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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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Auslegung der Verträge.

Die Auslegung der Verträge musste auch bei redlichem
Wollen Schwierigkeiten machen. Die Chinesen hielten sich, der
fremden Sprachen unkundig, an ihren eigenen Text; Uebersetzun-
gen sind aber um so ungenauer, als die Begriffe und Anschauun-
gen des Volkes, in dessen Sprache übersetzt wird, von denen
des anderen abweichen. Davis pflog mit Ki-yin über viele wesent-
liche Punkte Erörterungen, in welchen der Chinese meist nach
gelindem Widerstande nachgab. So wollte letzterer anfangs die
Gleichstellung der englischen mit den chinesischen Beamten auf
den schriftlichen Verkehr beschränken, drang aber nicht damit
durch. Auch die alte Monopolisirung des Handels durch die
Hon-Kaufleute hätte er gern wieder eingeführt. Diese schuldeten
dem Kaiser noch die im Lösegelde für Kan-ton vorgeschossenen
drei Millionen Dollars, welche bei Fortdauer des Monopoles leicht
ersetzt werden konnten. Ki-yin wollte nun statt der früheren
geringen Anzahl hundert Hon-Kaufleute ernennen und schützte
Besorgniss vor, dass bei gänzlicher Freigebung keine Aufsicht über
die chinesischen Händler möglich sei, und dass die Fremden durch
deren Unredlichkeit Verluste erleiden möchten. Davis urgirte da-
gegen den Wortlaut des Vertrages, worauf Ki-yin seinen Vorschlag
zurückzog.

Sir John Davis zeigte bei jeder Gelegenheit, dass er nicht
nur zum Schutze der englischen Unterthanen, sondern, wo sie
die Eingebornen beschädigten, auch zu ihrer Bestrafung ver-
bunden sei; und Ki-yin liess sich, so schwierig seine Stellung
gegen die von blindem Hass gegen die Engländer erfüllte Bevölke-
rung war und so sehr strenge Maassregeln deren Erbitterung gegen
ihn steigerten, niemals antreiben, wo es sich um Ahndung von
Vergehen seiner Landsleute gegen Engländer handelte. Sein sum-
marisches Verfahren gegen einige Chinesen, welche in Hong-
kong
einen Raub verübt und ihre Beute nach dem Festlande ge-
schleppt hatten, schreckte für alle Zukunft von solchen Versuchen
ab. Den englischen Behörden machten ihre eigenen Landsleute die
grösste Noth; die "Pioneers of civilisation", welche sich in den

Förderung der Volksbewaffnung immer abgerathen. -- Pi-kwei, der damals zur
Parthei des Siu-kwan-tsin gehörte, musste nach der Einnahme von Kan-ton Jahre
lang unter dem Befehl der englischen Behörden als Präfect fungiren. Für die
Echtheit der von ihm niedergeschriebenen Gespräche mit dem Kaiser giebt Meadows
schlagende Gründe.
Auslegung der Verträge.

Die Auslegung der Verträge musste auch bei redlichem
Wollen Schwierigkeiten machen. Die Chinesen hielten sich, der
fremden Sprachen unkundig, an ihren eigenen Text; Uebersetzun-
gen sind aber um so ungenauer, als die Begriffe und Anschauun-
gen des Volkes, in dessen Sprache übersetzt wird, von denen
des anderen abweichen. Davis pflog mit Ki-yiṅ über viele wesent-
liche Punkte Erörterungen, in welchen der Chinese meist nach
gelindem Widerstande nachgab. So wollte letzterer anfangs die
Gleichstellung der englischen mit den chinesischen Beamten auf
den schriftlichen Verkehr beschränken, drang aber nicht damit
durch. Auch die alte Monopolisirung des Handels durch die
Hoṅ-Kaufleute hätte er gern wieder eingeführt. Diese schuldeten
dem Kaiser noch die im Lösegelde für Kan-ton vorgeschossenen
drei Millionen Dollars, welche bei Fortdauer des Monopoles leicht
ersetzt werden konnten. Ki-yiṅ wollte nun statt der früheren
geringen Anzahl hundert Hoṅ-Kaufleute ernennen und schützte
Besorgniss vor, dass bei gänzlicher Freigebung keine Aufsicht über
die chinesischen Händler möglich sei, und dass die Fremden durch
deren Unredlichkeit Verluste erleiden möchten. Davis urgirte da-
gegen den Wortlaut des Vertrages, worauf Ki-yiṅ seinen Vorschlag
zurückzog.

