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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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Anarchie in Kan-ton.
zu Tage. Wurde das Haus eines verhassten Beamten nieder-
gebrannt, so handelte das Volk genau nach Vorschrift seiner
Führer, enthielt sich der Plünderung und schützte alle an die
Brandstätte grenzenden Gebäude. Die obersten Behörden liessen
solche Excesse ungerügt oder bestraften obenein den unbeliebten
Beamten. Das Volk, zur Abwehr der Briten und der heimischen
Banditen bewaffnet, liess die Obrigkeit seine Macht fühlen und
bestritt ihr auch in der Umgegend von Kan-ton das Recht der
Steuererhebung. Anfangs hatte Ki-yin die Bewaffnung empfohlen,
erkannte aber bald seinen Irrthum und warnte den Kaiser. Tau-
kwan
aber wiegte sich in den Friedensjahren wieder in Träume
von China's Ueberlegenheit und lieh der Reaction sein Ohr. Er
glaubte, dass die Macht der Engländer im Sinken, ihre Stellung
auf Hong-kong gefährdet, ihr Handel im Abnehmen sei, und
sprach von ihnen als viehischen Geschöpfen, die keiner Beachtung
werth, keiner anderen Leidenschaft fähig wären als der Habgier.
Die Einfuhr englischer Baumwollenzeuge war ihm ein Dorn im
Auge; der Gebrauch des Opium, hatte er sich einreden lassen,
werde bei gänzlicher Ignorirung in wenigen Jahren von selbst auf-
hören. An der Bewaffnung des Volkes hatte Tau-kwan besondere
Freude und glaubte nicht, dass es jemals andere Rechte bean-
spruchen könne, als die auf uraltem Herkommen fussenden oder
vom Himmelssohne gnädigst gewährten. Er hielt Ki-yin für zu
ängstlich, rief ihn 1848 nach Pe-kin zurück und schickte den Siu-
kwan-tsin
nach Kan-ton, der zu seiner Freude in einem Monat
hunderttausend Mann auf die Beine brachte und mehrere hundert-
tausend Tael zu ihrer Unterhaltung sammelte; so lautete wenigstens
dessen Bericht.

Ki-yin erhielt eine ehrenvolle Stellung bei der Person des
Kaisers, der in den letzten Lebensjahren auf seinen Rath wenig
gehört zu haben scheint. Nach Tau-kwan's am 25. Februar 1850
erfolgtem Tode gab ihm dessen Wittwe durch den Befehl zur Lei-
tung der Exequien ein Zeichen des höchsten Vertrauens. Nach
der Thronbesteigung des kaum zwanzigjährigen Hien-fun71) gewann
aber die Reaction grössere Macht. Gegen die Ansichten Ki-yin's
und Mu-tsan-ga's, welcher seit dem Opiumkriege die Seele der
Regierung und Ki-yin's stärkste Stütze in Pe-kin gewesen war,
liess der junge Kaiser eine zu seiner Beglückwünschung geschickte

71) Er war der vierte Sohn des Tau-kwan.

Anarchie in Kan-ton.
zu Tage. Wurde das Haus eines verhassten Beamten nieder-
gebrannt, so handelte das Volk genau nach Vorschrift seiner
Führer, enthielt sich der Plünderung und schützte alle an die
Brandstätte grenzenden Gebäude. Die obersten Behörden liessen
solche Excesse ungerügt oder bestraften obenein den unbeliebten
Beamten. Das Volk, zur Abwehr der Briten und der heimischen
Banditen bewaffnet, liess die Obrigkeit seine Macht fühlen und
bestritt ihr auch in der Umgegend von Kan-ton das Recht der
Steuererhebung. Anfangs hatte Ki-yiṅ die Bewaffnung empfohlen,
erkannte aber bald seinen Irrthum und warnte den Kaiser. Tau-
kwaṅ
aber wiegte sich in den Friedensjahren wieder in Träume
von China’s Ueberlegenheit und lieh der Reaction sein Ohr. Er
glaubte, dass die Macht der Engländer im Sinken, ihre Stellung
auf Hong-kong gefährdet, ihr Handel im Abnehmen sei, und
sprach von ihnen als viehischen Geschöpfen, die keiner Beachtung
werth, keiner anderen Leidenschaft fähig wären als der Habgier.
Die Einfuhr englischer Baumwollenzeuge war ihm ein Dorn im
Auge; der Gebrauch des Opium, hatte er sich einreden lassen,
werde bei gänzlicher Ignorirung in wenigen Jahren von selbst auf-
hören. An der Bewaffnung des Volkes hatte Tau-kwaṅ besondere
Freude und glaubte nicht, dass es jemals andere Rechte bean-
spruchen könne, als die auf uraltem Herkommen fussenden oder
vom Himmelssohne gnädigst gewährten. Er hielt Ki-yiṅ für zu
ängstlich, rief ihn 1848 nach Pe-kiṅ zurück und schickte den Siu-
kwaṅ-tsin
nach Kan-ton, der zu seiner Freude in einem Monat
hunderttausend Mann auf die Beine brachte und mehrere hundert-
tausend Tael zu ihrer Unterhaltung sammelte; so lautete wenigstens
dessen Bericht.

