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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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Vorspiele der Auflehnung.
Seine Verzückungen und die eines anderen "Bruders" Siao-tsao-wui
bezeichnete Hun-siu-tsuen als gottgesandt. Yan-sin pflegte im Namen
des himmlischen Vaters zu reden, Siao-tsao im Namen Jesu. Des
Ersteren Worte waren ernst und furchtbar; er weissagte künftige
Ereignisse, ermahnte zur Tugend, brandmarkte das Laster und heilte
oft Kranke durch Gebet. Siao-tsao redete milder und gütiger. --
So berichtet Hun-dzin im Einklang mit den viel späteren Mitthei-
lungen der Tae-pin-Fürsten zu Nan-kin, unter welchen jene Beiden
selbst die vornehmsten waren.

Trotz seiner längeren Abwesenheit und trotz den Ver-
zückungen des Yan und des Siao sahen die Gottesverehrer Hun-
siu-tsuen
beständig als ihr Haupt an. Er zählte jetzt siebenund-
dreissig Jahre und hatte sich sehr verändert. Ernst und zurückhaltend
in seinem Wesen und rein von Sitten strafte er rücksichtslos jeden
Fehler der Seinen, und Alle duldeten es ohne Murren. Einige Monat
nach dem Tode des Kaisers Tau-kwan -- im Juni oder Juli 1850 --
sandte er drei Brüder der Gemeinde nach seiner Heimath, um seine
ganze Familie holen zu lassen. Nach Hun-dzin's Erzählung hätte
er damals schon den Gedanken der Auflehnung gegen die Mandschu
gefasst. Die Zahl seiner Anhänger war dermaassen gewachsen und
ihr Bekenntniss stritt so heftig gegen die bestehende Ordnung, dass
die Nothwendigkeit des Kampfes zu Tage lag. Die Aussichten einer
Erhebung schienen günstig; denn in Kuan-si war das Ansehn der
Dynastie tief erschüttert; überall boten Rebellenschaaren den kaiser-
lichen Truppen offenen Trotz, und die angesessene Bevölkerung
hasste letztere weit mehr als die Aufrührer. Dazu kam eine natür-
liche Spaltung in der Bevölkerung von Kuan-si. Neben den in die
Berge gedrängten Miao-tse wohnten dort Chinesen, deren Vor-
fahren in zwei weit von einander entfernten Perioden aus Kuan-tun
einwanderten. Die Nachkommen der älteren Colonie hiessen Pun-ti,
die der jüngeren Kei-kia. Die Pun-ti müssen sehr früh nach Kuan-si
gekommen sein, denn das Wort bedeutet "eingeboren". Sie besitzen
die wohlhabendsten Städte und Dörfer und bilden das conservative
Element der Bevölkerung. Die Kei-kia, "Fremden", wohnen auch
schon seit mehreren Generationen in Kuan-si und haben dort Städte
und Dörfer; ihr Dialect gleicht aber dem von Kuan-tun viel mehr
als der der Pun-ti, mit welchen sie immer in Spannung lebten.
Alle Dreifaltigkeitsbündler in Kuan-si gehörten zu den Kei-kia,
ebenso alle "Gottesverehrer" der Gemeinden des Hun-siu-tsuen.

Vorspiele der Auflehnung.
Seine Verzückungen und die eines anderen »Bruders« Siao-tšao-wui
bezeichnete Huṅ-siu-tsuen als gottgesandt. Yaṅ-sin pflegte im Namen
des himmlischen Vaters zu reden, Siao-tšao im Namen Jesu. Des
Ersteren Worte waren ernst und furchtbar; er weissagte künftige
Ereignisse, ermahnte zur Tugend, brandmarkte das Laster und heilte
oft Kranke durch Gebet. Siao-tšao redete milder und gütiger. —
So berichtet Huṅ-džin im Einklang mit den viel späteren Mitthei-
lungen der Tae-piṅ-Fürsten zu Nan-kiṅ, unter welchen jene Beiden
selbst die vornehmsten waren.

