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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 2: Das XVI. und XVII. Jahrhundert. Braunschweig, 1895.

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Einleitung.
deines Vaters von so grossem Nutzen sind, -- die hast du vergessen?
Die zauberischen Plätze, deren Anblick selbst die Himmlischen entzückt,
sind die deinem Gedächtnis entschwunden? Menschlichen Wünschen
scheint es schöner wie das Thal Tempe; es ist weniger bewölkt als
die elysischen Inseln, so lieblich ist die Temperatur, so reich und
mannigfaltig sind die Erzeugnisse. Also verachtest du dein Vaterland,
deine heimischen Penaten, unglückseliges Kind? Dieses Land, so würdig
der Musen, soll es nie besungen werden? Soll es ewig in unwürdiger
Dunkelheit begraben bleiben?

Höre denn, welchen Rat ich dir erteilen will: wenn du klug bist,
grabe meine Worte in deines Herzensgrund: ich will, dass du deine
Verse dazu weihest, diese Schmiede zu besingen und dass du auf diese
Art allen Menschen, die es noch nicht wissen, die Kunst der Ge-
winnung des Eisens
lehrst, dieses Metalls, so verderblich und doch
gleichzeitig so kostbar; des Eisens, das die Quelle so grossen Segens
und so grossen Unheils ist, des Lebens und des Todes! Nur mit seiner
Hilfe kann man ja den wilden, unkultivierten Boden bearbeiten, um
ihn fruchtbar zu machen für reichliche Ernten für die Menschen: die
Bäume, die Weinberge, von denen man die wilden Schösslinge weg-
schneidet, damit sie von neuem in frischem Grün erstehen und sich
mit Frucht bedecken.

Mit dem Eisen baut man die Häuser, durchschneidet man die
harten Felsen: es ist jedem menschlichen Bedürfnis von Nutzen.
Aber anderseits dient es zum Männermord, zu unseligen Kriegen,
zur Rache, und geschleudert von Kriegsmaschinen oder von Menschen-
händen dient es, den schrecklichen Tod zu beschleunigen.

Wohl denn, wenn du in deinem Stolz uns Gehorsam weigerst,
so weist du wohl, was du zu fürchten hast für die Heimstätte deines
Vaters. Noch nicht lange ist es her, dass du es nur zu sehr erfahren
hast, wenn du dich erinnerst der schrecklichen Wirkung unseres Zornes:
meine Glut hat deine Verse verzehrt, ich habe das gastfreundliche
Haus deines Vaters zur Beute der Flamme werden lassen, ja Gras
würde jetzt an der Stätte jener Schmiede wachsen, wenn nicht der
gnädige Herrscher des Olympos Einhalt geboten hätte, gerührt durch
die Thränen deiner kindlichen Liebe."

Er sprach's und gefolgt von seinen Cyklopen verschwand er in
dem Schosse der Dunkelheit.

Lange Zeit grübelte ich über diese Worte nach, erschüttert von
einem Auftrage von so hoher Stelle und ich beschloss, das auszuführen,
was mir befohlen war. So beginne ich denn schon heute, denn ich

Einleitung.
deines Vaters von so groſsem Nutzen sind, — die hast du vergessen?
Die zauberischen Plätze, deren Anblick selbst die Himmlischen entzückt,
sind die deinem Gedächtnis entschwunden? Menschlichen Wünschen
scheint es schöner wie das Thal Tempe; es ist weniger bewölkt als
die elysischen Inseln, so lieblich ist die Temperatur, so reich und
mannigfaltig sind die Erzeugnisse. Also verachtest du dein Vaterland,
deine heimischen Penaten, unglückseliges Kind? Dieses Land, so würdig
der Musen, soll es nie besungen werden? Soll es ewig in unwürdiger
Dunkelheit begraben bleiben?

Höre denn, welchen Rat ich dir erteilen will: wenn du klug bist,
grabe meine Worte in deines Herzensgrund: ich will, daſs du deine
Verse dazu weihest, diese Schmiede zu besingen und daſs du auf diese
Art allen Menschen, die es noch nicht wissen, die Kunst der Ge-
winnung des Eisens
lehrst, dieses Metalls, so verderblich und doch
gleichzeitig so kostbar; des Eisens, das die Quelle so groſsen Segens
und so groſsen Unheils ist, des Lebens und des Todes! Nur mit seiner
Hilfe kann man ja den wilden, unkultivierten Boden bearbeiten, um
ihn fruchtbar zu machen für reichliche Ernten für die Menschen: die
Bäume, die Weinberge, von denen man die wilden Schöſslinge weg-
schneidet, damit sie von neuem in frischem Grün erstehen und sich
mit Frucht bedecken.

