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[Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873.

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Finanznoth. Zustände in Kan-ton.
wui an uns ziehen, Nan-kin entsetzen und den Feind von allen Sei-
ten umzingeln. Der Herbst naht heran, das Wasser muss bald fallen;
dann stranden ihre schweren Schiffe, dann werden die Schwachen
stark sein. Vergessen wir nicht, dass die Tan- und die Sun-Dynastie
durch Vergleiche Unheil über sich brachten. Der grosse Kaiser wird
in seiner Einsicht, Weisheit und Entschlossenheit den Irrthum einsehen
und diese Gelegenheit ergreifen, sein Land aus Gefahr zu retten."

Aber die Noth war zwingend, es gab keinen Ausweg. Der
Frieden musste geschlossen und gehalten werden; denn durch
die aus den Provinzen einlaufenden Berichte wurden allmälich die
ungeheueren Ausgaben des Krieges bekannt. Wanderte auch der
grösste Theil in die Taschen der Mandarinen, für den Staat war
das Geld verloren. Der sparsame Tau-kwan befahl in maasslosem
Zorn den verantwortlichen Beamten, Alles zu ersetzen, und ordnete
Untersuchungen an; viele der Schuldigen entleibten sich, einige
wanderten in die Verbannung, andere harrten im Kerker des
Richterspruches; aber nicht der zwanzigste Theil des Geraubten
kam wieder ein. Von Kan-ton bis Pe-kin waren im ganzen Reiche
die Kassen leer, und das lauteste Kriegsgeschrei musste verstummen
vor dem Bewusstsein der finanziellen Erschöpfung.

In Kan-ton hatte die Erbitterung sich keineswegs gelegt.
Nachdem 1841 das britische Geschwader aus dem Flusse zurück-
gezogen und die Festungen an der Mündung ausgeliefert waren,
sandten die Volksführer einen ruhmredigen Bericht nach Pe-kin,
wurden vom Kaiser gelobt und zu Befehdung der Barbaren
angespornt. Bombastische Maueranschläge erschienen zu Hunderten.
Das Volk bildete Vereine, in deren Versammlungen politische
Reden gehalten und Maassregeln gegen die Fremden erörtert
wurden. Diese Clubs emancipirten sich von der Obrigkeit und
erwuchsen zu einer Gewalt, welche den Mandarinen offen trotzte;
vermochten sie doch den verhassten Präfecten Yu aus dem Amte
zu treiben! Die Behörden mussten sich um die Gunst der Volks-
führer bewerben und fürchteten deren Macht; sie benutzten die
Bewegung für ihre Zwecke, mussten aber ruhig zusehen, wo sie
ihnen entgegentrat, und waren unfähig, der Gewaltsamkeit des
grossen Haufens zu steuern, die Frevler zu strafen.

Als zu Kan-ton die Nachricht vom Friedensschluss eintraf,
gerieth das Volk in wilde Erregung. In allen Strassen erschienen
Placate voll Schmähungen gegen den Vertrag, voll Geschrei über

Finanznoth. Zustände in Kan-ton.
wui an uns ziehen, Nan-kiṅ entsetzen und den Feind von allen Sei-
ten umzingeln. Der Herbst naht heran, das Wasser muss bald fallen;
dann stranden ihre schweren Schiffe, dann werden die Schwachen
stark sein. Vergessen wir nicht, dass die Taṅ- und die Suṅ-Dynastie
durch Vergleiche Unheil über sich brachten. Der grosse Kaiser wird
in seiner Einsicht, Weisheit und Entschlossenheit den Irrthum einsehen
und diese Gelegenheit ergreifen, sein Land aus Gefahr zu retten.«

Aber die Noth war zwingend, es gab keinen Ausweg. Der
Frieden musste geschlossen und gehalten werden; denn durch
die aus den Provinzen einlaufenden Berichte wurden allmälich die
ungeheueren Ausgaben des Krieges bekannt. Wanderte auch der
grösste Theil in die Taschen der Mandarinen, für den Staat war
das Geld verloren. Der sparsame Tau-kwaṅ befahl in maasslosem
Zorn den verantwortlichen Beamten, Alles zu ersetzen, und ordnete
Untersuchungen an; viele der Schuldigen entleibten sich, einige
wanderten in die Verbannung, andere harrten im Kerker des
Richterspruches; aber nicht der zwanzigste Theil des Geraubten
kam wieder ein. Von Kan-ton bis Pe-kiṅ waren im ganzen Reiche
die Kassen leer, und das lauteste Kriegsgeschrei musste verstummen
vor dem Bewusstsein der finanziellen Erschöpfung.

