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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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Verbrennung der englischen Factorei.
Landesverrath: die Engländer wollten das Gebiet von Kan-ton
nehmen, die Stadt besetzen; das sei nicht zu dulden. -- Im Decem-
1842.ber 1842, also wenige Monate nach dem Friedensschluss, zog ein
Pöbelhaufen nach der englischen Factorei und steckte sie an allen
Ecken an; schallender Volksjubel begrüsste das Zusammenstürzen
des Flaggenmastes. Die politische Bedeutung dieser That gab sich
auch darin kund, dass die Volksmänner der Plünderung wehrten.
-- Die Bewohner retteten sich, doch alle Gebäude verbrannten. Im
Bericht an den Kaiser sagte der Gouverneur, die Bevölkerung habe
in gerechter Entrüstung einige Excesse gegen die Barbaren begangen.
Die Regierung zahlte ohne Umstände eine Geldbusse für den an-
gerichteten Schaden, aber die Thäter blieben straflos; der grosse
Haufen bestärkte sich im Wahn seiner Macht.

In früheren Jahren hatte die Mandschu-Regierung dem Volke
niemals Waffen erlaubt; während des Krieges waren aber in Kan-
ton
und der Umgegend viele vertheilt und nachher nicht wieder
abgeliefert worden. Mit diesen exercierten die Kantonesen unter
selbstgewählten Führern -- nicht, wie die Milizen, unter kaiser-
lichen Officieren -- und bildeten sich selbstständig zu Soldaten aus.
Gleich nach dem Brande der Factorei kam von den umliegen-
den Dorfschaften das Erbieten, sich den bewaffneten Vereinen an-
zuschliessen. Auf den Bericht darüber antwortete der Kaiser sehr
gnädig; die Mandarinen förderten die Bewaffnung und Einübung der
Landbewohner; auch entferntere Bezirke traten in den Verband.
Der Vice-Gouverneur inspicirte bald darauf die nach Zehntausenden
zählenden Schaaren und berichtete dem Kaiser: bei so vollkom-
mener Wehrhaftigkeit sei künftig nichts zu fürchten. Die Namen
der Führer wurden in Pe-kin genannt, und sechszigtausend Dollars
zur Vertheilung angewiesen. Die Häupter der Bewegung erhöhten
den Werth ihrer Dienste durch Geldsammlungen für den Bau von
Festungswerken, und erweckten im Volke eine Freude am Waffen-
handwerk, ein männliches Bewusstsein der eigenen Kraft und
Selbstständigkeit, welche einer despotischen Regierung auf die Länge
Gefahr bringen konnten. -- Der Central-Verein tagte in Kan-ton
und hielt seine Versammlungen in einer zum Confucius-Tempel ge-
hörigen Halle, wo die Berichte der Zweigvereine vorgetragen und
alle wichtigen Schritte beschlossen wurden. Die Volksmänner schal-
teten mit schrankenloser Willkür, brannten die Amtsgebäude ver-
hasster Mandarinen nieder und liessen unredliche Polizei-Beamten

Verbrennung der englischen Factorei.
Landesverrath: die Engländer wollten das Gebiet von Kan-ton
nehmen, die Stadt besetzen; das sei nicht zu dulden. — Im Decem-
1842.ber 1842, also wenige Monate nach dem Friedensschluss, zog ein
Pöbelhaufen nach der englischen Factorei und steckte sie an allen
Ecken an; schallender Volksjubel begrüsste das Zusammenstürzen
des Flaggenmastes. Die politische Bedeutung dieser That gab sich
auch darin kund, dass die Volksmänner der Plünderung wehrten.
— Die Bewohner retteten sich, doch alle Gebäude verbrannten. Im
Bericht an den Kaiser sagte der Gouverneur, die Bevölkerung habe
in gerechter Entrüstung einige Excesse gegen die Barbaren begangen.
Die Regierung zahlte ohne Umstände eine Geldbusse für den an-
gerichteten Schaden, aber die Thäter blieben straflos; der grosse
Haufen bestärkte sich im Wahn seiner Macht.

