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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 2: Das XVI. und XVII. Jahrhundert. Braunschweig, 1895.

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Georg Agricola.
sah diese weltbewegende Zeitfrage von dem Standpunkte des Patrioten
und des von humanistischem Geiste erfüllten Katholiken an.

Schon als Herzog Heinrich der Fromme, des nachmaligen Kur-
fürsten Moritz Vater, an die Regierung gekommen war, und die
Lutheraner bevorzugte, wurde Agricola wegen seines Festhaltens
am Katholizismus eine förmliche Verwarnung erteilt. Hierzu bemerkt
ein zeitgenössischer Biograph Melchior Adam: "Viele unbedacht-
same Schritte mancher lutherischen Gelehrten und Schriftsteller, ein
ärgerliches Leben vieler neuen Anhänger der gereinigten Lehre, die
fanatischen Greuel des Bauernkrieges und der Bilderstürmer, die
durch die Kirchenverbesserung erfolgte schnelle Abstellung alles
Gepränges bei kirchlichen Gebräuchen hätten ihn nie zur evangelischen
Bekehrung vermögen können." Es war ein achtungswerter Mut, dass
er in dieser Zeit, trotz aller äusseren Verlockungen seinem strengen
Gewissen folgend, dem Katholizismus auch im äusserlichen Bekennt-
nis treu blieb. Wohl aber verbitterten die Kränkung seiner Absetzung
als Bürgermeister wegen seiner religiösen Anschauung, und der Hohn
und Spott, den er ertragen musste, die letzten Jahre seines Lebens und
beschleunigten seinen Tod. Der als Gelehrter so milde Mann konnte
sich im Kreise von Freunden und Mitbürgern nicht immer die Mässi-
gung abgewinnen, frivolen Spott schweigend zu ertragen und es gab
eine feige Clique in Chemnitz, die sich förmlich ein Geschäft daraus
machte, den alten Herrn zu reizen. Es lag dann in seinem Wesen
aufzubrausen und heftig seine Meinung zu verfechten. Diese unbe-
schränkten, lauten Bekenntnisse bei einem Disput dieser Art sollen
auch seinen frühen plötzlichen Tod herbeigeführt haben, und schmach-
voll war die Behandlung, welche der edle Mann noch nach dem Tode
von seinen Mitbürgern zu erdulden hatte. Am 21. November 1555
geschah es, dass Agricola ganz unerwartet während eines heftigen
mündlichen Zwistes in einer Gesellschaft mit Neuprotestanten von
einem Schlagfluss getroffen dahinstarb. Diese beklagenswerte Veran-
lassung seines Todes erweckte erst recht den Hass und den Ingrimm
der neugeordneten evangelischen Behörden von Chemnitz, und da sie
den Lebenden nicht anzufassen gewagt hatten, rächten sie sich an
dem Toten, indem sie ihm ein ehrliches Begräbnis verweigerten. Ihm
als früherem Bürgermeister und kurfürstlichem Historiographen und
Pensionär mit freier Wohnung hätte nach altem Herkommen eine
Grabstätte in der Hauptkirche gebührt, statt dessen entschied der
Pastor Herr Johann Tettelbach, dass ihm eine jede Beerdigung
auf städtischem Gebiete zu versagen sei. So lag denn der Leichnam

Georg Agricola.
sah diese weltbewegende Zeitfrage von dem Standpunkte des Patrioten
und des von humanistischem Geiste erfüllten Katholiken an.

