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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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Ki-yin's Charakter und Auftreten.
Verträge Kraft gewannen und der Handel eine Reihe von Jahren
ohne Störung blühte.

Ki-yin, welcher den verhassten Frieden schloss und jetzt
zu dessen Aufrechthaltung berufen war, hatte der Bevölkerung von
Kan-ton gegenüber eine schwierige Stellung. Davis nennt ihn
den schätzbarsten Charakter, mit welchem Vertreter westlicher
Staaten in China jemals in Berührung kamen, und schreibt seine
seltenen Umgehungen der Verträge weit mehr zwingenden Umstän-
den als seiner Gesinnung zu. Die Liebenswürdigkeit und einfache
Würde seines Charakters zeigten sich damals bei jeder Gelegenheit
und erleichterten wesentlich den Verkehr; besonders freundlich
gestalteten sich die Beziehungen, nachdem Ki-yin im November
1845 Hong-kong besucht hatte. Mit Staunen betrachtete er dort
die stattlichen Bauten und Kunststrassen, die grossartigen Werfte
und Maschinen der Engländer. Er dankte Davis in warmen Aus-
drücken für den freundlichen, ehrenvollen Empfang und sprach
brieflich die Hoffnung aus auf "ewige Freundschaft zwischen den
beiden Völkern, welche gleichmässigen Antheil haben sollten an
den Segnungen des Friedenswerkes". Seinem klaren Verstande
konnte die Bedeutung der Cultur des Westens, ihrer sittlichen und
materiellen Kraft nicht entgehen; und wenn er sich in seinen Be-
richten an den Hof61) herabwürdigend über die Fremden äusserte,
so mochte dem Kaiser gegenüber, der von seinen Vorurtheilen
kaum geheilt sein konnte und nur so weit er musste dem Zwange
wich, solche Sprache erfordert werden. Auch sein zweideutiges
Auftreten beim Friedensschluss zu Tien-tsin 1858, welches zu
seinem tragischen Ende führte, mag durch die Unmöglichkeit
seiner Aufgabe und den bösen Ruf veranlasst worden zu sein, den
er als Freund der Fremden am Hofe des Hien-fun genoss.62)

61) Diese Berichte wurden mit den Antworten des Tau-kwan bei der späteren
Einnahme von Kan-ton in den Archiven des Yi gefunden.
62) Merkwürdigen Aufschluss über des Kaisers Ansichten giebt ein von Meadows
(The Chinese and their rebellions S. 127) mitgetheiltes Gespräch zwischen Tau-kwan
und Pi-kwei, einem hochgestellten Beamten, der später in Kan-ton die Macht der
Engländer kennen lernte. Das Gespräch fand im October 1849, also nach Abberufung
des Ki-yin statt. Der Kaiser redet mit der grössten Geringschätzung von den
Fremden und begreift nicht, wie Jener sich so habe von ihnen bethören und
schrecken lassen, während man sie jetzt, nachdem unter dem neuen Vice-König
Siu-kwan-tsin die Volkswehr so gut organisirt und so viel Geld für die Verthei-
digung eingesammelt sei, gar nicht mehr zu fürchten brauche. Ki-yin hatte von

Ki-yiṅ’s Charakter und Auftreten.
Verträge Kraft gewannen und der Handel eine Reihe von Jahren
ohne Störung blühte.

Ki-yiṅ, welcher den verhassten Frieden schloss und jetzt
zu dessen Aufrechthaltung berufen war, hatte der Bevölkerung von
Kan-ton gegenüber eine schwierige Stellung. Davis nennt ihn
den schätzbarsten Charakter, mit welchem Vertreter westlicher
Staaten in China jemals in Berührung kamen, und schreibt seine
seltenen Umgehungen der Verträge weit mehr zwingenden Umstän-
den als seiner Gesinnung zu. Die Liebenswürdigkeit und einfache
Würde seines Charakters zeigten sich damals bei jeder Gelegenheit
und erleichterten wesentlich den Verkehr; besonders freundlich
gestalteten sich die Beziehungen, nachdem Ki-yiṅ im November
1845 Hong-kong besucht hatte. Mit Staunen betrachtete er dort
die stattlichen Bauten und Kunststrassen, die grossartigen Werfte
und Maschinen der Engländer. Er dankte Davis in warmen Aus-
drücken für den freundlichen, ehrenvollen Empfang und sprach
brieflich die Hoffnung aus auf »ewige Freundschaft zwischen den
beiden Völkern, welche gleichmässigen Antheil haben sollten an
den Segnungen des Friedenswerkes«. Seinem klaren Verstande
konnte die Bedeutung der Cultur des Westens, ihrer sittlichen und
materiellen Kraft nicht entgehen; und wenn er sich in seinen Be-
richten an den Hof61) herabwürdigend über die Fremden äusserte,
so mochte dem Kaiser gegenüber, der von seinen Vorurtheilen
kaum geheilt sein konnte und nur so weit er musste dem Zwange
wich, solche Sprache erfordert werden. Auch sein zweideutiges
Auftreten beim Friedensschluss zu Tien-tsin 1858, welches zu
seinem tragischen Ende führte, mag durch die Unmöglichkeit
seiner Aufgabe und den bösen Ruf veranlasst worden zu sein, den
er als Freund der Fremden am Hofe des Hien-fuṅ genoss.62)

