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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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fähige forderten. Sie ahmten nur nach; aber ihre communistischen
Satzungen raubten der alten Staatsordnung einen Theil ihrer Grund-
lage; auch war die Masse des Bestehenden, Eingelebten bei aller
inneren Zerrüttung viel zu mächtig, um einer neuen künstlichen
Ordnung zu weichen, welche sich so schwächlich, in so geringem
Umfang geltend machte. -- Statt mit dem ganzen Heere nach Nor-
den zu ziehen, blieben die Führer mit dem grössten Theil ihrer
Kerntruppen in Nan-kin. Tsin-kian und Kwa-tsau erhielten
zuverlässige Garnisonen unter bewährten Führern; das stra-
tegisch unwichtige Yan-tsau, das sie nur seiner Schätze wegen
besetzt hatten, wurde bald wieder aufgegeben. Nach dem Norden,
gegen die Hauptstadt des Reiches zog keiner der fünf Könige;
diesen wichtigsten Feldzug vertrauten sie Untergebenen und schick-
ten nur einen Theil der alten Kerntruppen mit. Einen grossen
Theil des nach Norden marschirenden Heeres scheinen gepresste
Recruten gebildet zu haben; seine unglaublichen Leistungen beweisen
nur die Schwäche des Widerstandes, lassen aber als gewiss an-
nehmen, dass das gesammte Tae-pin-Heer unter den alten Führern
sein grosses Ziel erreicht hätte.

Der Zug nach Norden war der einzige Eroberungszug der
Tae-pin nach der Besetzung von Nan-kin; ihre späteren Feldzüge
nahmen, nicht unmittelbar auf den Sturz der Mandschu ausgehend,
mehr und mehr den Charakter von Raubzügen an, welche Nan-kin
mit Schätzen und Proviant versorgen mussten. Jedes Jahr rückten
die Heere aus und plünderten einige Provinzen, hielten aber keine
bleibend besetzt. Nur wenige Städte am grossen Strom und die
daran grenzenden Landstriche blieben beständig in ihren Händen.
-- Hun-siu-tsuen's religiöse Ueberspannung bildete sich zum Irrsinn
aus; seine Lehre entartete in Vergötterung der eigenen kaiserlichen
Person. Auch die Könige bewahrten keineswegs die alte Strenge,
welche die Stärke ihrer Heere war; mehrere sollen ehrgeizige Ab-
sichten gehegt haben und kamen zu jähem Sturz. Neue Würden-
träger wurden ernannt, darunter fähige, zuverlässige und überzeugte
Männer. Seit aber die Eroberung nicht mehr Hauptziel war, ge-
riethen die Tae-pin mehr und mehr in die Defensive. Die alten
Kerntruppen starben weg; sie in der früheren Weise zu ergänzen,
fehlte es an Glaubenswahn und Strenge. Man bedurfte der Massen,
und, wenn auch einzelne Vorschriften bleibend aufrecht gehalten
wurden, so ergänzten sich doch die Tae-pin-Heere in den späteren

Die spätere Entwickelung.
fähige forderten. Sie ahmten nur nach; aber ihre communistischen
Satzungen raubten der alten Staatsordnung einen Theil ihrer Grund-
lage; auch war die Masse des Bestehenden, Eingelebten bei aller
inneren Zerrüttung viel zu mächtig, um einer neuen künstlichen
Ordnung zu weichen, welche sich so schwächlich, in so geringem
Umfang geltend machte. — Statt mit dem ganzen Heere nach Nor-
den zu ziehen, blieben die Führer mit dem grössten Theil ihrer
Kerntruppen in Nan-kiṅ. Tšiṅ-kiaṅ und Kwa-tšau erhielten
zuverlässige Garnisonen unter bewährten Führern; das stra-
tegisch unwichtige Yaṅ-tšau, das sie nur seiner Schätze wegen
besetzt hatten, wurde bald wieder aufgegeben. Nach dem Norden,
gegen die Hauptstadt des Reiches zog keiner der fünf Könige;
diesen wichtigsten Feldzug vertrauten sie Untergebenen und schick-
ten nur einen Theil der alten Kerntruppen mit. Einen grossen
Theil des nach Norden marschirenden Heeres scheinen gepresste
Recruten gebildet zu haben; seine unglaublichen Leistungen beweisen
nur die Schwäche des Widerstandes, lassen aber als gewiss an-
nehmen, dass das gesammte Tae-piṅ-Heer unter den alten Führern
sein grosses Ziel erreicht hätte.

