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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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Die Bevölkerung der südlichen Provinzen.
wurden, dass Vortheile, die der höher gebildete Chinese nur durch
angestrengte Arbeit erringen konnte, dem rohen Tartaren als un-
gesäte Früchte seiner Abstammung in den Schooss fielen. Dieses
Missverhältniss wird eben so lange bestehen wie die Mandschu-
Regierung und scheint selbst in den glänzendsten Zeiten ihrer
Herrschaft eine Wurzel nagenden Grolles gewesen zu sein. Der
chinesische Staat beruht wesentlich auf dem Princip, dass die
sittliche Weltordnung durch sittliche Mittel zur Geltung gebracht
werden muss, nicht durch Willkür und Gewalt. Nur diese,
das tiefste Volksbewusstsein durchdringende Macht hält das
colossale Reich zusammen. In diesem Sinne nennt Meadows die
chinesische die höchste Gattung von Cultur. Unter der glän-
zenden Herrschaft des Kan-gi und des Kien-lon, welche Jeder
60 Jahre regierten, hob China sich zu hoher Blüthe. Beide
waren sparsam in Verleihung der Aemter an ihre Stammgenossen.
Dennoch gab es in allen Provinzen tartarische Beamte und tarta-
rische Garnisonen, welche den Chinesen in aller bürgerlichen Glück-
seligkeit immer wieder an das fremde Joch erinnerten. Am leben-
digsten blieb dieses Gefühl in den südöstlichen Provinzen.

Fu-kian und Kuan-tun sind Küstenlandschaften, durch
hohes Gebirge vom übrigen China geschieden. Nur wenige schwie-
rige Pässe vermitteln den Verkehr. Der Nordhang des Gebirges
sendet seine Gewässer in den Yan-tse, der Südhang nach den
mit tausend Inseln gesäumten Küsten. Etwa Tsu-san gegenüber
tritt der östliche Vorsprung der Berge in das Meer; der südliche
Theil von Tse-kian gleicht seiner Natur nach Fu-kian. Nördlich
liegen ungeheuere Ebenen, und die Küsten, meist angeschwemmtes
Land, sind fast hafenlos; südlich giebt es wenig ebenes Land und
eine grosse Zahl vorzüglicher Häfen und Buchten. -- Kuan-si ist
Binnenland; der bei Kan-ton fliessende Tsu-kian oder Perlfluss
entspringt in seinen unwegsamen Gebirgen. Deren Urbewohner, die
Miao-tse, wurden von keiner chinesischen Dynastie vollständig
bezwungen und bewahren noch heute ihre eigenthümliche Tracht
und Sitte. In den Thälern leben Eingewanderte aus Kuan-tun.
Die Bewohner dieser Provinz und der Landschaft Fu-kian sind
ein beherzter, unternehmender Schlag, sehr verschieden von dem
stätigen, an der Scholle klebenden Chinesen der grossen Ebenen
in Norden. Ihre buchtenreichen Gestade haben sie von jeher auf das
Meer getrieben; namentlich gehen aus Fu-kian beständig starke

Die Bevölkerung der südlichen Provinzen.
wurden, dass Vortheile, die der höher gebildete Chinese nur durch
angestrengte Arbeit erringen konnte, dem rohen Tartaren als un-
gesäte Früchte seiner Abstammung in den Schooss fielen. Dieses
Missverhältniss wird eben so lange bestehen wie die Mandschu-
Regierung und scheint selbst in den glänzendsten Zeiten ihrer
Herrschaft eine Wurzel nagenden Grolles gewesen zu sein. Der
chinesische Staat beruht wesentlich auf dem Princip, dass die
sittliche Weltordnung durch sittliche Mittel zur Geltung gebracht
werden muss, nicht durch Willkür und Gewalt. Nur diese,
das tiefste Volksbewusstsein durchdringende Macht hält das
colossale Reich zusammen. In diesem Sinne nennt Meadows die
chinesische die höchste Gattung von Cultur. Unter der glän-
zenden Herrschaft des Kaṅ-gi und des Kien-loṅ, welche Jeder
60 Jahre regierten, hob China sich zu hoher Blüthe. Beide
waren sparsam in Verleihung der Aemter an ihre Stammgenossen.
Dennoch gab es in allen Provinzen tartarische Beamte und tarta-
rische Garnisonen, welche den Chinesen in aller bürgerlichen Glück-
seligkeit immer wieder an das fremde Joch erinnerten. Am leben-
digsten blieb dieses Gefühl in den südöstlichen Provinzen.

