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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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Zerrüttung des Reiches.
kamen zu Schaden. In Kuan-tun trieb die von den Behörden
bewaffnete Küstenbevölkerung das Piratenhandwerk mit bestem
Erfolge. Die durch den Krieg geschwächte kaiserliche Marine war
ganz unvermögend. Bald wagten sich Handelsdschunken nur unter
dem Schutz europäischer Kauffahrer auf das Meer; aber auch diese
gewährten in der Folge keine Sicherheit. Bei A-moi überfielen
Piraten zwei Opiumschiffe, mordeten die Mannschaft und raubten
bedeutende Geldsummen. Als bald darauf in derselben Gegend
eine werthvolle Handelsdschunke gekapert wurde, gelang es der
englischen Corvette Scout die Piraten mit ihrer Prise zu fassen.
Der Commandant lieferte den Behörden von A-moi unter lautem
Volksjubel sechsundachtzig Seeräuber zur Hinrichtung aus. Nach
diesem Vorfall führten die Engländer mehrere Jahre lang gegen die
Seeräuber einen Vernichtungskrieg.

Die vom Meere vertriebenen Piraten verstärkten die Räuber-
banden auf dem Lande. In Schaaren von Tausenden zogen sie
durch das Land, griffen volkreiche Städte an und schlugen überall
die kaiserlichen Truppen. Das Volk bewaffnete sich nun auch in
Fu-kian, und das Ansehn der Regierung sank immer tiefer.
Ueberall zeigte sich die Wirksamkeit der Geheimbünde, wenn auch
planlos auf den Umsturz ausgehend. Oft wurden Emissäre des
Dreifaltigkeitsbundes auf Hong-kong verhaftet und den kaiserlichen
Behörden ausgeliefert; ihre Papiere waren in Geheimschrift geschrie-
ben, aber so viel liess sich daraus entnehmen, dass die Brüderschaft
auf den Sturz der Tartarenherrschaft ausging und weit und breit
durch das Volk verzweigt war. -- Gegen Erpressungen der Man-
darinen erhob das früher so geduldige Volk sich nach dem Opium-
kriege häufig unter Führung der Studirten. So misshandelten
und tödteten 1845 die anerkannt ruhigen Bürger von Nin-po meh-
rere hohe Beamten und schlugen die gegen sie gesandte Miliz.
Ganze Landschaften verweigerten die Steuerzahlung und konnten
selten dazu gezwungen werden. Meist vertuschten die Behörden
solche Vorfälle, damit die Erbitterung nicht weiter griffe.

In Kan-ton hatte 1847 ein Tartare der Garnison unabsicht-
lich den Tod eines chinesischen Mädchens veranlasst; darauf zer-
störte der Pöbel das Haus des tartarischen Commandanten, und
die Behörden konnten nur durch Nachgiebigkeit einem allgemeinen
Aufstand vorbeugen. Die Fälle widerstrebenden und eigenmächtigen
Handelns mehrten sich; ihre politische Bedeutung trat immer klarer

Zerrüttung des Reiches.
kamen zu Schaden. In Kuaṅ-tuṅ trieb die von den Behörden
bewaffnete Küstenbevölkerung das Piratenhandwerk mit bestem
Erfolge. Die durch den Krieg geschwächte kaiserliche Marine war
ganz unvermögend. Bald wagten sich Handelsdschunken nur unter
dem Schutz europäischer Kauffahrer auf das Meer; aber auch diese
gewährten in der Folge keine Sicherheit. Bei A-moi überfielen
Piraten zwei Opiumschiffe, mordeten die Mannschaft und raubten
bedeutende Geldsummen. Als bald darauf in derselben Gegend
eine werthvolle Handelsdschunke gekapert wurde, gelang es der
englischen Corvette Scout die Piraten mit ihrer Prise zu fassen.
Der Commandant lieferte den Behörden von A-moi unter lautem
Volksjubel sechsundachtzig Seeräuber zur Hinrichtung aus. Nach
diesem Vorfall führten die Engländer mehrere Jahre lang gegen die
Seeräuber einen Vernichtungskrieg.

