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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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Tae-pin-Herrschaft in Nan-kin.
der Tae-pin-Truppen um diese Zeit ist schwer zu schätzen; man
rechnete ihre gegen Nan-kin rückende Streitmacht auf sechszig-
bis achtzigtausend. Dazu kamen wenigstens hunderttausend, viel-
leicht die doppelte Zahl zurückgebliebener Bewohner der besetz-
ten Städte, welche für die Insurgenten arbeiten mussten. Die
waffenfähigen Männer darunter wurden zu Soldaten gepresst und in
die nach dem Norden und Westen detachirten Armeen eingestellt,
während ihre Angehörigen als Geisseln zurückblieben. -- Die Tae-
pin
nahmen Alles, Mann, Weib, Kind und jede Sache vom gering-
sten Werth, inventarisirten und speicherten Alles, um aus dem
gemeinsamen Vermögen alle Ausgaben zu bestreiten. In dieser
methodischen Ordnung lag noch viele Jahre lang ihre Stärke; denn
der gemeine Mann gab sich rücksichtslos seinen Führern hin, die
für ihn dachten und sorgten. Nan-kin wurde der Mittelpunkt, die
grosse Schatzkammer ihrer Herrschaft; sie behaupteten sich dort
elf Jahre lang. Hun-siu-tsuen und seine Könige scheinen geglaubt
zu haben, dass mit der Einnahme der alten südlichen Hauptstadt
der wichtigste Theil ihrer Aufgabe gelöst sei, dass sie von diesem
Mittelpunkt aus das Reich ohne Schwierigkeit unterwerfen könnten.
Hätten sie die begonnene Laufbahn weiter verfolgt, hätten sie sich
mit der ganzen Wucht ihrer sieggewissen Schaaren auf den Norden
geworfen, so möchte sie schwerlich ein kaiserliches Heer vor
Pe-kin aufgehalten haben, und es war, so weit man in der Ge-
schichte mit Wahrscheinlichkeiten rechnen darf, um die Mandschu-
Herrschaft geschehen. Sie gingen aber seit der Besetzung von Nan-
kin
mehr auf Befestigung ihres Ansehns und politische Organisation
als auf Eroberung aus. Hun-siu-tsuen umgab sich mit allen Attri-
buten der Kaiserwürde, richtete eine glänzende Hofhaltung ein und
verschloss sich, nur wenigen Vertrauten zugänglich, mehr und mehr
in seinen Palast, wo er, von vielen Frauen umgeben, in theo-
logisches Grübeln versunken sein soll. Die Leitung der Geschäfte
besorgten die fünf Könige, und ordneten die ganze Staatsverwal-
tung nach dem Muster der Einrichtungen in Pe-kin. Mit diesem
Verfahren spachen die Tae-pin sich selbst das Urtheil. Als Eroberer
konnten sie wahrscheinlich die Mandschu stürzen, die ihnen weder
an Kriegsmacht noch an Ueberzeugung gewachsen waren. Als
Organisatoren mussten sie unterliegen; denn ihren Besten fehlte die
Einsicht und höhere Bildung, welche das Verständniss der alten
politischen Einrichtungen und deren Umgestaltung in neue lebens-

Tae-piṅ-Herrschaft in Nan-kiṅ.
der Tae-piṅ-Truppen um diese Zeit ist schwer zu schätzen; man
rechnete ihre gegen Nan-kiṅ rückende Streitmacht auf sechszig-
bis achtzigtausend. Dazu kamen wenigstens hunderttausend, viel-
leicht die doppelte Zahl zurückgebliebener Bewohner der besetz-
ten Städte, welche für die Insurgenten arbeiten mussten. Die
waffenfähigen Männer darunter wurden zu Soldaten gepresst und in
die nach dem Norden und Westen detachirten Armeen eingestellt,
während ihre Angehörigen als Geisseln zurückblieben. — Die Tae-
piṅ
nahmen Alles, Mann, Weib, Kind und jede Sache vom gering-
sten Werth, inventarisirten und speicherten Alles, um aus dem
gemeinsamen Vermögen alle Ausgaben zu bestreiten. In dieser
methodischen Ordnung lag noch viele Jahre lang ihre Stärke; denn
der gemeine Mann gab sich rücksichtslos seinen Führern hin, die
für ihn dachten und sorgten. Nan-kiṅ wurde der Mittelpunkt, die
grosse Schatzkammer ihrer Herrschaft; sie behaupteten sich dort
elf Jahre lang. Huṅ-siu-tsuen und seine Könige scheinen geglaubt
zu haben, dass mit der Einnahme der alten südlichen Hauptstadt
der wichtigste Theil ihrer Aufgabe gelöst sei, dass sie von diesem
Mittelpunkt aus das Reich ohne Schwierigkeit unterwerfen könnten.
Hätten sie die begonnene Laufbahn weiter verfolgt, hätten sie sich
mit der ganzen Wucht ihrer sieggewissen Schaaren auf den Norden
geworfen, so möchte sie schwerlich ein kaiserliches Heer vor
Pe-kiṅ aufgehalten haben, und es war, so weit man in der Ge-
schichte mit Wahrscheinlichkeiten rechnen darf, um die Mandschu-
Herrschaft geschehen. Sie gingen aber seit der Besetzung von Nan-
kiṅ
mehr auf Befestigung ihres Ansehns und politische Organisation
als auf Eroberung aus. Huṅ-siu-tsuen umgab sich mit allen Attri-
buten der Kaiserwürde, richtete eine glänzende Hofhaltung ein und
verschloss sich, nur wenigen Vertrauten zugänglich, mehr und mehr
in seinen Palast, wo er, von vielen Frauen umgeben, in theo-
logisches Grübeln versunken sein soll. Die Leitung der Geschäfte
besorgten die fünf Könige, und ordneten die ganze Staatsverwal-
tung nach dem Muster der Einrichtungen in Pe-kiṅ. Mit diesem
Verfahren spachen die Tae-piṅ sich selbst das Urtheil. Als Eroberer
konnten sie wahrscheinlich die Mandschu stürzen, die ihnen weder
an Kriegsmacht noch an Ueberzeugung gewachsen waren. Als
Organisatoren mussten sie unterliegen; denn ihren Besten fehlte die
Einsicht und höhere Bildung, welche das Verständniss der alten
politischen Einrichtungen und deren Umgestaltung in neue lebens-