Schon als Herzog Heinrich der Fromme, des nachmaligen Kur-
fürsten Moritz Vater, an die Regierung gekommen war, und die
Lutheraner bevorzugte, wurde Agricola wegen seines Festhaltens
am Katholizismus eine förmliche Verwarnung erteilt. Hierzu bemerkt
ein zeitgenössischer Biograph Melchior Adam: „Viele unbedacht-
same Schritte mancher lutherischen Gelehrten und Schriftsteller, ein
ärgerliches Leben vieler neuen Anhänger der gereinigten Lehre, die
fanatischen Greuel des Bauernkrieges und der Bilderstürmer, die
durch die Kirchenverbesserung erfolgte schnelle Abstellung alles
Gepränges bei kirchlichen Gebräuchen hätten ihn nie zur evangelischen
Bekehrung vermögen können.“ Es war ein achtungswerter Mut, daſs
er in dieser Zeit, trotz aller äuſseren Verlockungen seinem strengen
Gewissen folgend, dem Katholizismus auch im äuſserlichen Bekennt-
nis treu blieb. Wohl aber verbitterten die Kränkung seiner Absetzung
als Bürgermeister wegen seiner religiösen Anschauung, und der Hohn
und Spott, den er ertragen muſste, die letzten Jahre seines Lebens und
beschleunigten seinen Tod. Der als Gelehrter so milde Mann konnte
sich im Kreise von Freunden und Mitbürgern nicht immer die Mäſsi-
gung abgewinnen, frivolen Spott schweigend zu ertragen und es gab
eine feige Clique in Chemnitz, die sich förmlich ein Geschäft daraus
machte, den alten Herrn zu reizen. Es lag dann in seinem Wesen
aufzubrausen und heftig seine Meinung zu verfechten. Diese unbe-
schränkten, lauten Bekenntnisse bei einem Disput dieser Art sollen
auch seinen frühen plötzlichen Tod herbeigeführt haben, und schmach-
voll war die Behandlung, welche der edle Mann noch nach dem Tode
von seinen Mitbürgern zu erdulden hatte. Am 21. November 1555
geschah es, daſs Agricola ganz unerwartet während eines heftigen
mündlichen Zwistes in einer Gesellschaft mit Neuprotestanten von
einem Schlagfluſs getroffen dahinstarb. Diese beklagenswerte Veran-
lassung seines Todes erweckte erst recht den Haſs und den Ingrimm
der neugeordneten evangelischen Behörden von Chemnitz, und da sie
den Lebenden nicht anzufassen gewagt hatten, rächten sie sich an
dem Toten, indem sie ihm ein ehrliches Begräbnis verweigerten. Ihm
als früherem Bürgermeister und kurfürstlichem Historiographen und
Pensionär mit freier Wohnung hätte nach altem Herkommen eine
Grabstätte in der Hauptkirche gebührt, statt dessen entschied der
Pastor Herr Johann Tettelbach, daſs ihm eine jede Beerdigung
auf städtischem Gebiete zu versagen sei. So lag denn der Leichnam

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[29/0049] Georg Agricola. sah diese weltbewegende Zeitfrage von dem Standpunkte des Patrioten und des von humanistischem Geiste erfüllten Katholiken an. Schon als Herzog Heinrich der Fromme, des nachmaligen Kur- fürsten Moritz Vater, an die Regierung gekommen war, und die Lutheraner bevorzugte, wurde Agricola wegen seines Festhaltens am Katholizismus eine förmliche Verwarnung erteilt. Hierzu bemerkt ein zeitgenössischer Biograph Melchior Adam: „Viele unbedacht- same Schritte mancher lutherischen Gelehrten und Schriftsteller, ein ärgerliches Leben vieler neuen Anhänger der gereinigten Lehre, die fanatischen Greuel des Bauernkrieges und der Bilderstürmer, die durch die Kirchenverbesserung erfolgte schnelle Abstellung alles Gepränges bei kirchlichen Gebräuchen hätten ihn nie zur evangelischen Bekehrung vermögen können.“ Es war ein achtungswerter Mut, daſs er in dieser Zeit, trotz aller äuſseren Verlockungen seinem strengen Gewissen folgend, dem Katholizismus auch im äuſserlichen Bekennt- nis treu blieb. Wohl aber verbitterten die Kränkung seiner Absetzung als Bürgermeister wegen seiner religiösen Anschauung, und der Hohn und Spott, den er ertragen muſste, die letzten Jahre seines Lebens und beschleunigten seinen Tod. Der als Gelehrter so milde Mann konnte sich im Kreise von Freunden und Mitbürgern nicht immer die Mäſsi- gung abgewinnen, frivolen Spott schweigend zu ertragen und es gab eine feige Clique in Chemnitz, die sich förmlich ein Geschäft daraus machte, den alten Herrn zu reizen. Es lag dann in seinem Wesen aufzubrausen und heftig seine Meinung zu verfechten. Diese unbe- schränkten, lauten Bekenntnisse bei einem Disput dieser Art sollen auch seinen frühen plötzlichen Tod herbeigeführt haben, und schmach- voll war die Behandlung, welche der edle Mann noch nach dem Tode von seinen Mitbürgern zu erdulden hatte. Am 21. November 1555 geschah es, daſs Agricola ganz unerwartet während eines heftigen mündlichen Zwistes in einer Gesellschaft mit Neuprotestanten von einem Schlagfluſs getroffen dahinstarb. Diese beklagenswerte Veran- lassung seines Todes erweckte erst recht den Haſs und den Ingrimm der neugeordneten evangelischen Behörden von Chemnitz, und da sie den Lebenden nicht anzufassen gewagt hatten, rächten sie sich an dem Toten, indem sie ihm ein ehrliches Begräbnis verweigerten. Ihm als früherem Bürgermeister und kurfürstlichem Historiographen und Pensionär mit freier Wohnung hätte nach altem Herkommen eine Grabstätte in der Hauptkirche gebührt, statt dessen entschied der Pastor Herr Johann Tettelbach, daſs ihm eine jede Beerdigung auf städtischem Gebiete zu versagen sei. So lag denn der Leichnam

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 2: Das XVI. und XVII. Jahrhundert. Braunschweig, 1895, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen02_1895/49>, abgerufen am 29.03.2024.