Die vom Meere vertriebenen Piraten verstärkten die Räuber-
banden auf dem Lande. In Schaaren von Tausenden zogen sie
durch das Land, griffen volkreiche Städte an und schlugen überall
die kaiserlichen Truppen. Das Volk bewaffnete sich nun auch in
Fu-kian, und das Ansehn der Regierung sank immer tiefer.
Ueberall zeigte sich die Wirksamkeit der Geheimbünde, wenn auch
planlos auf den Umsturz ausgehend. Oft wurden Emissäre des
Dreifaltigkeitsbundes auf Hong-kong verhaftet und den kaiserlichen
Behörden ausgeliefert; ihre Papiere waren in Geheimschrift geschrie-
ben, aber so viel liess sich daraus entnehmen, dass die Brüderschaft
auf den Sturz der Tartarenherrschaft ausging und weit und breit
durch das Volk verzweigt war. — Gegen Erpressungen der Man-
darinen erhob das früher so geduldige Volk sich nach dem Opium-
kriege häufig unter Führung der Studirten. So misshandelten
und tödteten 1845 die anerkannt ruhigen Bürger von Niṅ-po meh-
rere hohe Beamten und schlugen die gegen sie gesandte Miliz.
Ganze Landschaften verweigerten die Steuerzahlung und konnten
selten dazu gezwungen werden. Meist vertuschten die Behörden
solche Vorfälle, damit die Erbitterung nicht weiter griffe.

In Kan-ton hatte 1847 ein Tartare der Garnison unabsicht-
lich den Tod eines chinesischen Mädchens veranlasst; darauf zer-
störte der Pöbel das Haus des tartarischen Commandanten, und
die Behörden konnten nur durch Nachgiebigkeit einem allgemeinen
Aufstand vorbeugen. Die Fälle widerstrebenden und eigenmächtigen
Handelns mehrten sich; ihre politische Bedeutung trat immer klarer

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[159/0181] Zerrüttung des Reiches. kamen zu Schaden. In Kuaṅ-tuṅ trieb die von den Behörden bewaffnete Küstenbevölkerung das Piratenhandwerk mit bestem Erfolge. Die durch den Krieg geschwächte kaiserliche Marine war ganz unvermögend. Bald wagten sich Handelsdschunken nur unter dem Schutz europäischer Kauffahrer auf das Meer; aber auch diese gewährten in der Folge keine Sicherheit. Bei A-moi überfielen Piraten zwei Opiumschiffe, mordeten die Mannschaft und raubten bedeutende Geldsummen. Als bald darauf in derselben Gegend eine werthvolle Handelsdschunke gekapert wurde, gelang es der englischen Corvette Scout die Piraten mit ihrer Prise zu fassen. Der Commandant lieferte den Behörden von A-moi unter lautem Volksjubel sechsundachtzig Seeräuber zur Hinrichtung aus. Nach diesem Vorfall führten die Engländer mehrere Jahre lang gegen die Seeräuber einen Vernichtungskrieg. Die vom Meere vertriebenen Piraten verstärkten die Räuber- banden auf dem Lande. In Schaaren von Tausenden zogen sie durch das Land, griffen volkreiche Städte an und schlugen überall die kaiserlichen Truppen. Das Volk bewaffnete sich nun auch in Fu-kian, und das Ansehn der Regierung sank immer tiefer. Ueberall zeigte sich die Wirksamkeit der Geheimbünde, wenn auch planlos auf den Umsturz ausgehend. Oft wurden Emissäre des Dreifaltigkeitsbundes auf Hong-kong verhaftet und den kaiserlichen Behörden ausgeliefert; ihre Papiere waren in Geheimschrift geschrie- ben, aber so viel liess sich daraus entnehmen, dass die Brüderschaft auf den Sturz der Tartarenherrschaft ausging und weit und breit durch das Volk verzweigt war. — Gegen Erpressungen der Man- darinen erhob das früher so geduldige Volk sich nach dem Opium- kriege häufig unter Führung der Studirten. So misshandelten und tödteten 1845 die anerkannt ruhigen Bürger von Niṅ-po meh- rere hohe Beamten und schlugen die gegen sie gesandte Miliz. Ganze Landschaften verweigerten die Steuerzahlung und konnten selten dazu gezwungen werden. Meist vertuschten die Behörden solche Vorfälle, damit die Erbitterung nicht weiter griffe. In Kan-ton hatte 1847 ein Tartare der Garnison unabsicht- lich den Tod eines chinesischen Mädchens veranlasst; darauf zer- störte der Pöbel das Haus des tartarischen Commandanten, und die Behörden konnten nur durch Nachgiebigkeit einem allgemeinen Aufstand vorbeugen. Die Fälle widerstrebenden und eigenmächtigen Handelns mehrten sich; ihre politische Bedeutung trat immer klarer

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/181>, abgerufen am 20.04.2024.