In Kan-ton hatte die Erbitterung sich keineswegs gelegt.
Nachdem 1841 das britische Geschwader aus dem Flusse zurück-
gezogen und die Festungen an der Mündung ausgeliefert waren,
sandten die Volksführer einen ruhmredigen Bericht nach Pe-kiṅ,
wurden vom Kaiser gelobt und zu Befehdung der Barbaren
angespornt. Bombastische Maueranschläge erschienen zu Hunderten.
Das Volk bildete Vereine, in deren Versammlungen politische
Reden gehalten und Maassregeln gegen die Fremden erörtert
wurden. Diese Clubs emancipirten sich von der Obrigkeit und
erwuchsen zu einer Gewalt, welche den Mandarinen offen trotzte;
vermochten sie doch den verhassten Präfecten Yu aus dem Amte
zu treiben! Die Behörden mussten sich um die Gunst der Volks-
führer bewerben und fürchteten deren Macht; sie benutzten die
Bewegung für ihre Zwecke, mussten aber ruhig zusehen, wo sie
ihnen entgegentrat, und waren unfähig, der Gewaltsamkeit des
grossen Haufens zu steuern, die Frevler zu strafen.

Als zu Kan-ton die Nachricht vom Friedensschluss eintraf,
gerieth das Volk in wilde Erregung. In allen Strassen erschienen
Placate voll Schmähungen gegen den Vertrag, voll Geschrei über

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[133/0155] Finanznoth. Zustände in Kan-ton. wui an uns ziehen, Nan-kiṅ entsetzen und den Feind von allen Sei- ten umzingeln. Der Herbst naht heran, das Wasser muss bald fallen; dann stranden ihre schweren Schiffe, dann werden die Schwachen stark sein. Vergessen wir nicht, dass die Taṅ- und die Suṅ-Dynastie durch Vergleiche Unheil über sich brachten. Der grosse Kaiser wird in seiner Einsicht, Weisheit und Entschlossenheit den Irrthum einsehen und diese Gelegenheit ergreifen, sein Land aus Gefahr zu retten.« Aber die Noth war zwingend, es gab keinen Ausweg. Der Frieden musste geschlossen und gehalten werden; denn durch die aus den Provinzen einlaufenden Berichte wurden allmälich die ungeheueren Ausgaben des Krieges bekannt. Wanderte auch der grösste Theil in die Taschen der Mandarinen, für den Staat war das Geld verloren. Der sparsame Tau-kwaṅ befahl in maasslosem Zorn den verantwortlichen Beamten, Alles zu ersetzen, und ordnete Untersuchungen an; viele der Schuldigen entleibten sich, einige wanderten in die Verbannung, andere harrten im Kerker des Richterspruches; aber nicht der zwanzigste Theil des Geraubten kam wieder ein. Von Kan-ton bis Pe-kiṅ waren im ganzen Reiche die Kassen leer, und das lauteste Kriegsgeschrei musste verstummen vor dem Bewusstsein der finanziellen Erschöpfung. In Kan-ton hatte die Erbitterung sich keineswegs gelegt. Nachdem 1841 das britische Geschwader aus dem Flusse zurück- gezogen und die Festungen an der Mündung ausgeliefert waren, sandten die Volksführer einen ruhmredigen Bericht nach Pe-kiṅ, wurden vom Kaiser gelobt und zu Befehdung der Barbaren angespornt. Bombastische Maueranschläge erschienen zu Hunderten. Das Volk bildete Vereine, in deren Versammlungen politische Reden gehalten und Maassregeln gegen die Fremden erörtert wurden. Diese Clubs emancipirten sich von der Obrigkeit und erwuchsen zu einer Gewalt, welche den Mandarinen offen trotzte; vermochten sie doch den verhassten Präfecten Yu aus dem Amte zu treiben! Die Behörden mussten sich um die Gunst der Volks- führer bewerben und fürchteten deren Macht; sie benutzten die Bewegung für ihre Zwecke, mussten aber ruhig zusehen, wo sie ihnen entgegentrat, und waren unfähig, der Gewaltsamkeit des grossen Haufens zu steuern, die Frevler zu strafen. Als zu Kan-ton die Nachricht vom Friedensschluss eintraf, gerieth das Volk in wilde Erregung. In allen Strassen erschienen Placate voll Schmähungen gegen den Vertrag, voll Geschrei über

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Zitationshilfe: [Berg, Albert]: Die preussische Expedition nach Ost-Asien. Bd. 3. Berlin, 1873, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/berg_ostasien03_1873/155>, abgerufen am 18.04.2024.