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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 2: Das XVI. und XVII. Jahrhundert. Braunschweig, 1895.

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Stahlbereitung im 16. Jahrhundert.
in dem frei bleibenden Raume des Herdes nach der Formseite
zu das Ausheizen von zwei Schirbel des letzten Schreies. "Schrei"
war die siegensche Bezeichnung für die Stahlluppe. Ein solcher
Schrei, welcher 150 bis 200 kg wog, wurde in der in neben-
stehender Skizze (Fig. 74) angedeuteten Weise radial in acht bis
zehn Schirbel zerschroten. Zwei davon wurden an den keilförmigen
Enden mit Heizzangen gefasst und in das Feuer eingesetzt, während-
dessen man die übrigen auf die niedrige Arbeitsseite übereinander
legte, um sie vorzuwärmen. Hatte der Schirbel in der Zange die rich-
tige Hitze, so wurde er unter den Hammer gebracht, um die rauhe
[Abbildung] Fig. 74.
Seite vorsichtig dicht zu machen. Ein Schirbel
brauchte zwei bis drei Hitzen, bis man ihn an
der äusseren Seite zu einem flachen Griffe
ausschmieden und zu einem Kolben machen
konnte. Anfangs musste man den Schirbel
hoch über die Form halten, sobald er aber
zu schweissen begann, wurde er tiefer gelassen
und mehrmals in dem Schlackenbade ge-
wendet. Der Kolben wurde endlich, nachdem er nochmals im Herde
ausgeheizt war, zu einer Stahlstange ausgereckt und diese zur Här-
tung glühend in den Löschtrog geworfen. Der Stahl warf beim
Ausschmieden viel Funken aus, welches die Stahlschmiede von einem
Gehalte an Kupfer herleiteten1). Sobald der erste Schirbel aus-
geschweisst war, rückte der zweite an dessen Platz dicht über der
Form, während der dritte an die Stelle des zweiten eingelegt wurde,
und so ging das Ausheizen und Ausschmieden sämtlicher Schirbel
fort und war meist eine Stunde früher beendet, als der neue Schrei
vollendet war.

Gleichzeitig mit dem Ausheizen nahm die Stahlfrischarbeit ihren
Fortgang. Das Einschmelzen wurde bei schwachem Winde begonnen,
damit sich erst die Schlackenkruste über dem Steinboden und darüber
ein ganz flüssiges Schlackenbad bildete. Alsdann wurde der Wind
verstärkt und das Roheisen rasch eingeschmolzen, so dass es voll-
kommen flüssig den Boden bedeckte und durch eine Schlackendecke
von nahezu 10 cm vor der direkten Einwirkung des Windes geschützt
war. So wurde das Garen nur durch die Garschlacke bewirkt und
ging rasch von statten, weil die Eisenmenge klein, die Schlacken-

1) Siehe Stengel, Über den Einfluss des Kupfers und Schwefels auf die Güte
des Stahls in Karsten's Archiv, Bd. IX und X.

Stahlbereitung im 16. Jahrhundert.
in dem frei bleibenden Raume des Herdes nach der Formseite
zu das Ausheizen von zwei Schirbel des letzten Schreies. „Schrei“
war die siegensche Bezeichnung für die Stahlluppe. Ein solcher
Schrei, welcher 150 bis 200 kg wog, wurde in der in neben-
stehender Skizze (Fig. 74) angedeuteten Weise radial in acht bis
zehn Schirbel zerschroten. Zwei davon wurden an den keilförmigen
Enden mit Heizzangen gefaſst und in das Feuer eingesetzt, während-
dessen man die übrigen auf die niedrige Arbeitsseite übereinander
legte, um sie vorzuwärmen. Hatte der Schirbel in der Zange die rich-
tige Hitze, so wurde er unter den Hammer gebracht, um die rauhe
[Abbildung] Fig. 74.
Seite vorsichtig dicht zu machen. Ein Schirbel
brauchte zwei bis drei Hitzen, bis man ihn an
der äuſseren Seite zu einem flachen Griffe
ausschmieden und zu einem Kolben machen
konnte. Anfangs muſste man den Schirbel
hoch über die Form halten, sobald er aber
zu schweiſsen begann, wurde er tiefer gelassen
und mehrmals in dem Schlackenbade ge-
wendet. Der Kolben wurde endlich, nachdem er nochmals im Herde
ausgeheizt war, zu einer Stahlstange ausgereckt und diese zur Här-
tung glühend in den Löschtrog geworfen. Der Stahl warf beim
Ausschmieden viel Funken aus, welches die Stahlschmiede von einem
Gehalte an Kupfer herleiteten1). Sobald der erste Schirbel aus-
geschweiſst war, rückte der zweite an dessen Platz dicht über der
Form, während der dritte an die Stelle des zweiten eingelegt wurde,
und so ging das Ausheizen und Ausschmieden sämtlicher Schirbel
fort und war meist eine Stunde früher beendet, als der neue Schrei
vollendet war.

