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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 2: Das XVI. und XVII. Jahrhundert. Braunschweig, 1895.

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Die Waffenschmiedekunst im 16. Jahrhundert.
einer geschlossenen Turnierrüstung, welche noch aus dem letzten
Viertel des 15. Jahrhunderts stammt. Die Rüstung, welche sich in
der kaiserlichen Sammlung zu Wien befindet, ist ein Meisterstück
der Plattnerei, und machen wir namentlich auf die Treibarbeit an
der Tatze der Zügelhand aufmerksam. Die starke Rüstung wiegt
68 Wiener Pfund.

Ein Kunstwerk ersten Ranges ist die weltberühmte Pracht-
rüstung für Mann und Ross des Kurfürsten Christian
II. von
Sachsen in dem Königlichen Historischen Museum zu Dresden. Wäh-
rend sie früher für eine italienische Arbeit gehalten wurde, erkannte
man sie schon vor längerer Zeit als ein Meisterstück Augsburger
Plattnerei und schrieb sie allgemein dem berühmtesten Meister
Desiderius Kolman zu. Aber sowohl diese Annahme, als die sie
immer begleitende Angabe, sie sei für 14000 Thaler angekauft worden,
haben sich durch die neueren Untersuchungen des Dresdener Museums-
direktors Dr. Erbstein als irrtümlich erwiesen, indem dieser sie
bestimmt als ein Werk des Augsburger Plattners Anton Pfeffen-
häuser
nachgewiesen hat. Nach Erbstein1) wäre die herrliche
Rüstung, welche sich in dem oben angeführten Werke von Rade
in 22 wohlgelungenen Blättern abgebildet findet, erst um das Jahr
1600 entstanden und im September 1606 seitens des Kurfürsten
von Heinrich Knopf aus Nürnberg zu Schleusingen um 8800 Gulden
oder 7700 Reichsthaler (etwa 35000 Mark nach heutigem Werte)
angekauft worden. Sie wurde 1611 bei des Kurfürsten Leichen-
begängnis als Freudenkürass gebraucht und der fürstlichen Leiche
vorgeritten. -- Die getriebenen Reliefbilder in Medaillonform sind
auf der Mannesrüstung dem Sagenkreis des Troer- und Argonauten-
zuges entnommen, auf der Pferderüstung der Herkulessage 2). Die
Medaillons auf der Brustplatte des Kürass zeigen die Rückführung
der Helena aus dem brennenden Troja und den Kampf des Hektor
und Achilles zu Pferde (!); die auf den Vorderflügeln der Achsel-
stücke Ares, wie er auf seinen von Wölfen gezogenen Wagen den
Hain durcheilt, und Jason mit dem Widderfell; auf der Rückenplatte
des Kürass erblickt man die Einführung des hölzernen Pferdes nach
Troja und die Zerstörung Ilions (Fig. 99).

Die Medaillons auf der Pferderüstung zeigen vorn den Kampf

1) Siehe Beschreibung des Königl. Historischen Museums zu Dresden von
Dr. A. Erbstein. Dresden 1889, S. 34.
2) Welch letztere in den verbreiteten irrtümlichen Angaben über die Rüstung
immer allein genannt werden.

Die Waffenschmiedekunst im 16. Jahrhundert.
einer geschlossenen Turnierrüstung, welche noch aus dem letzten
Viertel des 15. Jahrhunderts stammt. Die Rüstung, welche sich in
der kaiserlichen Sammlung zu Wien befindet, ist ein Meisterstück
der Plattnerei, und machen wir namentlich auf die Treibarbeit an
der Tatze der Zügelhand aufmerksam. Die starke Rüstung wiegt
68 Wiener Pfund.

