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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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Rebellionen im Anfang des 19. Jahrhunderts.
die, wo sie keinen Sold erhielten, sich oft zu den Insurgenten
schlugen. Von 1805 bis 1810 bot eine Piratenflotte, die nach
Gützlaff aus achthundert Dschunken und tausend Booten mit
einer Bemannung von siebzigtausend Seeleuten bestand, an den
südöstlichen Küsten der Regierung offenen Trotz, schlug alle
kaiserlichen Flotten und konnte erst, nachdem Zwietracht unter
den Führern gesät war, durch Compromisse gebändigt werden. 70)
1812 veranlasste Misswachs im Norden des Reiches einen Aufstand,
der sich über fünf Provinzen verbreitete; diese Rebellen nannten
sich Tien-li (himmlisches Recht) und gingen offen auf den Sturz
der Mandschu aus. Am Kaiserhofe selbst müssen sie Theilnehmer
gehabt haben; Kia-kin wurde 1813 in seinem Palast überfallen und
entging dem Tode mit genauer Noth. Er befahl damals die
strengste Verfolgung aller Geheimbünde durch das ganze Reich; 1816
sollen über 10,000 Menschen zum Tode verurtheilt in den Kerkern
geschmachtet haben.

Misswachs, Erdbeben und Ueberschwemmungen verwüsteten
das Reich gegen das Lebensende des Kia-kin. Sein Nachfolger
Tau-kwan muss ein ehrlicher Charakter gewesen sein; er stellte
am Hofe ein sittliches Leben her, brachte Ordnung in die Finanzen
und strebte nach dem Zeugniss der Zeitgenossen mit Ernst seinen
Beruf zu erfüllen. Der Zustand des Reiches besserte sich; in den

70) Die Streitmacht der Piraten war vollständig organisirt; sie gehorchte nach
dem Tode des Führers lange Zeit dessen Wittwe, welche für den activen Dienst
ihre Stellvertreter ernannte. Zwei Engländer, Glaspoole und Turner, die längere
Zeit bei ihnen gefangen waren, haben einen merkwürdigen Bericht veröffentlicht.
Die strengste Mannszucht soll unter den Piraten geherrscht haben. Die Ehe
war ihnen heilig, jeder unsittliche Verkehr und jede Gewaltsamkeit gegen Frauen
streng verpönt. Alle Dschunken, die ihre Oberhoheit anerkannten, erhielten Geleits-
pässe; alle anderen Chinesen, besonders die in kaiserlichen Fahrzeugen gefangenen,
behandelte man mit furchtbarer Grausamkeit. Man erhob Contributionen von den
Küstenstädten; selbst europäische Boote konnten nicht ohne Schutz zwischen
Kan-ton und Macao verkehren, denn die Piraten beherrschten alle Mündungen des
Tsu-kian. Die Regierung machte grosse Anstrengungen, und die Portugiesen in
Macao stellten 1809 gegen eine Subvention von 80,000 Tael sechs bewaffnete Fahr-
zeuge zum Dienst gegen die Seeräuber. Das Alles hätte aber kaum gefruchtet,
wenn nicht Zwietracht zwischen ihnen entstanden wäre. Sie theilten sich in ein
rothes und ein schwarzes Geschwader, die sich eine blutige Schlacht lieferten. Die
Rothen siegten. Die Schwarzen benutzten nun die von der kaiserlichen Regierung
für die fügsamen Piraten erlassene Amnestie; ihr Führer erhielt sogar Rang und
Würden. Sie wurden gegen die von der Wittwe des früheren Hauptmannes befeh-
ligten Rothen verwendet, schnitten diesen die Zufuhr ab und zwangen sie, ebenfalls
die Amnestie anzunehmen.

Rebellionen im Anfang des 19. Jahrhunderts.
die, wo sie keinen Sold erhielten, sich oft zu den Insurgenten
schlugen. Von 1805 bis 1810 bot eine Piratenflotte, die nach
Gützlaff aus achthundert Dschunken und tausend Booten mit
einer Bemannung von siebzigtausend Seeleuten bestand, an den
südöstlichen Küsten der Regierung offenen Trotz, schlug alle
kaiserlichen Flotten und konnte erst, nachdem Zwietracht unter
den Führern gesät war, durch Compromisse gebändigt werden. 70)
1812 veranlasste Misswachs im Norden des Reiches einen Aufstand,
der sich über fünf Provinzen verbreitete; diese Rebellen nannten
sich Tien-li (himmlisches Recht) und gingen offen auf den Sturz
der Mandschu aus. Am Kaiserhofe selbst müssen sie Theilnehmer
gehabt haben; Kia-kiṅ wurde 1813 in seinem Palast überfallen und
entging dem Tode mit genauer Noth. Er befahl damals die
strengste Verfolgung aller Geheimbünde durch das ganze Reich; 1816
sollen über 10,000 Menschen zum Tode verurtheilt in den Kerkern
geschmachtet haben.

