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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

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Haltung des Prinzen von Kun. XVI.
hatten, demselben sehr zugethan. Er galt in Pe-kin als recht-
schaffener verständiger Mann, der, allen sonst in den höchsten
Schichten der chinesischen Gesellschaft verbreiteten Lastern fremd,
ein glückliches Familienleben führte; die Bevölkerung schätzte und
liebte ihn. Dieses Bewusstsein und die Einsicht, dass es sich nicht
allein um seine Existenz, sondern um die Herrschaft seines Hauses
handele, mögen ihn veranlasst haben, trotz jenem Erlass nach
Dzehol zu gehen. -- Denn ganz abgesehen von dem persönlichen
Ehrgeiz der Männer im Regentschaftsrath, welcher das Schlimmste
befürchten liess, konnten ihre politischen Tendenzen nur zum Bruch
mit den fremden Mächten, zu neuem Kriege führen, welchen
die Tsin-Dynastie schwerlich überstanden hätte. Gewiss förderte
die moralische Unterstützung der fremden Diplomaten wesentlich
den Entschluss des Prinzen zur Reise nach Dzehol, welche den
Grund legte zur späteren günstigen Entwickelung. Er verliess die
Hauptstadt am 1. September und kehrte am 15. dahin zurück. Sein
jüngerer Bruder, der Prinz von Tsun, reiste entweder damals mit
ihm oder etwas später nach Dzehol, und blieb, weitere Maassregeln
vorbereitend, bei den Kaiserinnen und dem Thronerben. Deren
Rückkehr nach Pe-kin zu betreiben, welcher sich die Regentschafts-
räthe mächtig widersetzten, erklärte der Prinz von Kun ganz offen
als den Hauptzweck seiner Reise. Eines der ersten Decrete des
jungen Kaisers, wonach derselbe zu den Exequien seines Vaters
nach der Hauptstadt kommen wollte, war gewiss unter dem Ein-
fluss der Kaiserinnen erlassen. Es erschien schon vor des Prinzen
Abreise in der Zeitung von Pe-kin, bot aber nach dessen Aussage
keine Gewähr der Erfüllung. Wie klug derselbe seine Fäden spann,
hat die Folge bewiesen. Sein sicheres Auftreten liess aber schon
damals den Entschluss vermuthen, mit seinen Gegnern abzurechnen.


Das Frühstück, das die chinesischen Commissare dem Ge-
sandten und seinen Begleitern am 3. September gaben, unterschied
sich in der Qualität kaum von den früheren, dauerte aber drei Stun-
den. Zwei jüngere Mandarinen, welche englisch sprachen, brachten
etwas Leben in die Unterhaltung. Der eine war in den Vereinigten
Staaten
, England und Frankreich gereist, und redete davon mit
Bewunderung. Der andere, im Zollamt für den fremden Handel

Haltung des Prinzen von Kuṅ. XVI.
hatten, demselben sehr zugethan. Er galt in Pe-kiṅ als recht-
schaffener verständiger Mann, der, allen sonst in den höchsten
Schichten der chinesischen Gesellschaft verbreiteten Lastern fremd,
ein glückliches Familienleben führte; die Bevölkerung schätzte und
liebte ihn. Dieses Bewusstsein und die Einsicht, dass es sich nicht
allein um seine Existenz, sondern um die Herrschaft seines Hauses
handele, mögen ihn veranlasst haben, trotz jenem Erlass nach
Džehol zu gehen. — Denn ganz abgesehen von dem persönlichen
Ehrgeiz der Männer im Regentschaftsrath, welcher das Schlimmste
befürchten liess, konnten ihre politischen Tendenzen nur zum Bruch
mit den fremden Mächten, zu neuem Kriege führen, welchen
die Tsiṅ-Dynastie schwerlich überstanden hätte. Gewiss förderte
die moralische Unterstützung der fremden Diplomaten wesentlich
den Entschluss des Prinzen zur Reise nach Džehol, welche den
Grund legte zur späteren günstigen Entwickelung. Er verliess die
Hauptstadt am 1. September und kehrte am 15. dahin zurück. Sein
jüngerer Bruder, der Prinz von Tšun, reiste entweder damals mit
ihm oder etwas später nach Džehol, und blieb, weitere Maassregeln
vorbereitend, bei den Kaiserinnen und dem Thronerben. Deren
Rückkehr nach Pe-kiṅ zu betreiben, welcher sich die Regentschafts-
räthe mächtig widersetzten, erklärte der Prinz von Kuṅ ganz offen
als den Hauptzweck seiner Reise. Eines der ersten Decrete des
jungen Kaisers, wonach derselbe zu den Exequien seines Vaters
nach der Hauptstadt kommen wollte, war gewiss unter dem Ein-
fluss der Kaiserinnen erlassen. Es erschien schon vor des Prinzen
Abreise in der Zeitung von Pe-kiṅ, bot aber nach dessen Aussage
keine Gewähr der Erfüllung. Wie klug derselbe seine Fäden spann,
hat die Folge bewiesen. Sein sicheres Auftreten liess aber schon
damals den Entschluss vermuthen, mit seinen Gegnern abzurechnen.


