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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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Gründung der Mandschu-Herrschaft.
Tartaren-Stämme. Ein chinesischer Rebellen-Führer Lise-tsin
drang nach achtjährigem Kriege 1644 in Pe-kin ein; da erhängte
sich der letzte Min-Kaiser, von Allen verlassen, im Garten der
Marmor-Insel. Sein an der Nordgrenze gegen die Mandschu-Tar-
taren kämpfender Feldherr Wu-san-kwei gab aber die Dynastie
nicht verloren. Zu schwach den Rebellen allein zu begegnen, schloss
er Frieden mit dem tartarischen Landesfeind und zog mit diesem
gegen Pe-kin. Nach Einnahme der Hauptstadt überliessen die
Tartaren Wu-san-kwei die Verfolgung des Feindes und erhoben
ihren König auf den chinesischen Thron. Wu-san-kwei musste
sich fügen. Der neue Herrscher gab ihm nach dem feudalen Her-
kommen seines Stammes eine Provinz im Westen des Reiches zu
Lehen und erwarb sich durch Belehnung mit den südlichen Pro-
vinzen Kuan-tun, Kuan-si und Fu-kian, welche erst nach
siebenjährigen blutigen Kämpfen unterlagen, die Gunst anderer chi-
nesischen Feldherren. Diese und Wu-san-kwei wähnten sich unter
dem nächsten Kaiser Kan-gi stark genug zum Abschütteln des
Joches und wurden erst nach langen Kriegen bezwungen. Damals
fiel auch Formosa, das unter Koxinga und seinem Nachfolger sich vier-
zig Jahre lang der Mandschu-Herrschaft erwehrt hatte. Als äusseres
Zeichen der Unterwerfung mussten alle Chinesen die Tracht der
Eroberer, den seitlich aufgeschlitzten Rock, annehmen, das Haar
rund um den Kopf scheeren und den Schopf in der Mitte nach Tar-
taren Art in einen Zopf flechten, während unter den Min-Kaisern
das Haar frei herabhangend und ein mitten auf der Brust geknöpf-
ter Rock getragen wurden.

Kan-gi besass ungewöhnliche Gaben. Er hatte eine sorg-
fältige chinesische Erziehung genossen und begriff, dass der einzige
Weg zu Erhaltung der Herrschaft die Aneignung der chinesischen
Cultur, Durchführung der darin begründeten Staatsverfassung und
Centralisation der Verwaltung sei. Nach Besiegung jener Vasallen
verlieh er keine neuen Lehen. Das Ansehn der Mandschu reichte
aber nicht aus, um durch blosse Nachahmung der altherkömmlichen
chinesischen Einrichtungen den Thron zu sichern; sie mussten sich
auf eine Hausmacht stützen und vor Allen ihre Stammverwandten
verbinden. Diese Nothwendigkeit bedingte einen starken Eingriff
in eine der ältesten und wichtigsten Einrichtungen des chine-
sischen Staatslebens.

China hat seit vielen Jahrhunderten keinen Adel und keinen

Gründung der Mandschu-Herrschaft.
Tartaren-Stämme. Ein chinesischer Rebellen-Führer Lise-tšiṅ
drang nach achtjährigem Kriege 1644 in Pe-kiṅ ein; da erhängte
sich der letzte Miṅ-Kaiser, von Allen verlassen, im Garten der
Marmor-Insel. Sein an der Nordgrenze gegen die Mandschu-Tar-
taren kämpfender Feldherr Wu-san-kwei gab aber die Dynastie
nicht verloren. Zu schwach den Rebellen allein zu begegnen, schloss
er Frieden mit dem tartarischen Landesfeind und zog mit diesem
gegen Pe-kiṅ. Nach Einnahme der Hauptstadt überliessen die
Tartaren Wu-san-kwei die Verfolgung des Feindes und erhoben
ihren König auf den chinesischen Thron. Wu-san-kwei musste
sich fügen. Der neue Herrscher gab ihm nach dem feudalen Her-
kommen seines Stammes eine Provinz im Westen des Reiches zu
Lehen und erwarb sich durch Belehnung mit den südlichen Pro-
vinzen Kuaṅ-tuṅ, Kuaṅ-si und Fu-kian, welche erst nach
siebenjährigen blutigen Kämpfen unterlagen, die Gunst anderer chi-
nesischen Feldherren. Diese und Wu-san-kwei wähnten sich unter
dem nächsten Kaiser Kaṅ-gi stark genug zum Abschütteln des
Joches und wurden erst nach langen Kriegen bezwungen. Damals
fiel auch Formosa, das unter Koxinga und seinem Nachfolger sich vier-
zig Jahre lang der Mandschu-Herrschaft erwehrt hatte. Als äusseres
Zeichen der Unterwerfung mussten alle Chinesen die Tracht der
Eroberer, den seitlich aufgeschlitzten Rock, annehmen, das Haar
rund um den Kopf scheeren und den Schopf in der Mitte nach Tar-
taren Art in einen Zopf flechten, während unter den Miṅ-Kaisern
das Haar frei herabhangend und ein mitten auf der Brust geknöpf-
ter Rock getragen wurden.

