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Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873.

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XVI. Die Regentschaft.

War nun, wie das Gerücht ging, diese letztwillige Verfügung
von den darin genannten Männern nach des Kaisers Tod geschmiedet,
so mussten dieselben Gegner der Fremden auch das Approbations-
decret zum preussischen Vertrage gemacht haben, vielleicht nur,
um der anderen Fälschung einige Haltung zu geben. Bald nach
dem letztwilligen Erlass scheint nun eine Verfügung eingetroffen zu
sein, welche dem Prinzen von Kun die oberste Leitung aller Ge-
schäfte in Pe-kin übertrug, ihn aber ausdrücklich anwies dort zu
bleiben, während der Prinz, wie sich nachträglich erwies, die Kai-
serin Wittwe um Erlaubniss zur Reise nach Dzehol gebeten hatte.
Seine Befugnisse, welche sich bis dahin nur auf die auswärtigen
Angelegenheiten erstreckten, wurden durch jene Verfügung erweitert;
man schloss ihn aber vom persönlichen Verkehr mit dem jungen
Kaiser aus und drängte ihn in eine Stellung, die nothwendig zu
seinem Sturz führen musste. Tsae-yuen und Twan-wa gehörten
zu den Anstiftern des an den englischen Parlamentären verübten
Verrathes und wurden neben Su-tsuen laut als Urheber allen Un-
glücks genannt, das China in den letzten Jahren betroffen hatte.
Sie hatten mit San-ko-lin-sin, -- der aus anderen Motiven han-
delte, -- den Kaiser zum Kriege und, gegen die offen ausgesprochene
Ansicht aller verständigen Räthe der Krone, gegen die warnende
Mahnung ehrlicher Patrioten zur Flucht nach Dzehol vermocht.
Sie waren es, die seinen verderblichen Neigungen Vorschub ge-
leistet, ihn von Ausschweifung zu Ausschweifung getrieben und
geflissentlich im Zustande geistiger Erschlaffung gehalten hatten,
um statt seiner das Scepter zu führen. Um den Thronerben in der
Hand zu haben, liessen sie diesen und seine Mutter, die, nicht mehr
zu den begünstigten Frauen des Harem gehörend, 16) bei des Kai-
sers Flucht in Pe-kin geblieben war, Mitte August unter dem Vor-
wande nach Dzehol führen, dass der Sterbende sie noch sehen
wolle. Nach Pe-kin mochten jene Männer aus Furcht vor der Be-
völkerung nicht kommen; auch behielten sie den Prinzen von Kun,
der in jeder wichtigen Sache der kaiserlichen Genehmigung bedurfte,
in ihrer Hand, und hofften ihn wohl bald zu verderben. Zum Glück
aber waren sowohl die Kaiserin Wittwe als der junge Kaiser und
seine Mutter, welche unter Aufsicht des Prinzen von Kun gelebt

16) Sie erhielt den Titel einer Kaiserin erst nach Hien-fun's Tode und stand
im Range unter dessen rechtmässiger Gemahlin, der Kaiserin Wittwe.
XVI. Die Regentschaft.

War nun, wie das Gerücht ging, diese letztwillige Verfügung
von den darin genannten Männern nach des Kaisers Tod geschmiedet,
so mussten dieselben Gegner der Fremden auch das Approbations-
decret zum preussischen Vertrage gemacht haben, vielleicht nur,
um der anderen Fälschung einige Haltung zu geben. Bald nach
dem letztwilligen Erlass scheint nun eine Verfügung eingetroffen zu
sein, welche dem Prinzen von Kuṅ die oberste Leitung aller Ge-
schäfte in Pe-kiṅ übertrug, ihn aber ausdrücklich anwies dort zu
bleiben, während der Prinz, wie sich nachträglich erwies, die Kai-
serin Wittwe um Erlaubniss zur Reise nach Džehol gebeten hatte.
Seine Befugnisse, welche sich bis dahin nur auf die auswärtigen
Angelegenheiten erstreckten, wurden durch jene Verfügung erweitert;
man schloss ihn aber vom persönlichen Verkehr mit dem jungen
Kaiser aus und drängte ihn in eine Stellung, die nothwendig zu
seinem Sturz führen musste. Tsae-yuen und Twan-wa gehörten
zu den Anstiftern des an den englischen Parlamentären verübten
Verrathes und wurden neben Su-tšuen laut als Urheber allen Un-
glücks genannt, das China in den letzten Jahren betroffen hatte.
Sie hatten mit Saṅ-ko-lin-sin, — der aus anderen Motiven han-
delte, — den Kaiser zum Kriege und, gegen die offen ausgesprochene
Ansicht aller verständigen Räthe der Krone, gegen die warnende
Mahnung ehrlicher Patrioten zur Flucht nach Džehol vermocht.
Sie waren es, die seinen verderblichen Neigungen Vorschub ge-
leistet, ihn von Ausschweifung zu Ausschweifung getrieben und
geflissentlich im Zustande geistiger Erschlaffung gehalten hatten,
um statt seiner das Scepter zu führen. Um den Thronerben in der
Hand zu haben, liessen sie diesen und seine Mutter, die, nicht mehr
zu den begünstigten Frauen des Harem gehörend, 16) bei des Kai-
sers Flucht in Pe-kiṅ geblieben war, Mitte August unter dem Vor-
wande nach Džehol führen, dass der Sterbende sie noch sehen
wolle. Nach Pe-kiṅ mochten jene Männer aus Furcht vor der Be-
völkerung nicht kommen; auch behielten sie den Prinzen von Kuṅ,
der in jeder wichtigen Sache der kaiserlichen Genehmigung bedurfte,
in ihrer Hand, und hofften ihn wohl bald zu verderben. Zum Glück
aber waren sowohl die Kaiserin Wittwe als der junge Kaiser und
seine Mutter, welche unter Aufsicht des Prinzen von Kuṅ gelebt