61) Diese Berichte wurden mit den Antworten des Tau-kwaṅ bei der späteren
Einnahme von Kan-ton in den Archiven des Yi gefunden.
62) Merkwürdigen Aufschluss über des Kaisers Ansichten giebt ein von Meadows
(The Chinese and their rebellions S. 127) mitgetheiltes Gespräch zwischen Tau-kwaṅ
und Pi-kwei, einem hochgestellten Beamten, der später in Kan-ton die Macht der
Engländer kennen lernte. Das Gespräch fand im October 1849, also nach Abberufung
des Ki-yiṅ statt. Der Kaiser redet mit der grössten Geringschätzung von den
Fremden und begreift nicht, wie Jener sich so habe von ihnen bethören und
schrecken lassen, während man sie jetzt, nachdem unter dem neuen Vice-König
Siu-kwaṅ-tsin die Volkswehr so gut organisirt und so viel Geld für die Verthei-
digung eingesammelt sei, gar nicht mehr zu fürchten brauche. Ki-yiṅ hatte von
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[138/0160] Ki-yiṅ’s Charakter und Auftreten. Verträge Kraft gewannen und der Handel eine Reihe von Jahren ohne Störung blühte. Ki-yiṅ, welcher den verhassten Frieden schloss und jetzt zu dessen Aufrechthaltung berufen war, hatte der Bevölkerung von Kan-ton gegenüber eine schwierige Stellung. Davis nennt ihn den schätzbarsten Charakter, mit welchem Vertreter westlicher Staaten in China jemals in Berührung kamen, und schreibt seine seltenen Umgehungen der Verträge weit mehr zwingenden Umstän- den als seiner Gesinnung zu. Die Liebenswürdigkeit und einfache Würde seines Charakters zeigten sich damals bei jeder Gelegenheit und erleichterten wesentlich den Verkehr; besonders freundlich gestalteten sich die Beziehungen, nachdem Ki-yiṅ im November 1845 Hong-kong besucht hatte. Mit Staunen betrachtete er dort die stattlichen Bauten und Kunststrassen, die grossartigen Werfte und Maschinen der Engländer. Er dankte Davis in warmen Aus- drücken für den freundlichen, ehrenvollen Empfang und sprach brieflich die Hoffnung aus auf »ewige Freundschaft zwischen den beiden Völkern, welche gleichmässigen Antheil haben sollten an den Segnungen des Friedenswerkes«. Seinem klaren Verstande konnte die Bedeutung der Cultur des Westens, ihrer sittlichen und materiellen Kraft nicht entgehen; und wenn er sich in seinen Be- richten an den Hof 61) herabwürdigend über die Fremden äusserte, so mochte dem Kaiser gegenüber, der von seinen Vorurtheilen kaum geheilt sein konnte und nur so weit er musste dem Zwange wich, solche Sprache erfordert werden. Auch sein zweideutiges Auftreten beim Friedensschluss zu Tien-tsin 1858, welches zu seinem tragischen Ende führte, mag durch die Unmöglichkeit seiner Aufgabe und den bösen Ruf veranlasst worden zu sein, den er als Freund der Fremden am Hofe des Hien-fuṅ genoss. 62) 61) Diese Berichte wurden mit den Antworten des Tau-kwaṅ bei der späteren Einnahme von Kan-ton in den Archiven des Yi gefunden. 62) Merkwürdigen Aufschluss über des Kaisers Ansichten giebt ein von Meadows (The Chinese and their rebellions S. 127) mitgetheiltes Gespräch zwischen Tau-kwaṅ und Pi-kwei, einem hochgestellten Beamten, der später in Kan-ton die Macht der Engländer kennen lernte. Das Gespräch fand im October 1849, also nach Abberufung des Ki-yiṅ statt. Der Kaiser redet mit der grössten Geringschätzung von den Fremden und begreift nicht, wie Jener sich so habe von ihnen bethören und schrecken lassen, während man sie jetzt, nachdem unter dem neuen Vice-König Siu-kwaṅ-tsin die Volkswehr so gut organisirt und so viel Geld für die Verthei- digung eingesammelt sei, gar nicht mehr zu fürchten brauche. Ki-yiṅ hatte von

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/160>, abgerufen am 19.04.2024.