Ki-yiṅ erhielt eine ehrenvolle Stellung bei der Person des
Kaisers, der in den letzten Lebensjahren auf seinen Rath wenig
gehört zu haben scheint. Nach Tau-kwaṅ’s am 25. Februar 1850
erfolgtem Tode gab ihm dessen Wittwe durch den Befehl zur Lei-
tung der Exequien ein Zeichen des höchsten Vertrauens. Nach
der Thronbesteigung des kaum zwanzigjährigen Hien-fuṅ71) gewann
aber die Reaction grössere Macht. Gegen die Ansichten Ki-yiṅ’s
und Mu-tšan-ga’s, welcher seit dem Opiumkriege die Seele der
Regierung und Ki-yiṅ’s stärkste Stütze in Pe-kiṅ gewesen war,
liess der junge Kaiser eine zu seiner Beglückwünschung geschickte

71) Er war der vierte Sohn des Tau-kwaṅ.
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[160/0182] Anarchie in Kan-ton. zu Tage. Wurde das Haus eines verhassten Beamten nieder- gebrannt, so handelte das Volk genau nach Vorschrift seiner Führer, enthielt sich der Plünderung und schützte alle an die Brandstätte grenzenden Gebäude. Die obersten Behörden liessen solche Excesse ungerügt oder bestraften obenein den unbeliebten Beamten. Das Volk, zur Abwehr der Briten und der heimischen Banditen bewaffnet, liess die Obrigkeit seine Macht fühlen und bestritt ihr auch in der Umgegend von Kan-ton das Recht der Steuererhebung. Anfangs hatte Ki-yiṅ die Bewaffnung empfohlen, erkannte aber bald seinen Irrthum und warnte den Kaiser. Tau- kwaṅ aber wiegte sich in den Friedensjahren wieder in Träume von China’s Ueberlegenheit und lieh der Reaction sein Ohr. Er glaubte, dass die Macht der Engländer im Sinken, ihre Stellung auf Hong-kong gefährdet, ihr Handel im Abnehmen sei, und sprach von ihnen als viehischen Geschöpfen, die keiner Beachtung werth, keiner anderen Leidenschaft fähig wären als der Habgier. Die Einfuhr englischer Baumwollenzeuge war ihm ein Dorn im Auge; der Gebrauch des Opium, hatte er sich einreden lassen, werde bei gänzlicher Ignorirung in wenigen Jahren von selbst auf- hören. An der Bewaffnung des Volkes hatte Tau-kwaṅ besondere Freude und glaubte nicht, dass es jemals andere Rechte bean- spruchen könne, als die auf uraltem Herkommen fussenden oder vom Himmelssohne gnädigst gewährten. Er hielt Ki-yiṅ für zu ängstlich, rief ihn 1848 nach Pe-kiṅ zurück und schickte den Siu- kwaṅ-tsin nach Kan-ton, der zu seiner Freude in einem Monat hunderttausend Mann auf die Beine brachte und mehrere hundert- tausend Tael zu ihrer Unterhaltung sammelte; so lautete wenigstens dessen Bericht. Ki-yiṅ erhielt eine ehrenvolle Stellung bei der Person des Kaisers, der in den letzten Lebensjahren auf seinen Rath wenig gehört zu haben scheint. Nach Tau-kwaṅ’s am 25. Februar 1850 erfolgtem Tode gab ihm dessen Wittwe durch den Befehl zur Lei- tung der Exequien ein Zeichen des höchsten Vertrauens. Nach der Thronbesteigung des kaum zwanzigjährigen Hien-fuṅ 71) gewann aber die Reaction grössere Macht. Gegen die Ansichten Ki-yiṅ’s und Mu-tšan-ga’s, welcher seit dem Opiumkriege die Seele der Regierung und Ki-yiṅ’s stärkste Stütze in Pe-kiṅ gewesen war, liess der junge Kaiser eine zu seiner Beglückwünschung geschickte 71) Er war der vierte Sohn des Tau-kwaṅ.

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/182>, abgerufen am 18.04.2024.