Mit dem Eisen baut man die Häuser, durchschneidet man die
harten Felsen: es ist jedem menschlichen Bedürfnis von Nutzen.
Aber anderseits dient es zum Männermord, zu unseligen Kriegen,
zur Rache, und geschleudert von Kriegsmaschinen oder von Menschen-
händen dient es, den schrecklichen Tod zu beschleunigen.

Wohl denn, wenn du in deinem Stolz uns Gehorsam weigerst,
so weist du wohl, was du zu fürchten hast für die Heimstätte deines
Vaters. Noch nicht lange ist es her, daſs du es nur zu sehr erfahren
hast, wenn du dich erinnerst der schrecklichen Wirkung unseres Zornes:
meine Glut hat deine Verse verzehrt, ich habe das gastfreundliche
Haus deines Vaters zur Beute der Flamme werden lassen, ja Gras
würde jetzt an der Stätte jener Schmiede wachsen, wenn nicht der
gnädige Herrscher des Olympos Einhalt geboten hätte, gerührt durch
die Thränen deiner kindlichen Liebe.“

Er sprach’s und gefolgt von seinen Cyklopen verschwand er in
dem Schoſse der Dunkelheit.

Lange Zeit grübelte ich über diese Worte nach, erschüttert von
einem Auftrage von so hoher Stelle und ich beschloſs, das auszuführen,
was mir befohlen war. So beginne ich denn schon heute, denn ich

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[15/0035] Einleitung. deines Vaters von so groſsem Nutzen sind, — die hast du vergessen? Die zauberischen Plätze, deren Anblick selbst die Himmlischen entzückt, sind die deinem Gedächtnis entschwunden? Menschlichen Wünschen scheint es schöner wie das Thal Tempe; es ist weniger bewölkt als die elysischen Inseln, so lieblich ist die Temperatur, so reich und mannigfaltig sind die Erzeugnisse. Also verachtest du dein Vaterland, deine heimischen Penaten, unglückseliges Kind? Dieses Land, so würdig der Musen, soll es nie besungen werden? Soll es ewig in unwürdiger Dunkelheit begraben bleiben? Höre denn, welchen Rat ich dir erteilen will: wenn du klug bist, grabe meine Worte in deines Herzensgrund: ich will, daſs du deine Verse dazu weihest, diese Schmiede zu besingen und daſs du auf diese Art allen Menschen, die es noch nicht wissen, die Kunst der Ge- winnung des Eisens lehrst, dieses Metalls, so verderblich und doch gleichzeitig so kostbar; des Eisens, das die Quelle so groſsen Segens und so groſsen Unheils ist, des Lebens und des Todes! Nur mit seiner Hilfe kann man ja den wilden, unkultivierten Boden bearbeiten, um ihn fruchtbar zu machen für reichliche Ernten für die Menschen: die Bäume, die Weinberge, von denen man die wilden Schöſslinge weg- schneidet, damit sie von neuem in frischem Grün erstehen und sich mit Frucht bedecken. Mit dem Eisen baut man die Häuser, durchschneidet man die harten Felsen: es ist jedem menschlichen Bedürfnis von Nutzen. Aber anderseits dient es zum Männermord, zu unseligen Kriegen, zur Rache, und geschleudert von Kriegsmaschinen oder von Menschen- händen dient es, den schrecklichen Tod zu beschleunigen. Wohl denn, wenn du in deinem Stolz uns Gehorsam weigerst, so weist du wohl, was du zu fürchten hast für die Heimstätte deines Vaters. Noch nicht lange ist es her, daſs du es nur zu sehr erfahren hast, wenn du dich erinnerst der schrecklichen Wirkung unseres Zornes: meine Glut hat deine Verse verzehrt, ich habe das gastfreundliche Haus deines Vaters zur Beute der Flamme werden lassen, ja Gras würde jetzt an der Stätte jener Schmiede wachsen, wenn nicht der gnädige Herrscher des Olympos Einhalt geboten hätte, gerührt durch die Thränen deiner kindlichen Liebe.“ Er sprach’s und gefolgt von seinen Cyklopen verschwand er in dem Schoſse der Dunkelheit. Lange Zeit grübelte ich über diese Worte nach, erschüttert von einem Auftrage von so hoher Stelle und ich beschloſs, das auszuführen, was mir befohlen war. So beginne ich denn schon heute, denn ich

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 2: Das XVI. und XVII. Jahrhundert. Braunschweig, 1895, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen02_1895/35>, abgerufen am 19.04.2024.