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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

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Die Tartarenstadt. XVII.
auch äusserlich erneut, die Wände und Säulen mit glänzendem rothen
Gypsstuck überzogen, das reiche Schnitzwerk der Gesimse und
Balkenköpfe in Gold und leuchtenden Farben gemalt, wie sie einst
gewesen. Der Blick vom Eingang des Hauptgebäudes über den
grünen Prachthof, durch die offenstehenden Flügelthore der beiden
Hallen in die vorderen Höfe bot eine imposante Perspective von
malerischer Wirkung. An das Hauptgebäude stossen zwei Flügel
von geringerer Höhe; der zur Rechten enthielt das Schlaf- und das
Arbeitszimmer des Gesandten, der zur Linken die Kanzlei. Der
Secretär und mehrere Attaches bewohnten die Häuser an den
schmalen Seiten des grünen Hofes. -- Durch eine enge Gasse von
diesem Complex getrennt liegen dahinter mehrere andere Höfe, in
deren weitläufigen Baulichkeiten Herr Wade mit drei Dolmetschern
und neun "Student interpreters" hauste. Andere junge Leute, die
sich zu Dolmetschern ausbilden wollten, wurden aus England
erwartet.

Die Gesandtschaften liegen im Süden der tartarischen "In-
neren" Stadt, Nei-tsen, einem quadratischen Rechteck, dessen
Ringmauer auf drei Seiten schnurgrade läuft und nur an der west-
lichen Ecke der Nordseite etwas nach innen gekrümmt ist. Hier
dehnt sich der um die ganze Stadt fliessende Graben zu einem
weiteren Becken aus, das mit den Seen von Yuan-min-yuan in
Verbindung steht und durch eine gewölbte Oeffnung in der Nord-
mauer die Teiche, Seen und Canäle im Inneren der Stadt speist;
diese fliessen nach dem Graben vor der Südmauer der Tartaren-
stadt
ab, welcher, wie gesagt, an deren südöstlicher Ecke in den
nach Tun-tsau führenden Canal geleitet ist. Die Seen von Yuan-
min-yuan
speist das nahe Gebirge; so muss Pe-kin, so lange die
Leitung geregelt war, beständig klares fliessendes Wasser gehabt
haben, das durch jenen Canal in den Pei-ho ablief. Jetzt waren
die Schleusen zerstört, die Rinnen verstopft, Abfluss und Zufluss
fast ganz unterbrochen. Die Stadtgräben und Canäle lagen grossen-
theils trocken; nur an tieferen Stellen ihres Bettes stand etwas
Wasser. Die Teiche und Seen im Norden der Tartarenstadt er-
hielten noch einige Nahrung aus dem Stadtgraben, waren aber
trotzdem versumpft und mit wuchernden Wasserpflanzen fast zu-
gedeckt. Der ganze Zustand der Wasserläufe machte den Eindruck
einer Vernachlässigung, die viele Jahre, nicht erst seit dem Herbst

Die Tartarenstadt. XVII.
auch äusserlich erneut, die Wände und Säulen mit glänzendem rothen
Gypsstuck überzogen, das reiche Schnitzwerk der Gesimse und
Balkenköpfe in Gold und leuchtenden Farben gemalt, wie sie einst
gewesen. Der Blick vom Eingang des Hauptgebäudes über den
grünen Prachthof, durch die offenstehenden Flügelthore der beiden
Hallen in die vorderen Höfe bot eine imposante Perspective von
malerischer Wirkung. An das Hauptgebäude stossen zwei Flügel
von geringerer Höhe; der zur Rechten enthielt das Schlaf- und das
Arbeitszimmer des Gesandten, der zur Linken die Kanzlei. Der
Secretär und mehrere Attachés bewohnten die Häuser an den
schmalen Seiten des grünen Hofes. — Durch eine enge Gasse von
diesem Complex getrennt liegen dahinter mehrere andere Höfe, in
deren weitläufigen Baulichkeiten Herr Wade mit drei Dolmetschern
und neun »Student interpreters« hauste. Andere junge Leute, die
sich zu Dolmetschern ausbilden wollten, wurden aus England
erwartet.