16) Sie erhielt den Titel einer Kaiserin erst nach Hien-fuṅ’s Tode und stand
im Range unter dessen rechtmässiger Gemahlin, der Kaiserin Wittwe.
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[95/0109] XVI. Die Regentschaft. War nun, wie das Gerücht ging, diese letztwillige Verfügung von den darin genannten Männern nach des Kaisers Tod geschmiedet, so mussten dieselben Gegner der Fremden auch das Approbations- decret zum preussischen Vertrage gemacht haben, vielleicht nur, um der anderen Fälschung einige Haltung zu geben. Bald nach dem letztwilligen Erlass scheint nun eine Verfügung eingetroffen zu sein, welche dem Prinzen von Kuṅ die oberste Leitung aller Ge- schäfte in Pe-kiṅ übertrug, ihn aber ausdrücklich anwies dort zu bleiben, während der Prinz, wie sich nachträglich erwies, die Kai- serin Wittwe um Erlaubniss zur Reise nach Džehol gebeten hatte. Seine Befugnisse, welche sich bis dahin nur auf die auswärtigen Angelegenheiten erstreckten, wurden durch jene Verfügung erweitert; man schloss ihn aber vom persönlichen Verkehr mit dem jungen Kaiser aus und drängte ihn in eine Stellung, die nothwendig zu seinem Sturz führen musste. Tsae-yuen und Twan-wa gehörten zu den Anstiftern des an den englischen Parlamentären verübten Verrathes und wurden neben Su-tšuen laut als Urheber allen Un- glücks genannt, das China in den letzten Jahren betroffen hatte. Sie hatten mit Saṅ-ko-lin-sin, — der aus anderen Motiven han- delte, — den Kaiser zum Kriege und, gegen die offen ausgesprochene Ansicht aller verständigen Räthe der Krone, gegen die warnende Mahnung ehrlicher Patrioten zur Flucht nach Džehol vermocht. Sie waren es, die seinen verderblichen Neigungen Vorschub ge- leistet, ihn von Ausschweifung zu Ausschweifung getrieben und geflissentlich im Zustande geistiger Erschlaffung gehalten hatten, um statt seiner das Scepter zu führen. Um den Thronerben in der Hand zu haben, liessen sie diesen und seine Mutter, die, nicht mehr zu den begünstigten Frauen des Harem gehörend, 16) bei des Kai- sers Flucht in Pe-kiṅ geblieben war, Mitte August unter dem Vor- wande nach Džehol führen, dass der Sterbende sie noch sehen wolle. Nach Pe-kiṅ mochten jene Männer aus Furcht vor der Be- völkerung nicht kommen; auch behielten sie den Prinzen von Kuṅ, der in jeder wichtigen Sache der kaiserlichen Genehmigung bedurfte, in ihrer Hand, und hofften ihn wohl bald zu verderben. Zum Glück aber waren sowohl die Kaiserin Wittwe als der junge Kaiser und seine Mutter, welche unter Aufsicht des Prinzen von Kuṅ gelebt 16) Sie erhielt den Titel einer Kaiserin erst nach Hien-fuṅ’s Tode und stand im Range unter dessen rechtmässiger Gemahlin, der Kaiserin Wittwe.

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Zitationshilfe: Martens, Georg von: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Nach amtlichen Quellen. Vierter Band. Berlin, 1873, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien04_1873/109>, abgerufen am 25.04.2024.