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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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Die Lehre des Hun-siu-tsuen.
Weisheitslehren an und substituirt nur dem "Urgrund aller Dinge",
der gewöhnlichen Deutung von San-ti, den uralten Begriff des
höchsten persönlichen Gottes. Sein wichtigstes Werk, das Tae-
pin-Tsao-su
oder Buch der Belehrungen, welches 1853 bekannt
wurde, ist eine an die gebildeten Classen in China gerichtete Recht-
fertigung seiner Glaubenslehren, welche den psychologischen Vor-
gang seiner Bekehrung in klares Licht stellen soll und nach
Meadows' Ausspruch mit tiefer Kenntniss der chinesischen Literatur
im einfachen Ausdruck eines ernsten Mannes geschrieben ist, dem
mehr daran liegt zu überzeugen als zu glänzen. Er bringt darin
viele Belege aus den heiligen Büchern der Chinesen, stellt aber die
Bibel als unfehlbare Quelle der Wahrheit über dieselben.

In Hun-siu-tsuen's Lehre ist San-ti oder Tien-fu der
höchste Gott, der himmlische Vater, den er sich nach alttestament-
licher Weise in menschlicher Gestalt denkt; der allmächtige,
allweise, allgegenwärtige Schöpfer und Erhalter der Welt. Die
Vorsehung ist der Willen dieses persönlichen Gottes. San-ti
allein ist Gott: "Selbst der Heiland, der Herr Jesus, wird nur
Herr genannt. Nun ist doch oben im Himmel, unten in der Erde
und unter den Menschen niemand grösser als Jesus. Ist nun selbst
Jesus nicht "Ti", Gott, wer wagt dann noch sich den Namen "Ti"
anzumaassen." Hiermit ist die Stellung des Erlösers in Hun-siu-
tsuen
's
Lehre deutlich bezeichnet; Jesus wird nicht als ewiges,
sondern als erschaffenes Wesen gedacht. -- Alle Menschen sind
Brüder; ihre Seelen erzeugt der Odem des Schöpfers. Für die
unsterbliche Seele musste Hun ein neues Schriftzeichen erfinden,
das er aus den Elementen Mensch und Dunst componirte; denn
die orthodoxe Lehre des Confucius weiss nichts vom künftigen
Leben. Aus dieser hielt Hun-siu-tsuen den Grundsatz fest, dass
der Mensch von Ursprung gut ist. Das Böse schreibt er dem be-
ständigen Wirken des Schlangenteufels zu, den er in der Bibel
findet; in der chinesischen Sage nehmen nur gute Geister zuweilen
die Gestalt der Schlange an. Im Bewusstsein der Tae-pin trat
der Schlangenteufel an die Stelle des Höllenkönigs Yen-lo-wan, wel-
chem man, wie vielen anderen Dämonen, aus abergläubischer
Furcht opfert. Die Götzen sind dem gebildeten Chinesen nur Bil-
der furchtbarer Dämonen, dem grossen Haufen aber die Dämonen
selbst; daher die Lust der Tae-pin an Vernichtung, "Tödtung" die-
ser "Teufel", welche sie so lange in abergläubischer Furcht als

Die Lehre des Huṅ-siu-tsuen.
Weisheitslehren an und substituirt nur dem »Urgrund aller Dinge«,
der gewöhnlichen Deutung von Saṅ-ti, den uralten Begriff des
höchsten persönlichen Gottes. Sein wichtigstes Werk, das Tae-
piṅ-Tšao-šu
oder Buch der Belehrungen, welches 1853 bekannt
wurde, ist eine an die gebildeten Classen in China gerichtete Recht-
fertigung seiner Glaubenslehren, welche den psychologischen Vor-
gang seiner Bekehrung in klares Licht stellen soll und nach
Meadows’ Ausspruch mit tiefer Kenntniss der chinesischen Literatur
im einfachen Ausdruck eines ernsten Mannes geschrieben ist, dem
mehr daran liegt zu überzeugen als zu glänzen. Er bringt darin
viele Belege aus den heiligen Büchern der Chinesen, stellt aber die
Bibel als unfehlbare Quelle der Wahrheit über dieselben.