Die Gesandtschaften liegen im Süden der tartarischen »In-
neren« Stadt, Nei-tšen, einem quadratischen Rechteck, dessen
Ringmauer auf drei Seiten schnurgrade läuft und nur an der west-
lichen Ecke der Nordseite etwas nach innen gekrümmt ist. Hier
dehnt sich der um die ganze Stadt fliessende Graben zu einem
weiteren Becken aus, das mit den Seen von Yuaṅ-miṅ-yuaṅ in
Verbindung steht und durch eine gewölbte Oeffnung in der Nord-
mauer die Teiche, Seen und Canäle im Inneren der Stadt speist;
diese fliessen nach dem Graben vor der Südmauer der Tartaren-
stadt
ab, welcher, wie gesagt, an deren südöstlicher Ecke in den
nach Tuṅ-tšau führenden Canal geleitet ist. Die Seen von Yuaṅ-
miṅ-yuaṅ
speist das nahe Gebirge; so muss Pe-kiṅ, so lange die
Leitung geregelt war, beständig klares fliessendes Wasser gehabt
haben, das durch jenen Canal in den Pei-ho ablief. Jetzt waren
die Schleusen zerstört, die Rinnen verstopft, Abfluss und Zufluss
fast ganz unterbrochen. Die Stadtgräben und Canäle lagen grossen-
theils trocken; nur an tieferen Stellen ihres Bettes stand etwas
Wasser. Die Teiche und Seen im Norden der Tartarenstadt er-
hielten noch einige Nahrung aus dem Stadtgraben, waren aber
trotzdem versumpft und mit wuchernden Wasserpflanzen fast zu-
gedeckt. Der ganze Zustand der Wasserläufe machte den Eindruck
einer Vernachlässigung, die viele Jahre, nicht erst seit dem Herbst

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[106/0120] Die Tartarenstadt. XVII. auch äusserlich erneut, die Wände und Säulen mit glänzendem rothen Gypsstuck überzogen, das reiche Schnitzwerk der Gesimse und Balkenköpfe in Gold und leuchtenden Farben gemalt, wie sie einst gewesen. Der Blick vom Eingang des Hauptgebäudes über den grünen Prachthof, durch die offenstehenden Flügelthore der beiden Hallen in die vorderen Höfe bot eine imposante Perspective von malerischer Wirkung. An das Hauptgebäude stossen zwei Flügel von geringerer Höhe; der zur Rechten enthielt das Schlaf- und das Arbeitszimmer des Gesandten, der zur Linken die Kanzlei. Der Secretär und mehrere Attachés bewohnten die Häuser an den schmalen Seiten des grünen Hofes. — Durch eine enge Gasse von diesem Complex getrennt liegen dahinter mehrere andere Höfe, in deren weitläufigen Baulichkeiten Herr Wade mit drei Dolmetschern und neun »Student interpreters« hauste. Andere junge Leute, die sich zu Dolmetschern ausbilden wollten, wurden aus England erwartet. Die Gesandtschaften liegen im Süden der tartarischen »In- neren« Stadt, Nei-tšen, einem quadratischen Rechteck, dessen Ringmauer auf drei Seiten schnurgrade läuft und nur an der west- lichen Ecke der Nordseite etwas nach innen gekrümmt ist. Hier dehnt sich der um die ganze Stadt fliessende Graben zu einem weiteren Becken aus, das mit den Seen von Yuaṅ-miṅ-yuaṅ in Verbindung steht und durch eine gewölbte Oeffnung in der Nord- mauer die Teiche, Seen und Canäle im Inneren der Stadt speist; diese fliessen nach dem Graben vor der Südmauer der Tartaren- stadt ab, welcher, wie gesagt, an deren südöstlicher Ecke in den nach Tuṅ-tšau führenden Canal geleitet ist. Die Seen von Yuaṅ- miṅ-yuaṅ speist das nahe Gebirge; so muss Pe-kiṅ, so lange die Leitung geregelt war, beständig klares fliessendes Wasser gehabt haben, das durch jenen Canal in den Pei-ho ablief. Jetzt waren die Schleusen zerstört, die Rinnen verstopft, Abfluss und Zufluss fast ganz unterbrochen. Die Stadtgräben und Canäle lagen grossen- theils trocken; nur an tieferen Stellen ihres Bettes stand etwas Wasser. Die Teiche und Seen im Norden der Tartarenstadt er- hielten noch einige Nahrung aus dem Stadtgraben, waren aber trotzdem versumpft und mit wuchernden Wasserpflanzen fast zu- gedeckt. Der ganze Zustand der Wasserläufe machte den Eindruck einer Vernachlässigung, die viele Jahre, nicht erst seit dem Herbst

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Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/120>, abgerufen am 19.04.2024.