Gleichzeitig mit dem Ausheizen nahm die Stahlfrischarbeit ihren
Fortgang. Das Einschmelzen wurde bei schwachem Winde begonnen,
damit sich erst die Schlackenkruste über dem Steinboden und darüber
ein ganz flüssiges Schlackenbad bildete. Alsdann wurde der Wind
verstärkt und das Roheisen rasch eingeschmolzen, so daſs es voll-
kommen flüssig den Boden bedeckte und durch eine Schlackendecke
von nahezu 10 cm vor der direkten Einwirkung des Windes geschützt
war. So wurde das Garen nur durch die Garschlacke bewirkt und
ging rasch von statten, weil die Eisenmenge klein, die Schlacken-

1) Siehe Stengel, Über den Einfluſs des Kupfers und Schwefels auf die Güte
des Stahls in Karsten’s Archiv, Bd. IX und X.
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[258/0278] Stahlbereitung im 16. Jahrhundert. in dem frei bleibenden Raume des Herdes nach der Formseite zu das Ausheizen von zwei Schirbel des letzten Schreies. „Schrei“ war die siegensche Bezeichnung für die Stahlluppe. Ein solcher Schrei, welcher 150 bis 200 kg wog, wurde in der in neben- stehender Skizze (Fig. 74) angedeuteten Weise radial in acht bis zehn Schirbel zerschroten. Zwei davon wurden an den keilförmigen Enden mit Heizzangen gefaſst und in das Feuer eingesetzt, während- dessen man die übrigen auf die niedrige Arbeitsseite übereinander legte, um sie vorzuwärmen. Hatte der Schirbel in der Zange die rich- tige Hitze, so wurde er unter den Hammer gebracht, um die rauhe [Abbildung Fig. 74.] Seite vorsichtig dicht zu machen. Ein Schirbel brauchte zwei bis drei Hitzen, bis man ihn an der äuſseren Seite zu einem flachen Griffe ausschmieden und zu einem Kolben machen konnte. Anfangs muſste man den Schirbel hoch über die Form halten, sobald er aber zu schweiſsen begann, wurde er tiefer gelassen und mehrmals in dem Schlackenbade ge- wendet. Der Kolben wurde endlich, nachdem er nochmals im Herde ausgeheizt war, zu einer Stahlstange ausgereckt und diese zur Här- tung glühend in den Löschtrog geworfen. Der Stahl warf beim Ausschmieden viel Funken aus, welches die Stahlschmiede von einem Gehalte an Kupfer herleiteten 1). Sobald der erste Schirbel aus- geschweiſst war, rückte der zweite an dessen Platz dicht über der Form, während der dritte an die Stelle des zweiten eingelegt wurde, und so ging das Ausheizen und Ausschmieden sämtlicher Schirbel fort und war meist eine Stunde früher beendet, als der neue Schrei vollendet war. Gleichzeitig mit dem Ausheizen nahm die Stahlfrischarbeit ihren Fortgang. Das Einschmelzen wurde bei schwachem Winde begonnen, damit sich erst die Schlackenkruste über dem Steinboden und darüber ein ganz flüssiges Schlackenbad bildete. Alsdann wurde der Wind verstärkt und das Roheisen rasch eingeschmolzen, so daſs es voll- kommen flüssig den Boden bedeckte und durch eine Schlackendecke von nahezu 10 cm vor der direkten Einwirkung des Windes geschützt war. So wurde das Garen nur durch die Garschlacke bewirkt und ging rasch von statten, weil die Eisenmenge klein, die Schlacken- 1) Siehe Stengel, Über den Einfluſs des Kupfers und Schwefels auf die Güte des Stahls in Karsten’s Archiv, Bd. IX und X.

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 2: Das XVI. und XVII. Jahrhundert. Braunschweig, 1895, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen02_1895/278>, abgerufen am 29.03.2024.