In Huṅ-siu-tsuen’s Lehre ist Šaṅ-ti oder Tien-fu der
höchste Gott, der himmlische Vater, den er sich nach alttestament-
licher Weise in menschlicher Gestalt denkt; der allmächtige,
allweise, allgegenwärtige Schöpfer und Erhalter der Welt. Die
Vorsehung ist der Willen dieses persönlichen Gottes. Šaṅ-ti
allein ist Gott: »Selbst der Heiland, der Herr Jesus, wird nur
Herr genannt. Nun ist doch oben im Himmel, unten in der Erde
und unter den Menschen niemand grösser als Jesus. Ist nun selbst
Jesus nicht »Ti«, Gott, wer wagt dann noch sich den Namen »Ti«
anzumaassen.« Hiermit ist die Stellung des Erlösers in Huṅ-siu-
tsuen
’s
Lehre deutlich bezeichnet; Jesus wird nicht als ewiges,
sondern als erschaffenes Wesen gedacht. — Alle Menschen sind
Brüder; ihre Seelen erzeugt der Odem des Schöpfers. Für die
unsterbliche Seele musste Huṅ ein neues Schriftzeichen erfinden,
das er aus den Elementen Mensch und Dunst componirte; denn
die orthodoxe Lehre des Confucius weiss nichts vom künftigen
Leben. Aus dieser hielt Huṅ-siu-tsuen den Grundsatz fest, dass
der Mensch von Ursprung gut ist. Das Böse schreibt er dem be-
ständigen Wirken des Schlangenteufels zu, den er in der Bibel
findet; in der chinesischen Sage nehmen nur gute Geister zuweilen
die Gestalt der Schlange an. Im Bewusstsein der Tae-piṅ trat
der Schlangenteufel an die Stelle des Höllenkönigs Yen-lo-waṅ, wel-
chem man, wie vielen anderen Dämonen, aus abergläubischer
Furcht opfert. Die Götzen sind dem gebildeten Chinesen nur Bil-
der furchtbarer Dämonen, dem grossen Haufen aber die Dämonen
selbst; daher die Lust der Tae-piṅ an Vernichtung, »Tödtung« die-
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[199/0221] Die Lehre des Huṅ-siu-tsuen. Weisheitslehren an und substituirt nur dem »Urgrund aller Dinge«, der gewöhnlichen Deutung von Saṅ-ti, den uralten Begriff des höchsten persönlichen Gottes. Sein wichtigstes Werk, das Tae- piṅ-Tšao-šu oder Buch der Belehrungen, welches 1853 bekannt wurde, ist eine an die gebildeten Classen in China gerichtete Recht- fertigung seiner Glaubenslehren, welche den psychologischen Vor- gang seiner Bekehrung in klares Licht stellen soll und nach Meadows’ Ausspruch mit tiefer Kenntniss der chinesischen Literatur im einfachen Ausdruck eines ernsten Mannes geschrieben ist, dem mehr daran liegt zu überzeugen als zu glänzen. Er bringt darin viele Belege aus den heiligen Büchern der Chinesen, stellt aber die Bibel als unfehlbare Quelle der Wahrheit über dieselben. In Huṅ-siu-tsuen’s Lehre ist Šaṅ-ti oder Tien-fu der höchste Gott, der himmlische Vater, den er sich nach alttestament- licher Weise in menschlicher Gestalt denkt; der allmächtige, allweise, allgegenwärtige Schöpfer und Erhalter der Welt. Die Vorsehung ist der Willen dieses persönlichen Gottes. Šaṅ-ti allein ist Gott: »Selbst der Heiland, der Herr Jesus, wird nur Herr genannt. Nun ist doch oben im Himmel, unten in der Erde und unter den Menschen niemand grösser als Jesus. Ist nun selbst Jesus nicht »Ti«, Gott, wer wagt dann noch sich den Namen »Ti« anzumaassen.« Hiermit ist die Stellung des Erlösers in Huṅ-siu- tsuen’s Lehre deutlich bezeichnet; Jesus wird nicht als ewiges, sondern als erschaffenes Wesen gedacht. — Alle Menschen sind Brüder; ihre Seelen erzeugt der Odem des Schöpfers. Für die unsterbliche Seele musste Huṅ ein neues Schriftzeichen erfinden, das er aus den Elementen Mensch und Dunst componirte; denn die orthodoxe Lehre des Confucius weiss nichts vom künftigen Leben. Aus dieser hielt Huṅ-siu-tsuen den Grundsatz fest, dass der Mensch von Ursprung gut ist. Das Böse schreibt er dem be- ständigen Wirken des Schlangenteufels zu, den er in der Bibel findet; in der chinesischen Sage nehmen nur gute Geister zuweilen die Gestalt der Schlange an. Im Bewusstsein der Tae-piṅ trat der Schlangenteufel an die Stelle des Höllenkönigs Yen-lo-waṅ, wel- chem man, wie vielen anderen Dämonen, aus abergläubischer Furcht opfert. Die Götzen sind dem gebildeten Chinesen nur Bil- der furchtbarer Dämonen, dem grossen Haufen aber die Dämonen selbst; daher die Lust der Tae-piṅ an Vernichtung, »Tödtung« die- ser »Teufel«, welche sie so lange in abergläubischer Furcht als

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/221>, abgerufen am 28.03.2024.