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[182/0204] Tae-piṅ-Herrschaft in Nan-kiṅ. der Tae-piṅ-Truppen um diese Zeit ist schwer zu schätzen; man rechnete ihre gegen Nan-kiṅ rückende Streitmacht auf sechszig- bis achtzigtausend. Dazu kamen wenigstens hunderttausend, viel- leicht die doppelte Zahl zurückgebliebener Bewohner der besetz- ten Städte, welche für die Insurgenten arbeiten mussten. Die waffenfähigen Männer darunter wurden zu Soldaten gepresst und in die nach dem Norden und Westen detachirten Armeen eingestellt, während ihre Angehörigen als Geisseln zurückblieben. — Die Tae- piṅ nahmen Alles, Mann, Weib, Kind und jede Sache vom gering- sten Werth, inventarisirten und speicherten Alles, um aus dem gemeinsamen Vermögen alle Ausgaben zu bestreiten. In dieser methodischen Ordnung lag noch viele Jahre lang ihre Stärke; denn der gemeine Mann gab sich rücksichtslos seinen Führern hin, die für ihn dachten und sorgten. Nan-kiṅ wurde der Mittelpunkt, die grosse Schatzkammer ihrer Herrschaft; sie behaupteten sich dort elf Jahre lang. Huṅ-siu-tsuen und seine Könige scheinen geglaubt zu haben, dass mit der Einnahme der alten südlichen Hauptstadt der wichtigste Theil ihrer Aufgabe gelöst sei, dass sie von diesem Mittelpunkt aus das Reich ohne Schwierigkeit unterwerfen könnten. Hätten sie die begonnene Laufbahn weiter verfolgt, hätten sie sich mit der ganzen Wucht ihrer sieggewissen Schaaren auf den Norden geworfen, so möchte sie schwerlich ein kaiserliches Heer vor Pe-kiṅ aufgehalten haben, und es war, so weit man in der Ge- schichte mit Wahrscheinlichkeiten rechnen darf, um die Mandschu- Herrschaft geschehen. Sie gingen aber seit der Besetzung von Nan- kiṅ mehr auf Befestigung ihres Ansehns und politische Organisation als auf Eroberung aus. Huṅ-siu-tsuen umgab sich mit allen Attri- buten der Kaiserwürde, richtete eine glänzende Hofhaltung ein und verschloss sich, nur wenigen Vertrauten zugänglich, mehr und mehr in seinen Palast, wo er, von vielen Frauen umgeben, in theo- logisches Grübeln versunken sein soll. Die Leitung der Geschäfte besorgten die fünf Könige, und ordneten die ganze Staatsverwal- tung nach dem Muster der Einrichtungen in Pe-kiṅ. Mit diesem Verfahren spachen die Tae-piṅ sich selbst das Urtheil. Als Eroberer konnten sie wahrscheinlich die Mandschu stürzen, die ihnen weder an Kriegsmacht noch an Ueberzeugung gewachsen waren. Als Organisatoren mussten sie unterliegen; denn ihren Besten fehlte die Einsicht und höhere Bildung, welche das Verständniss der alten politischen Einrichtungen und deren Umgestaltung in neue lebens-

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/204>, abgerufen am 18.04.2024.