Das Frühstück, das die chinesischen Commissare dem Ge-
sandten und seinen Begleitern am 3. September gaben, unterschied
sich in der Qualität kaum von den früheren, dauerte aber drei Stun-
den. Zwei jüngere Mandarinen, welche englisch sprachen, brachten
etwas Leben in die Unterhaltung. Der eine war in den Vereinigten
Staaten
, England und Frankreich gereist, und redete davon mit
Bewunderung. Der andere, im Zollamt für den fremden Handel

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[96/0110] Haltung des Prinzen von Kuṅ. XVI. hatten, demselben sehr zugethan. Er galt in Pe-kiṅ als recht- schaffener verständiger Mann, der, allen sonst in den höchsten Schichten der chinesischen Gesellschaft verbreiteten Lastern fremd, ein glückliches Familienleben führte; die Bevölkerung schätzte und liebte ihn. Dieses Bewusstsein und die Einsicht, dass es sich nicht allein um seine Existenz, sondern um die Herrschaft seines Hauses handele, mögen ihn veranlasst haben, trotz jenem Erlass nach Džehol zu gehen. — Denn ganz abgesehen von dem persönlichen Ehrgeiz der Männer im Regentschaftsrath, welcher das Schlimmste befürchten liess, konnten ihre politischen Tendenzen nur zum Bruch mit den fremden Mächten, zu neuem Kriege führen, welchen die Tsiṅ-Dynastie schwerlich überstanden hätte. Gewiss förderte die moralische Unterstützung der fremden Diplomaten wesentlich den Entschluss des Prinzen zur Reise nach Džehol, welche den Grund legte zur späteren günstigen Entwickelung. Er verliess die Hauptstadt am 1. September und kehrte am 15. dahin zurück. Sein jüngerer Bruder, der Prinz von Tšun, reiste entweder damals mit ihm oder etwas später nach Džehol, und blieb, weitere Maassregeln vorbereitend, bei den Kaiserinnen und dem Thronerben. Deren Rückkehr nach Pe-kiṅ zu betreiben, welcher sich die Regentschafts- räthe mächtig widersetzten, erklärte der Prinz von Kuṅ ganz offen als den Hauptzweck seiner Reise. Eines der ersten Decrete des jungen Kaisers, wonach derselbe zu den Exequien seines Vaters nach der Hauptstadt kommen wollte, war gewiss unter dem Ein- fluss der Kaiserinnen erlassen. Es erschien schon vor des Prinzen Abreise in der Zeitung von Pe-kiṅ, bot aber nach dessen Aussage keine Gewähr der Erfüllung. Wie klug derselbe seine Fäden spann, hat die Folge bewiesen. Sein sicheres Auftreten liess aber schon damals den Entschluss vermuthen, mit seinen Gegnern abzurechnen. Das Frühstück, das die chinesischen Commissare dem Ge- sandten und seinen Begleitern am 3. September gaben, unterschied sich in der Qualität kaum von den früheren, dauerte aber drei Stun- den. Zwei jüngere Mandarinen, welche englisch sprachen, brachten etwas Leben in die Unterhaltung. Der eine war in den Vereinigten Staaten, England und Frankreich gereist, und redete davon mit Bewunderung. Der andere, im Zollamt für den fremden Handel

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Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/110>, abgerufen am 29.03.2024.