Misswachs, Erdbeben und Ueberschwemmungen verwüsteten
das Reich gegen das Lebensende des Kia-kiṅ. Sein Nachfolger
Tau-kwaṅ muss ein ehrlicher Charakter gewesen sein; er stellte
am Hofe ein sittliches Leben her, brachte Ordnung in die Finanzen
und strebte nach dem Zeugniss der Zeitgenossen mit Ernst seinen
Beruf zu erfüllen. Der Zustand des Reiches besserte sich; in den

70) Die Streitmacht der Piraten war vollständig organisirt; sie gehorchte nach
dem Tode des Führers lange Zeit dessen Wittwe, welche für den activen Dienst
ihre Stellvertreter ernannte. Zwei Engländer, Glaspoole und Turner, die längere
Zeit bei ihnen gefangen waren, haben einen merkwürdigen Bericht veröffentlicht.
Die strengste Mannszucht soll unter den Piraten geherrscht haben. Die Ehe
war ihnen heilig, jeder unsittliche Verkehr und jede Gewaltsamkeit gegen Frauen
streng verpönt. Alle Dschunken, die ihre Oberhoheit anerkannten, erhielten Geleits-
pässe; alle anderen Chinesen, besonders die in kaiserlichen Fahrzeugen gefangenen,
behandelte man mit furchtbarer Grausamkeit. Man erhob Contributionen von den
Küstenstädten; selbst europäische Boote konnten nicht ohne Schutz zwischen
Kan-ton und Macao verkehren, denn die Piraten beherrschten alle Mündungen des
Tšu-kiaṅ. Die Regierung machte grosse Anstrengungen, und die Portugiesen in
Macao stellten 1809 gegen eine Subvention von 80,000 Tael sechs bewaffnete Fahr-
zeuge zum Dienst gegen die Seeräuber. Das Alles hätte aber kaum gefruchtet,
wenn nicht Zwietracht zwischen ihnen entstanden wäre. Sie theilten sich in ein
rothes und ein schwarzes Geschwader, die sich eine blutige Schlacht lieferten. Die
Rothen siegten. Die Schwarzen benutzten nun die von der kaiserlichen Regierung
für die fügsamen Piraten erlassene Amnestie; ihr Führer erhielt sogar Rang und
Würden. Sie wurden gegen die von der Wittwe des früheren Hauptmannes befeh-
ligten Rothen verwendet, schnitten diesen die Zufuhr ab und zwangen sie, ebenfalls
die Amnestie anzunehmen.
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[156/0178] Rebellionen im Anfang des 19. Jahrhunderts. die, wo sie keinen Sold erhielten, sich oft zu den Insurgenten schlugen. Von 1805 bis 1810 bot eine Piratenflotte, die nach Gützlaff aus achthundert Dschunken und tausend Booten mit einer Bemannung von siebzigtausend Seeleuten bestand, an den südöstlichen Küsten der Regierung offenen Trotz, schlug alle kaiserlichen Flotten und konnte erst, nachdem Zwietracht unter den Führern gesät war, durch Compromisse gebändigt werden. 70) 1812 veranlasste Misswachs im Norden des Reiches einen Aufstand, der sich über fünf Provinzen verbreitete; diese Rebellen nannten sich Tien-li (himmlisches Recht) und gingen offen auf den Sturz der Mandschu aus. Am Kaiserhofe selbst müssen sie Theilnehmer gehabt haben; Kia-kiṅ wurde 1813 in seinem Palast überfallen und entging dem Tode mit genauer Noth. Er befahl damals die strengste Verfolgung aller Geheimbünde durch das ganze Reich; 1816 sollen über 10,000 Menschen zum Tode verurtheilt in den Kerkern geschmachtet haben. Misswachs, Erdbeben und Ueberschwemmungen verwüsteten das Reich gegen das Lebensende des Kia-kiṅ. Sein Nachfolger Tau-kwaṅ muss ein ehrlicher Charakter gewesen sein; er stellte am Hofe ein sittliches Leben her, brachte Ordnung in die Finanzen und strebte nach dem Zeugniss der Zeitgenossen mit Ernst seinen Beruf zu erfüllen. Der Zustand des Reiches besserte sich; in den 70) Die Streitmacht der Piraten war vollständig organisirt; sie gehorchte nach dem Tode des Führers lange Zeit dessen Wittwe, welche für den activen Dienst ihre Stellvertreter ernannte. Zwei Engländer, Glaspoole und Turner, die längere Zeit bei ihnen gefangen waren, haben einen merkwürdigen Bericht veröffentlicht. Die strengste Mannszucht soll unter den Piraten geherrscht haben. Die Ehe war ihnen heilig, jeder unsittliche Verkehr und jede Gewaltsamkeit gegen Frauen streng verpönt. Alle Dschunken, die ihre Oberhoheit anerkannten, erhielten Geleits- pässe; alle anderen Chinesen, besonders die in kaiserlichen Fahrzeugen gefangenen, behandelte man mit furchtbarer Grausamkeit. Man erhob Contributionen von den Küstenstädten; selbst europäische Boote konnten nicht ohne Schutz zwischen Kan-ton und Macao verkehren, denn die Piraten beherrschten alle Mündungen des Tšu-kiaṅ. Die Regierung machte grosse Anstrengungen, und die Portugiesen in Macao stellten 1809 gegen eine Subvention von 80,000 Tael sechs bewaffnete Fahr- zeuge zum Dienst gegen die Seeräuber. Das Alles hätte aber kaum gefruchtet, wenn nicht Zwietracht zwischen ihnen entstanden wäre. Sie theilten sich in ein rothes und ein schwarzes Geschwader, die sich eine blutige Schlacht lieferten. Die Rothen siegten. Die Schwarzen benutzten nun die von der kaiserlichen Regierung für die fügsamen Piraten erlassene Amnestie; ihr Führer erhielt sogar Rang und Würden. Sie wurden gegen die von der Wittwe des früheren Hauptmannes befeh- ligten Rothen verwendet, schnitten diesen die Zufuhr ab und zwangen sie, ebenfalls die Amnestie anzunehmen.

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/178>, abgerufen am 25.04.2024.