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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 2: Das XVI. und XVII. Jahrhundert. Braunschweig, 1895.

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Georg Agricola.
war, opferte er sich für die Allgemeinheit und musste in den letzten
Jahren seines Lebens die Bitterkeit der Armut kennen lernen.

In noch schmerzlichere Bedrängnis brachte ihn sein Verhältnis
zur Reformation. Er hatte der Sturmtrompete von Wittenberg mit
derselben Begeisterung gelauscht, wie alle aufgeweckten Geister seiner
Zeit. Auch ihm waren Luthers Hammerschläge an der Kirchenthüre
zu Wittenberg sympathische Klänge gewesen. Aber die Konsequenzen
dieser tief eingreifenden Revolution waren dem gewissenhaften, auf
ernstes Studium gerichteten und entschieden konservativen Gelehrten
nicht erfreulich. Die Bauernkriege, die er auf die Reformation zu-
rückführte, missbilligte er; noch weniger aber konnte der reichstreue
Mann sich mit der Auflehnung der protestantischen Fürsten gegen
den Kaiser befreunden. Der Schmalkaldische Bund war ihm ein Un-
recht. Zu diesen sich mehr und mehr verschärfenden Anschauungen
wirkten verschiedene Verhältnisse bestimmend mit. Sein Aufenthalt
in Italien und das intime Verhältnis zu seinen katholischen Lehrern
mögen schon dazu beigetragen haben, noch mehr sein Verhältnis zu
Erasmus von Rotterdam, dem er in freundschaftlicher Verehrung
ergeben war, am meisten aber in älteren Jahren seine innigen Bezie-
hungen zu Kurfürst Moritz von Sachsen, diesem hochbegabten, ehr-
geizigen Fürsten, dessen rege Natur, wissenschaftliches Streben und
hochfliegende Pläne Agricola mächtig anzogen. Es bestand zwischen
dem jugendlichen Fürsten und dem gereiften Gelehrten ein geradezu
freundschaftliches Verhältnis und Agricola hatte seinem Fürsten
für viele Wohlthaten zu danken. Kurfürst Moritz gewährte ihm
schon bald nach seiner Thronbesteigung, besonders auf die Empfehlung
seines vertrauten Rates Dr. Kammerstädt freie Wohnung, einen
Jahresgehalt und Steuerfreiheit zur unbehinderten Fortsetzung seiner
wissenschaftlichen Studien. Im Jahre 1546 war Agricola durch die
Wahl seiner Mitbürger in Chemnitz nicht nur in den Stadtrat ge-
wählt, sondern auch -- eine Ausnahme der Regel -- sofort zum
Bürgermeister ernannt worden. Dieses Ehrenamt wurde ihm dreimal
von neuem übertragen, ein Beweis, wie sehr ihn trotz abweichender
Religionsansichten seine Mitbürger achteten. Aber in der Konflikts-
zeit wurde er der streng protestantisch gesinnten Bürgerschaft ver-
dächtig und infolgedessen nach vielen Verdriesslichkeiten trotz
sechsjähriger tadelloser Amtsführung im Jahre 1552 seines Amtes
entsetzt. Die hauptsächliche Veranlassung hierzu war sein persön-
liches Verhältnis zu Kurfürst Moritz und seine laute Verurteilung
der schmalkaldischen Wirren. Agricola stand fest und unerschüt-

Georg Agricola.
war, opferte er sich für die Allgemeinheit und muſste in den letzten
Jahren seines Lebens die Bitterkeit der Armut kennen lernen.