In früheren Jahren hatte die Mandschu-Regierung dem Volke
niemals Waffen erlaubt; während des Krieges waren aber in Kan-
ton
und der Umgegend viele vertheilt und nachher nicht wieder
abgeliefert worden. Mit diesen exercierten die Kantonesen unter
selbstgewählten Führern — nicht, wie die Milizen, unter kaiser-
lichen Officieren — und bildeten sich selbstständig zu Soldaten aus.
Gleich nach dem Brande der Factorei kam von den umliegen-
den Dorfschaften das Erbieten, sich den bewaffneten Vereinen an-
zuschliessen. Auf den Bericht darüber antwortete der Kaiser sehr
gnädig; die Mandarinen förderten die Bewaffnung und Einübung der
Landbewohner; auch entferntere Bezirke traten in den Verband.
Der Vice-Gouverneur inspicirte bald darauf die nach Zehntausenden
zählenden Schaaren und berichtete dem Kaiser: bei so vollkom-
mener Wehrhaftigkeit sei künftig nichts zu fürchten. Die Namen
der Führer wurden in Pe-kiṅ genannt, und sechszigtausend Dollars
zur Vertheilung angewiesen. Die Häupter der Bewegung erhöhten
den Werth ihrer Dienste durch Geldsammlungen für den Bau von
Festungswerken, und erweckten im Volke eine Freude am Waffen-
handwerk, ein männliches Bewusstsein der eigenen Kraft und
Selbstständigkeit, welche einer despotischen Regierung auf die Länge
Gefahr bringen konnten. — Der Central-Verein tagte in Kan-ton
und hielt seine Versammlungen in einer zum Confucius-Tempel ge-
hörigen Halle, wo die Berichte der Zweigvereine vorgetragen und
alle wichtigen Schritte beschlossen wurden. Die Volksmänner schal-
teten mit schrankenloser Willkür, brannten die Amtsgebäude ver-
hasster Mandarinen nieder und liessen unredliche Polizei-Beamten

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[134/0156] Verbrennung der englischen Factorei. Landesverrath: die Engländer wollten das Gebiet von Kan-ton nehmen, die Stadt besetzen; das sei nicht zu dulden. — Im Decem- ber 1842, also wenige Monate nach dem Friedensschluss, zog ein Pöbelhaufen nach der englischen Factorei und steckte sie an allen Ecken an; schallender Volksjubel begrüsste das Zusammenstürzen des Flaggenmastes. Die politische Bedeutung dieser That gab sich auch darin kund, dass die Volksmänner der Plünderung wehrten. — Die Bewohner retteten sich, doch alle Gebäude verbrannten. Im Bericht an den Kaiser sagte der Gouverneur, die Bevölkerung habe in gerechter Entrüstung einige Excesse gegen die Barbaren begangen. Die Regierung zahlte ohne Umstände eine Geldbusse für den an- gerichteten Schaden, aber die Thäter blieben straflos; der grosse Haufen bestärkte sich im Wahn seiner Macht. 1842. In früheren Jahren hatte die Mandschu-Regierung dem Volke niemals Waffen erlaubt; während des Krieges waren aber in Kan- ton und der Umgegend viele vertheilt und nachher nicht wieder abgeliefert worden. Mit diesen exercierten die Kantonesen unter selbstgewählten Führern — nicht, wie die Milizen, unter kaiser- lichen Officieren — und bildeten sich selbstständig zu Soldaten aus. Gleich nach dem Brande der Factorei kam von den umliegen- den Dorfschaften das Erbieten, sich den bewaffneten Vereinen an- zuschliessen. Auf den Bericht darüber antwortete der Kaiser sehr gnädig; die Mandarinen förderten die Bewaffnung und Einübung der Landbewohner; auch entferntere Bezirke traten in den Verband. Der Vice-Gouverneur inspicirte bald darauf die nach Zehntausenden zählenden Schaaren und berichtete dem Kaiser: bei so vollkom- mener Wehrhaftigkeit sei künftig nichts zu fürchten. Die Namen der Führer wurden in Pe-kiṅ genannt, und sechszigtausend Dollars zur Vertheilung angewiesen. Die Häupter der Bewegung erhöhten den Werth ihrer Dienste durch Geldsammlungen für den Bau von Festungswerken, und erweckten im Volke eine Freude am Waffen- handwerk, ein männliches Bewusstsein der eigenen Kraft und Selbstständigkeit, welche einer despotischen Regierung auf die Länge Gefahr bringen konnten. — Der Central-Verein tagte in Kan-ton und hielt seine Versammlungen in einer zum Confucius-Tempel ge- hörigen Halle, wo die Berichte der Zweigvereine vorgetragen und alle wichtigen Schritte beschlossen wurden. Die Volksmänner schal- teten mit schrankenloser Willkür, brannten die Amtsgebäude ver- hasster Mandarinen nieder und liessen unredliche Polizei-Beamten

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/156>, abgerufen am 16.04.2024.