Ein Kunstwerk ersten Ranges ist die weltberühmte Pracht-
rüstung für Mann und Roſs des Kurfürsten Christian
II. von
Sachsen in dem Königlichen Historischen Museum zu Dresden. Wäh-
rend sie früher für eine italienische Arbeit gehalten wurde, erkannte
man sie schon vor längerer Zeit als ein Meisterstück Augsburger
Plattnerei und schrieb sie allgemein dem berühmtesten Meister
Desiderius Kolman zu. Aber sowohl diese Annahme, als die sie
immer begleitende Angabe, sie sei für 14000 Thaler angekauft worden,
haben sich durch die neueren Untersuchungen des Dresdener Museums-
direktors Dr. Erbstein als irrtümlich erwiesen, indem dieser sie
bestimmt als ein Werk des Augsburger Plattners Anton Pfeffen-
häuser
nachgewiesen hat. Nach Erbstein1) wäre die herrliche
Rüstung, welche sich in dem oben angeführten Werke von Rade
in 22 wohlgelungenen Blättern abgebildet findet, erst um das Jahr
1600 entstanden und im September 1606 seitens des Kurfürsten
von Heinrich Knopf aus Nürnberg zu Schleusingen um 8800 Gulden
oder 7700 Reichsthaler (etwa 35000 Mark nach heutigem Werte)
angekauft worden. Sie wurde 1611 bei des Kurfürsten Leichen-
begängnis als Freudenküraſs gebraucht und der fürstlichen Leiche
vorgeritten. — Die getriebenen Reliefbilder in Medaillonform sind
auf der Mannesrüstung dem Sagenkreis des Troer- und Argonauten-
zuges entnommen, auf der Pferderüstung der Herkulessage 2). Die
Medaillons auf der Brustplatte des Küraſs zeigen die Rückführung
der Helena aus dem brennenden Troja und den Kampf des Hektor
und Achilles zu Pferde (!); die auf den Vorderflügeln der Achsel-
stücke Ares, wie er auf seinen von Wölfen gezogenen Wagen den
Hain durcheilt, und Jason mit dem Widderfell; auf der Rückenplatte
des Küraſs erblickt man die Einführung des hölzernen Pferdes nach
Troja und die Zerstörung Ilions (Fig. 99).

Die Medaillons auf der Pferderüstung zeigen vorn den Kampf

1) Siehe Beschreibung des Königl. Historischen Museums zu Dresden von
Dr. A. Erbstein. Dresden 1889, S. 34.
2) Welch letztere in den verbreiteten irrtümlichen Angaben über die Rüstung
immer allein genannt werden.
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[358/0378] Die Waffenschmiedekunst im 16. Jahrhundert. einer geschlossenen Turnierrüstung, welche noch aus dem letzten Viertel des 15. Jahrhunderts stammt. Die Rüstung, welche sich in der kaiserlichen Sammlung zu Wien befindet, ist ein Meisterstück der Plattnerei, und machen wir namentlich auf die Treibarbeit an der Tatze der Zügelhand aufmerksam. Die starke Rüstung wiegt 68 Wiener Pfund. Ein Kunstwerk ersten Ranges ist die weltberühmte Pracht- rüstung für Mann und Roſs des Kurfürsten Christian II. von Sachsen in dem Königlichen Historischen Museum zu Dresden. Wäh- rend sie früher für eine italienische Arbeit gehalten wurde, erkannte man sie schon vor längerer Zeit als ein Meisterstück Augsburger Plattnerei und schrieb sie allgemein dem berühmtesten Meister Desiderius Kolman zu. Aber sowohl diese Annahme, als die sie immer begleitende Angabe, sie sei für 14000 Thaler angekauft worden, haben sich durch die neueren Untersuchungen des Dresdener Museums- direktors Dr. Erbstein als irrtümlich erwiesen, indem dieser sie bestimmt als ein Werk des Augsburger Plattners Anton Pfeffen- häuser nachgewiesen hat. Nach Erbstein 1) wäre die herrliche Rüstung, welche sich in dem oben angeführten Werke von Rade in 22 wohlgelungenen Blättern abgebildet findet, erst um das Jahr 1600 entstanden und im September 1606 seitens des Kurfürsten von Heinrich Knopf aus Nürnberg zu Schleusingen um 8800 Gulden oder 7700 Reichsthaler (etwa 35000 Mark nach heutigem Werte) angekauft worden. Sie wurde 1611 bei des Kurfürsten Leichen- begängnis als Freudenküraſs gebraucht und der fürstlichen Leiche vorgeritten. — Die getriebenen Reliefbilder in Medaillonform sind auf der Mannesrüstung dem Sagenkreis des Troer- und Argonauten- zuges entnommen, auf der Pferderüstung der Herkulessage 2). Die Medaillons auf der Brustplatte des Küraſs zeigen die Rückführung der Helena aus dem brennenden Troja und den Kampf des Hektor und Achilles zu Pferde (!); die auf den Vorderflügeln der Achsel- stücke Ares, wie er auf seinen von Wölfen gezogenen Wagen den Hain durcheilt, und Jason mit dem Widderfell; auf der Rückenplatte des Küraſs erblickt man die Einführung des hölzernen Pferdes nach Troja und die Zerstörung Ilions (Fig. 99). Die Medaillons auf der Pferderüstung zeigen vorn den Kampf 1) Siehe Beschreibung des Königl. Historischen Museums zu Dresden von Dr. A. Erbstein. Dresden 1889, S. 34. 2) Welch letztere in den verbreiteten irrtümlichen Angaben über die Rüstung immer allein genannt werden.

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 2: Das XVI. und XVII. Jahrhundert. Braunschweig, 1895, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen02_1895/378>, abgerufen am 23.04.2024.