Der Zug nach Norden war der einzige Eroberungszug der
Tae-piṅ nach der Besetzung von Nan-kiṅ; ihre späteren Feldzüge
nahmen, nicht unmittelbar auf den Sturz der Mandschu ausgehend,
mehr und mehr den Charakter von Raubzügen an, welche Nan-kiṅ
mit Schätzen und Proviant versorgen mussten. Jedes Jahr rückten
die Heere aus und plünderten einige Provinzen, hielten aber keine
bleibend besetzt. Nur wenige Städte am grossen Strom und die
daran grenzenden Landstriche blieben beständig in ihren Händen.
Huṅ-siu-tsuen’s religiöse Ueberspannung bildete sich zum Irrsinn
aus; seine Lehre entartete in Vergötterung der eigenen kaiserlichen
Person. Auch die Könige bewahrten keineswegs die alte Strenge,
welche die Stärke ihrer Heere war; mehrere sollen ehrgeizige Ab-
sichten gehegt haben und kamen zu jähem Sturz. Neue Würden-
träger wurden ernannt, darunter fähige, zuverlässige und überzeugte
Männer. Seit aber die Eroberung nicht mehr Hauptziel war, ge-
riethen die Tae-piṅ mehr und mehr in die Defensive. Die alten
Kerntruppen starben weg; sie in der früheren Weise zu ergänzen,
fehlte es an Glaubenswahn und Strenge. Man bedurfte der Massen,
und, wenn auch einzelne Vorschriften bleibend aufrecht gehalten
wurden, so ergänzten sich doch die Tae-piṅ-Heere in den späteren

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[183/0205] Die spätere Entwickelung. fähige forderten. Sie ahmten nur nach; aber ihre communistischen Satzungen raubten der alten Staatsordnung einen Theil ihrer Grund- lage; auch war die Masse des Bestehenden, Eingelebten bei aller inneren Zerrüttung viel zu mächtig, um einer neuen künstlichen Ordnung zu weichen, welche sich so schwächlich, in so geringem Umfang geltend machte. — Statt mit dem ganzen Heere nach Nor- den zu ziehen, blieben die Führer mit dem grössten Theil ihrer Kerntruppen in Nan-kiṅ. Tšiṅ-kiaṅ und Kwa-tšau erhielten zuverlässige Garnisonen unter bewährten Führern; das stra- tegisch unwichtige Yaṅ-tšau, das sie nur seiner Schätze wegen besetzt hatten, wurde bald wieder aufgegeben. Nach dem Norden, gegen die Hauptstadt des Reiches zog keiner der fünf Könige; diesen wichtigsten Feldzug vertrauten sie Untergebenen und schick- ten nur einen Theil der alten Kerntruppen mit. Einen grossen Theil des nach Norden marschirenden Heeres scheinen gepresste Recruten gebildet zu haben; seine unglaublichen Leistungen beweisen nur die Schwäche des Widerstandes, lassen aber als gewiss an- nehmen, dass das gesammte Tae-piṅ-Heer unter den alten Führern sein grosses Ziel erreicht hätte. Der Zug nach Norden war der einzige Eroberungszug der Tae-piṅ nach der Besetzung von Nan-kiṅ; ihre späteren Feldzüge nahmen, nicht unmittelbar auf den Sturz der Mandschu ausgehend, mehr und mehr den Charakter von Raubzügen an, welche Nan-kiṅ mit Schätzen und Proviant versorgen mussten. Jedes Jahr rückten die Heere aus und plünderten einige Provinzen, hielten aber keine bleibend besetzt. Nur wenige Städte am grossen Strom und die daran grenzenden Landstriche blieben beständig in ihren Händen. — Huṅ-siu-tsuen’s religiöse Ueberspannung bildete sich zum Irrsinn aus; seine Lehre entartete in Vergötterung der eigenen kaiserlichen Person. Auch die Könige bewahrten keineswegs die alte Strenge, welche die Stärke ihrer Heere war; mehrere sollen ehrgeizige Ab- sichten gehegt haben und kamen zu jähem Sturz. Neue Würden- träger wurden ernannt, darunter fähige, zuverlässige und überzeugte Männer. Seit aber die Eroberung nicht mehr Hauptziel war, ge- riethen die Tae-piṅ mehr und mehr in die Defensive. Die alten Kerntruppen starben weg; sie in der früheren Weise zu ergänzen, fehlte es an Glaubenswahn und Strenge. Man bedurfte der Massen, und, wenn auch einzelne Vorschriften bleibend aufrecht gehalten wurden, so ergänzten sich doch die Tae-piṅ-Heere in den späteren

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/205>, abgerufen am 20.04.2024.