Kaṅ-gi besass ungewöhnliche Gaben. Er hatte eine sorg-
fältige chinesische Erziehung genossen und begriff, dass der einzige
Weg zu Erhaltung der Herrschaft die Aneignung der chinesischen
Cultur, Durchführung der darin begründeten Staatsverfassung und
Centralisation der Verwaltung sei. Nach Besiegung jener Vasallen
verlieh er keine neuen Lehen. Das Ansehn der Mandschu reichte
aber nicht aus, um durch blosse Nachahmung der altherkömmlichen
chinesischen Einrichtungen den Thron zu sichern; sie mussten sich
auf eine Hausmacht stützen und vor Allen ihre Stammverwandten
verbinden. Diese Nothwendigkeit bedingte einen starken Eingriff
in eine der ältesten und wichtigsten Einrichtungen des chine-
sischen Staatslebens.

China hat seit vielen Jahrhunderten keinen Adel und keinen

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[152/0174] Gründung der Mandschu-Herrschaft. Tartaren-Stämme. Ein chinesischer Rebellen-Führer Lise-tšiṅ drang nach achtjährigem Kriege 1644 in Pe-kiṅ ein; da erhängte sich der letzte Miṅ-Kaiser, von Allen verlassen, im Garten der Marmor-Insel. Sein an der Nordgrenze gegen die Mandschu-Tar- taren kämpfender Feldherr Wu-san-kwei gab aber die Dynastie nicht verloren. Zu schwach den Rebellen allein zu begegnen, schloss er Frieden mit dem tartarischen Landesfeind und zog mit diesem gegen Pe-kiṅ. Nach Einnahme der Hauptstadt überliessen die Tartaren Wu-san-kwei die Verfolgung des Feindes und erhoben ihren König auf den chinesischen Thron. Wu-san-kwei musste sich fügen. Der neue Herrscher gab ihm nach dem feudalen Her- kommen seines Stammes eine Provinz im Westen des Reiches zu Lehen und erwarb sich durch Belehnung mit den südlichen Pro- vinzen Kuaṅ-tuṅ, Kuaṅ-si und Fu-kian, welche erst nach siebenjährigen blutigen Kämpfen unterlagen, die Gunst anderer chi- nesischen Feldherren. Diese und Wu-san-kwei wähnten sich unter dem nächsten Kaiser Kaṅ-gi stark genug zum Abschütteln des Joches und wurden erst nach langen Kriegen bezwungen. Damals fiel auch Formosa, das unter Koxinga und seinem Nachfolger sich vier- zig Jahre lang der Mandschu-Herrschaft erwehrt hatte. Als äusseres Zeichen der Unterwerfung mussten alle Chinesen die Tracht der Eroberer, den seitlich aufgeschlitzten Rock, annehmen, das Haar rund um den Kopf scheeren und den Schopf in der Mitte nach Tar- taren Art in einen Zopf flechten, während unter den Miṅ-Kaisern das Haar frei herabhangend und ein mitten auf der Brust geknöpf- ter Rock getragen wurden. Kaṅ-gi besass ungewöhnliche Gaben. Er hatte eine sorg- fältige chinesische Erziehung genossen und begriff, dass der einzige Weg zu Erhaltung der Herrschaft die Aneignung der chinesischen Cultur, Durchführung der darin begründeten Staatsverfassung und Centralisation der Verwaltung sei. Nach Besiegung jener Vasallen verlieh er keine neuen Lehen. Das Ansehn der Mandschu reichte aber nicht aus, um durch blosse Nachahmung der altherkömmlichen chinesischen Einrichtungen den Thron zu sichern; sie mussten sich auf eine Hausmacht stützen und vor Allen ihre Stammverwandten verbinden. Diese Nothwendigkeit bedingte einen starken Eingriff in eine der ältesten und wichtigsten Einrichtungen des chine- sischen Staatslebens. China hat seit vielen Jahrhunderten keinen Adel und keinen

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/174>, abgerufen am 19.04.2024.