch-
schneiden. Die dichten Wipfel lassen kaum einen Sonnenstrahl
durch; kein Gräschen gedeiht auf dem mit moderndem Laube fuss-
hoch bedeckten Boden. Kein Geräusch unterbricht die tiefe Stille,
denn ausser den Wächtern und Priestern darf kein Chinese hinein.
Der Umfang des kreisrunden Tempels soll 1500 Fuss betragen; er
hat zwei übereinandergestülpte Dächer, deren Form einem spitzen
chinesischen Strohhut verglichen wird; die blauen glasirten Dach-
ziegel schimmern durch dichte Lagen von schwärzlichem Moos.
Das Wandstück zwischen den Dächern ist mit hellblauen bunt be-
malten Kacheln bekleidet. Vier grosse geschnitzte Schilder von
lackirtem Holz, mit Inschriften und dem kaiserlichen Drachen, be-

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[115/0129] XVII. Der Tempel des Himmels. durch Verkauf von Pretiosen zu steuern suchten. Fast täglich wur- den durch Unterhändler den Mitgliedern der Gesandtschaften die kostbarsten Arbeiten in Porcelan, Email und Jade angeboten, Fa- milienstücke, die vielleicht Jahrhunderte lang im Besitz eines vor- nehmen Hauses waren, unter anderen ein prachtvoller Thron aus Ebenholz mit Gedichten eines Kaisers auf eingelegten Emailtafeln und Zierrathen von ciselirtem Golde; nach Aussage der chinesischen Literaten durfte nur der Himmelssohn auf solchem Stuhle sitzen; der Unterhändler bot ihn im Auftrag eines kaiserlichen Prinzen ersten Ranges an, dessen Apanage in Abwesenheit des Hofes unge- zahlt blieb. So lebhaft das Gewühl der Hauptstrassen, so still ist es in den engen gewundenen Gassen der dazwischen liegenden Stadt- viertel; viele sind ganz ohne Läden, von Arbeitern bewohnt; an- dere dienen ausschliesslich einem bestimmten Handelszweige, so giebt es ganze Strassen voll Buchläden. — Die südliche Hälfte der chinesischen Stadt füllen Gärten, Felder und Tempel aus; hier liegt der See des schwarzen Drachen, He-luṅ-tšau, mit kleinem ver- fallenem Tempel, wo in trockenen Jahren Kaiser und Prinzen den König der Drachen um Regen anflehen. Das Kloster Tao- yaṅ-tiṅ, ein früher von Mandarinen begünstigter Vergnügungsort, steht auf der Spitze eines Hügels mit anmuthiger Aussicht auf die ländliche Umgebung. Die Tempel des Himmels und des Acker- baues bedecken mit ihren parkartigen Gärten ein grosses Areal; sie wurden erst nach unserer Anwesenheit den Diplomaten zugäng- lich. Nach ihren Schilderungen umgiebt den Tempel des Himmels ein weiter Park uralter immergrüner Bäume, welchen breite mit Steinplatten belegte, von Marmorgittern eingefasste Gänge durch- schneiden. Die dichten Wipfel lassen kaum einen Sonnenstrahl durch; kein Gräschen gedeiht auf dem mit moderndem Laube fuss- hoch bedeckten Boden. Kein Geräusch unterbricht die tiefe Stille, denn ausser den Wächtern und Priestern darf kein Chinese hinein. Der Umfang des kreisrunden Tempels soll 1500 Fuss betragen; er hat zwei übereinandergestülpte Dächer, deren Form einem spitzen chinesischen Strohhut verglichen wird; die blauen glasirten Dach- ziegel schimmern durch dichte Lagen von schwärzlichem Moos. Das Wandstück zwischen den Dächern ist mit hellblauen bunt be- malten Kacheln bekleidet. Vier grosse geschnitzte Schilder von lackirtem Holz, mit Inschriften und dem kaiserlichen Drachen, be- 8*

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Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/129>, abgerufen am 28.03.2024.