Sir John Davis zeigte bei jeder Gelegenheit, dass er nicht
nur zum Schutze der englischen Unterthanen, sondern, wo sie
die Eingebornen beschädigten, auch zu ihrer Bestrafung ver-
bunden sei; und Ki-yiṅ liess sich, so schwierig seine Stellung
gegen die von blindem Hass gegen die Engländer erfüllte Bevölke-
rung war und so sehr strenge Maassregeln deren Erbitterung gegen
ihn steigerten, niemals antreiben, wo es sich um Ahndung von
Vergehen seiner Landsleute gegen Engländer handelte. Sein sum-
marisches Verfahren gegen einige Chinesen, welche in Hong-
kong
einen Raub verübt und ihre Beute nach dem Festlande ge-
schleppt hatten, schreckte für alle Zukunft von solchen Versuchen
ab. Den englischen Behörden machten ihre eigenen Landsleute die
grösste Noth; die »Pioneers of civilisation«, welche sich in den

Förderung der Volksbewaffnung immer abgerathen. — Pi-kwei, der damals zur
Parthei des Siu-kwaṅ-tsin gehörte, musste nach der Einnahme von Kan-ton Jahre
lang unter dem Befehl der englischen Behörden als Präfect fungiren. Für die
Echtheit der von ihm niedergeschriebenen Gespräche mit dem Kaiser giebt Meadows
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[139/0161] Auslegung der Verträge. Die Auslegung der Verträge musste auch bei redlichem Wollen Schwierigkeiten machen. Die Chinesen hielten sich, der fremden Sprachen unkundig, an ihren eigenen Text; Uebersetzun- gen sind aber um so ungenauer, als die Begriffe und Anschauun- gen des Volkes, in dessen Sprache übersetzt wird, von denen des anderen abweichen. Davis pflog mit Ki-yiṅ über viele wesent- liche Punkte Erörterungen, in welchen der Chinese meist nach gelindem Widerstande nachgab. So wollte letzterer anfangs die Gleichstellung der englischen mit den chinesischen Beamten auf den schriftlichen Verkehr beschränken, drang aber nicht damit durch. Auch die alte Monopolisirung des Handels durch die Hoṅ-Kaufleute hätte er gern wieder eingeführt. Diese schuldeten dem Kaiser noch die im Lösegelde für Kan-ton vorgeschossenen drei Millionen Dollars, welche bei Fortdauer des Monopoles leicht ersetzt werden konnten. Ki-yiṅ wollte nun statt der früheren geringen Anzahl hundert Hoṅ-Kaufleute ernennen und schützte Besorgniss vor, dass bei gänzlicher Freigebung keine Aufsicht über die chinesischen Händler möglich sei, und dass die Fremden durch deren Unredlichkeit Verluste erleiden möchten. Davis urgirte da- gegen den Wortlaut des Vertrages, worauf Ki-yiṅ seinen Vorschlag zurückzog. Sir John Davis zeigte bei jeder Gelegenheit, dass er nicht nur zum Schutze der englischen Unterthanen, sondern, wo sie die Eingebornen beschädigten, auch zu ihrer Bestrafung ver- bunden sei; und Ki-yiṅ liess sich, so schwierig seine Stellung gegen die von blindem Hass gegen die Engländer erfüllte Bevölke- rung war und so sehr strenge Maassregeln deren Erbitterung gegen ihn steigerten, niemals antreiben, wo es sich um Ahndung von Vergehen seiner Landsleute gegen Engländer handelte. Sein sum- marisches Verfahren gegen einige Chinesen, welche in Hong- kong einen Raub verübt und ihre Beute nach dem Festlande ge- schleppt hatten, schreckte für alle Zukunft von solchen Versuchen ab. Den englischen Behörden machten ihre eigenen Landsleute die grösste Noth; die »Pioneers of civilisation«, welche sich in den 62) 62) Förderung der Volksbewaffnung immer abgerathen. — Pi-kwei, der damals zur Parthei des Siu-kwaṅ-tsin gehörte, musste nach der Einnahme von Kan-ton Jahre lang unter dem Befehl der englischen Behörden als Präfect fungiren. Für die Echtheit der von ihm niedergeschriebenen Gespräche mit dem Kaiser giebt Meadows schlagende Gründe.

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/161>, abgerufen am 28.03.2024.