Trotz seiner längeren Abwesenheit und trotz den Ver-
zückungen des Yaṅ und des Siao sahen die Gottesverehrer Huṅ-
siu-tsuen
beständig als ihr Haupt an. Er zählte jetzt siebenund-
dreissig Jahre und hatte sich sehr verändert. Ernst und zurückhaltend
in seinem Wesen und rein von Sitten strafte er rücksichtslos jeden
Fehler der Seinen, und Alle duldeten es ohne Murren. Einige Monat
nach dem Tode des Kaisers Tau-kwaṅ — im Juni oder Juli 1850 —
sandte er drei Brüder der Gemeinde nach seiner Heimath, um seine
ganze Familie holen zu lassen. Nach Huṅ-džin’s Erzählung hätte
er damals schon den Gedanken der Auflehnung gegen die Mandschu
gefasst. Die Zahl seiner Anhänger war dermaassen gewachsen und
ihr Bekenntniss stritt so heftig gegen die bestehende Ordnung, dass
die Nothwendigkeit des Kampfes zu Tage lag. Die Aussichten einer
Erhebung schienen günstig; denn in Kuaṅ-si war das Ansehn der
Dynastie tief erschüttert; überall boten Rebellenschaaren den kaiser-
lichen Truppen offenen Trotz, und die angesessene Bevölkerung
hasste letztere weit mehr als die Aufrührer. Dazu kam eine natür-
liche Spaltung in der Bevölkerung von Kuaṅ-si. Neben den in die
Berge gedrängten Miao-tse wohnten dort Chinesen, deren Vor-
fahren in zwei weit von einander entfernten Perioden aus Kuaṅ-tuṅ
einwanderten. Die Nachkommen der älteren Colonie hiessen Pun-ti,
die der jüngeren Kei-kia. Die Pun-ti müssen sehr früh nach Kuaṅ-si
gekommen sein, denn das Wort bedeutet »eingeboren«. Sie besitzen
die wohlhabendsten Städte und Dörfer und bilden das conservative
Element der Bevölkerung. Die Kei-kia, »Fremden«, wohnen auch
schon seit mehreren Generationen in Kuaṅ-si und haben dort Städte
und Dörfer; ihr Dialect gleicht aber dem von Kuaṅ-tuṅ viel mehr
als der der Pun-ti, mit welchen sie immer in Spannung lebten.
Alle Dreifaltigkeitsbündler in Kuaṅ-si gehörten zu den Kei-kia,
ebenso alle »Gottesverehrer« der Gemeinden des Huṅ-siu-tsuen.

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[170/0192] Vorspiele der Auflehnung. Seine Verzückungen und die eines anderen »Bruders« Siao-tšao-wui bezeichnete Huṅ-siu-tsuen als gottgesandt. Yaṅ-sin pflegte im Namen des himmlischen Vaters zu reden, Siao-tšao im Namen Jesu. Des Ersteren Worte waren ernst und furchtbar; er weissagte künftige Ereignisse, ermahnte zur Tugend, brandmarkte das Laster und heilte oft Kranke durch Gebet. Siao-tšao redete milder und gütiger. — So berichtet Huṅ-džin im Einklang mit den viel späteren Mitthei- lungen der Tae-piṅ-Fürsten zu Nan-kiṅ, unter welchen jene Beiden selbst die vornehmsten waren. Trotz seiner längeren Abwesenheit und trotz den Ver- zückungen des Yaṅ und des Siao sahen die Gottesverehrer Huṅ- siu-tsuen beständig als ihr Haupt an. Er zählte jetzt siebenund- dreissig Jahre und hatte sich sehr verändert. Ernst und zurückhaltend in seinem Wesen und rein von Sitten strafte er rücksichtslos jeden Fehler der Seinen, und Alle duldeten es ohne Murren. Einige Monat nach dem Tode des Kaisers Tau-kwaṅ — im Juni oder Juli 1850 — sandte er drei Brüder der Gemeinde nach seiner Heimath, um seine ganze Familie holen zu lassen. Nach Huṅ-džin’s Erzählung hätte er damals schon den Gedanken der Auflehnung gegen die Mandschu gefasst. Die Zahl seiner Anhänger war dermaassen gewachsen und ihr Bekenntniss stritt so heftig gegen die bestehende Ordnung, dass die Nothwendigkeit des Kampfes zu Tage lag. Die Aussichten einer Erhebung schienen günstig; denn in Kuaṅ-si war das Ansehn der Dynastie tief erschüttert; überall boten Rebellenschaaren den kaiser- lichen Truppen offenen Trotz, und die angesessene Bevölkerung hasste letztere weit mehr als die Aufrührer. Dazu kam eine natür- liche Spaltung in der Bevölkerung von Kuaṅ-si. Neben den in die Berge gedrängten Miao-tse wohnten dort Chinesen, deren Vor- fahren in zwei weit von einander entfernten Perioden aus Kuaṅ-tuṅ einwanderten. Die Nachkommen der älteren Colonie hiessen Pun-ti, die der jüngeren Kei-kia. Die Pun-ti müssen sehr früh nach Kuaṅ-si gekommen sein, denn das Wort bedeutet »eingeboren«. Sie besitzen die wohlhabendsten Städte und Dörfer und bilden das conservative Element der Bevölkerung. Die Kei-kia, »Fremden«, wohnen auch schon seit mehreren Generationen in Kuaṅ-si und haben dort Städte und Dörfer; ihr Dialect gleicht aber dem von Kuaṅ-tuṅ viel mehr als der der Pun-ti, mit welchen sie immer in Spannung lebten. Alle Dreifaltigkeitsbündler in Kuaṅ-si gehörten zu den Kei-kia, ebenso alle »Gottesverehrer« der Gemeinden des Huṅ-siu-tsuen.

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/192>, abgerufen am 24.04.2024.