In noch schmerzlichere Bedrängnis brachte ihn sein Verhältnis
zur Reformation. Er hatte der Sturmtrompete von Wittenberg mit
derselben Begeisterung gelauscht, wie alle aufgeweckten Geister seiner
Zeit. Auch ihm waren Luthers Hammerschläge an der Kirchenthüre
zu Wittenberg sympathische Klänge gewesen. Aber die Konsequenzen
dieser tief eingreifenden Revolution waren dem gewissenhaften, auf
ernstes Studium gerichteten und entschieden konservativen Gelehrten
nicht erfreulich. Die Bauernkriege, die er auf die Reformation zu-
rückführte, miſsbilligte er; noch weniger aber konnte der reichstreue
Mann sich mit der Auflehnung der protestantischen Fürsten gegen
den Kaiser befreunden. Der Schmalkaldische Bund war ihm ein Un-
recht. Zu diesen sich mehr und mehr verschärfenden Anschauungen
wirkten verschiedene Verhältnisse bestimmend mit. Sein Aufenthalt
in Italien und das intime Verhältnis zu seinen katholischen Lehrern
mögen schon dazu beigetragen haben, noch mehr sein Verhältnis zu
Erasmus von Rotterdam, dem er in freundschaftlicher Verehrung
ergeben war, am meisten aber in älteren Jahren seine innigen Bezie-
hungen zu Kurfürst Moritz von Sachsen, diesem hochbegabten, ehr-
geizigen Fürsten, dessen rege Natur, wissenschaftliches Streben und
hochfliegende Pläne Agricola mächtig anzogen. Es bestand zwischen
dem jugendlichen Fürsten und dem gereiften Gelehrten ein geradezu
freundschaftliches Verhältnis und Agricola hatte seinem Fürsten
für viele Wohlthaten zu danken. Kurfürst Moritz gewährte ihm
schon bald nach seiner Thronbesteigung, besonders auf die Empfehlung
seines vertrauten Rates Dr. Kammerstädt freie Wohnung, einen
Jahresgehalt und Steuerfreiheit zur unbehinderten Fortsetzung seiner
wissenschaftlichen Studien. Im Jahre 1546 war Agricola durch die
Wahl seiner Mitbürger in Chemnitz nicht nur in den Stadtrat ge-
wählt, sondern auch — eine Ausnahme der Regel — sofort zum
Bürgermeister ernannt worden. Dieses Ehrenamt wurde ihm dreimal
von neuem übertragen, ein Beweis, wie sehr ihn trotz abweichender
Religionsansichten seine Mitbürger achteten. Aber in der Konflikts-
zeit wurde er der streng protestantisch gesinnten Bürgerschaft ver-
dächtig und infolgedessen nach vielen Verdrieſslichkeiten trotz
sechsjähriger tadelloser Amtsführung im Jahre 1552 seines Amtes
entsetzt. Die hauptsächliche Veranlassung hierzu war sein persön-
liches Verhältnis zu Kurfürst Moritz und seine laute Verurteilung
der schmalkaldischen Wirren. Agricola stand fest und unerschüt-

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[27/0047] Georg Agricola. war, opferte er sich für die Allgemeinheit und muſste in den letzten Jahren seines Lebens die Bitterkeit der Armut kennen lernen. In noch schmerzlichere Bedrängnis brachte ihn sein Verhältnis zur Reformation. Er hatte der Sturmtrompete von Wittenberg mit derselben Begeisterung gelauscht, wie alle aufgeweckten Geister seiner Zeit. Auch ihm waren Luthers Hammerschläge an der Kirchenthüre zu Wittenberg sympathische Klänge gewesen. Aber die Konsequenzen dieser tief eingreifenden Revolution waren dem gewissenhaften, auf ernstes Studium gerichteten und entschieden konservativen Gelehrten nicht erfreulich. Die Bauernkriege, die er auf die Reformation zu- rückführte, miſsbilligte er; noch weniger aber konnte der reichstreue Mann sich mit der Auflehnung der protestantischen Fürsten gegen den Kaiser befreunden. Der Schmalkaldische Bund war ihm ein Un- recht. Zu diesen sich mehr und mehr verschärfenden Anschauungen wirkten verschiedene Verhältnisse bestimmend mit. Sein Aufenthalt in Italien und das intime Verhältnis zu seinen katholischen Lehrern mögen schon dazu beigetragen haben, noch mehr sein Verhältnis zu Erasmus von Rotterdam, dem er in freundschaftlicher Verehrung ergeben war, am meisten aber in älteren Jahren seine innigen Bezie- hungen zu Kurfürst Moritz von Sachsen, diesem hochbegabten, ehr- geizigen Fürsten, dessen rege Natur, wissenschaftliches Streben und hochfliegende Pläne Agricola mächtig anzogen. Es bestand zwischen dem jugendlichen Fürsten und dem gereiften Gelehrten ein geradezu freundschaftliches Verhältnis und Agricola hatte seinem Fürsten für viele Wohlthaten zu danken. Kurfürst Moritz gewährte ihm schon bald nach seiner Thronbesteigung, besonders auf die Empfehlung seines vertrauten Rates Dr. Kammerstädt freie Wohnung, einen Jahresgehalt und Steuerfreiheit zur unbehinderten Fortsetzung seiner wissenschaftlichen Studien. Im Jahre 1546 war Agricola durch die Wahl seiner Mitbürger in Chemnitz nicht nur in den Stadtrat ge- wählt, sondern auch — eine Ausnahme der Regel — sofort zum Bürgermeister ernannt worden. Dieses Ehrenamt wurde ihm dreimal von neuem übertragen, ein Beweis, wie sehr ihn trotz abweichender Religionsansichten seine Mitbürger achteten. Aber in der Konflikts- zeit wurde er der streng protestantisch gesinnten Bürgerschaft ver- dächtig und infolgedessen nach vielen Verdrieſslichkeiten trotz sechsjähriger tadelloser Amtsführung im Jahre 1552 seines Amtes entsetzt. Die hauptsächliche Veranlassung hierzu war sein persön- liches Verhältnis zu Kurfürst Moritz und seine laute Verurteilung der schmalkaldischen Wirren. Agricola stand fest und unerschüt-

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 2: Das XVI. und XVII. Jahrhundert. Braunschweig, 1895, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen02_1895/47>, abgerufen am 28.03.2024.