Fu-kian und Kuaṅ-tuṅ sind Küstenlandschaften, durch
hohes Gebirge vom übrigen China geschieden. Nur wenige schwie-
rige Pässe vermitteln den Verkehr. Der Nordhang des Gebirges
sendet seine Gewässer in den Yaṅ-tse, der Südhang nach den
mit tausend Inseln gesäumten Küsten. Etwa Tšu-san gegenüber
tritt der östliche Vorsprung der Berge in das Meer; der südliche
Theil von Tše-kiaṅ gleicht seiner Natur nach Fu-kian. Nördlich
liegen ungeheuere Ebenen, und die Küsten, meist angeschwemmtes
Land, sind fast hafenlos; südlich giebt es wenig ebenes Land und
eine grosse Zahl vorzüglicher Häfen und Buchten. — Kuaṅ-si ist
Binnenland; der bei Kan-ton fliessende Tšu-kiaṅ oder Perlfluss
entspringt in seinen unwegsamen Gebirgen. Deren Urbewohner, die
Miao-tse, wurden von keiner chinesischen Dynastie vollständig
bezwungen und bewahren noch heute ihre eigenthümliche Tracht
und Sitte. In den Thälern leben Eingewanderte aus Kuaṅ-tuṅ.
Die Bewohner dieser Provinz und der Landschaft Fu-kian sind
ein beherzter, unternehmender Schlag, sehr verschieden von dem
stätigen, an der Scholle klebenden Chinesen der grossen Ebenen
in Norden. Ihre buchtenreichen Gestade haben sie von jeher auf das
Meer getrieben; namentlich gehen aus Fu-kian beständig starke

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[154/0176] Die Bevölkerung der südlichen Provinzen. wurden, dass Vortheile, die der höher gebildete Chinese nur durch angestrengte Arbeit erringen konnte, dem rohen Tartaren als un- gesäte Früchte seiner Abstammung in den Schooss fielen. Dieses Missverhältniss wird eben so lange bestehen wie die Mandschu- Regierung und scheint selbst in den glänzendsten Zeiten ihrer Herrschaft eine Wurzel nagenden Grolles gewesen zu sein. Der chinesische Staat beruht wesentlich auf dem Princip, dass die sittliche Weltordnung durch sittliche Mittel zur Geltung gebracht werden muss, nicht durch Willkür und Gewalt. Nur diese, das tiefste Volksbewusstsein durchdringende Macht hält das colossale Reich zusammen. In diesem Sinne nennt Meadows die chinesische die höchste Gattung von Cultur. Unter der glän- zenden Herrschaft des Kaṅ-gi und des Kien-loṅ, welche Jeder 60 Jahre regierten, hob China sich zu hoher Blüthe. Beide waren sparsam in Verleihung der Aemter an ihre Stammgenossen. Dennoch gab es in allen Provinzen tartarische Beamte und tarta- rische Garnisonen, welche den Chinesen in aller bürgerlichen Glück- seligkeit immer wieder an das fremde Joch erinnerten. Am leben- digsten blieb dieses Gefühl in den südöstlichen Provinzen. Fu-kian und Kuaṅ-tuṅ sind Küstenlandschaften, durch hohes Gebirge vom übrigen China geschieden. Nur wenige schwie- rige Pässe vermitteln den Verkehr. Der Nordhang des Gebirges sendet seine Gewässer in den Yaṅ-tse, der Südhang nach den mit tausend Inseln gesäumten Küsten. Etwa Tšu-san gegenüber tritt der östliche Vorsprung der Berge in das Meer; der südliche Theil von Tše-kiaṅ gleicht seiner Natur nach Fu-kian. Nördlich liegen ungeheuere Ebenen, und die Küsten, meist angeschwemmtes Land, sind fast hafenlos; südlich giebt es wenig ebenes Land und eine grosse Zahl vorzüglicher Häfen und Buchten. — Kuaṅ-si ist Binnenland; der bei Kan-ton fliessende Tšu-kiaṅ oder Perlfluss entspringt in seinen unwegsamen Gebirgen. Deren Urbewohner, die Miao-tse, wurden von keiner chinesischen Dynastie vollständig bezwungen und bewahren noch heute ihre eigenthümliche Tracht und Sitte. In den Thälern leben Eingewanderte aus Kuaṅ-tuṅ. Die Bewohner dieser Provinz und der Landschaft Fu-kian sind ein beherzter, unternehmender Schlag, sehr verschieden von dem stätigen, an der Scholle klebenden Chinesen der grossen Ebenen in Norden. Ihre buchtenreichen Gestade haben sie von jeher auf das Meer getrieben; namentlich gehen aus Fu-kian beständig starke

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/176>, abgerufen am 24.04.2024.