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Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 2: Das XVI. und XVII. Jahrhundert. Braunschweig, 1895.

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Einleitung.
roten und weissen Rose ein Ende gemacht. Heinrich Tudor bestieg
als Heinrich VII. den englischen Thron, und wenn er auch kein
Fürst von hervorragender Begabung war, so war doch seine Regierung
eine kluge und sparsame, vor allem aber begriff er klar, dass Eng-
lands zukünftige Entwickelung von seiner bevorzugten Insellage bedingt
sein müsse. Er liess deshalb die kriegerische Kontinentalpolitik seiner
Vorgänger fallen und trat in freundschaftliche Beziehung mit der
ersten Seemacht der damaligen Zeit, mit Spanien. Im Inneren aber
stärkte er durch Schwächung des Adels und durch Kräftigung des
Bürgerstandes die Einheit des Reiches.

Auch das skandinavische Reich im Norden Europas rang nach
Entwickelung einheitlicher Macht. Äusserlich war diese ja schon von
der genialen Königin Margarete durch die Kalmarische Union im
Jahre 1397 erreicht worden. Aber eine innere Verschmelzung der
drei stammverwandten Königreiche Dänemark, Schweden und Nor-
wegen wurde hierdurch nicht erzielt. Ihre Lebensbedingungen waren
zu verschieden, als dass die künstliche Vereinigung eine dauernde
hätte sein können. Jedes der drei Reiche strebte nach selbständiger
Einheit und schon hatten in Schweden die blutigen Kämpfe begonnen,
die zu diesem Ziele führen sollten.

Sehen wir bei den westlichen und nordischen Reichen Europas
eine ausgesprochene centripetale Entwickelung, so scheint bei den
Reichen der Mitte, Deutschland und Italien, das centrifugale Streben
den Sieg behalten zu sollen. Italien ist zerrissen durch widerstreitende
Interessen, Deutschland durch die wachsende Macht der Lehens-
fürsten, durch welche die Kaisermacht immer mehr eingeschränkt
wird. Aber trotz dieser Zersplitterung lässt sich doch bei den Einzel-
fürsten Italiens und Deutschlands ein ebenso energisches Streben
nach Machterweiterung und nach Erhöhung der Souveränität erkennen,
wie wir dies bei den einheitlichen Staaten des Westens gesehen
haben. In dieser Beziehung ging das Haus Habsburg, bei dem die
römische Kaiserkrone jetzt durch Gewohnheit erblich geworden war,
selbst allen anderen voraus, indem es planmässig seine Hausmacht
auf Kosten der kaiserlichen Macht vergrösserte und den mächtigen
österreichischen Staat gründete.

Alle diese Bestrebungen nach Erhöhung der Fürstenmacht, nach
Gründung starker staatlicher Verbände, fanden eine kräftige Stütze
und eine sittliche Rechtfertigung in dem römischen Recht, das, aus
den gleichen Verhältnissen hervorgegangen, auf dem Begriff der
Souveränität des Staates aufgebaut war. Deshalb unterstützten die

Einleitung.
roten und weiſsen Rose ein Ende gemacht. Heinrich Tudor bestieg
als Heinrich VII. den englischen Thron, und wenn er auch kein
Fürst von hervorragender Begabung war, so war doch seine Regierung
eine kluge und sparsame, vor allem aber begriff er klar, daſs Eng-
lands zukünftige Entwickelung von seiner bevorzugten Insellage bedingt
sein müsse. Er lieſs deshalb die kriegerische Kontinentalpolitik seiner
Vorgänger fallen und trat in freundschaftliche Beziehung mit der
ersten Seemacht der damaligen Zeit, mit Spanien. Im Inneren aber
stärkte er durch Schwächung des Adels und durch Kräftigung des
Bürgerstandes die Einheit des Reiches.

Auch das skandinavische Reich im Norden Europas rang nach
Entwickelung einheitlicher Macht. Äuſserlich war diese ja schon von
der genialen Königin Margarete durch die Kalmarische Union im
Jahre 1397 erreicht worden. Aber eine innere Verschmelzung der
drei stammverwandten Königreiche Dänemark, Schweden und Nor-
wegen wurde hierdurch nicht erzielt. Ihre Lebensbedingungen waren
zu verschieden, als daſs die künstliche Vereinigung eine dauernde
hätte sein können. Jedes der drei Reiche strebte nach selbständiger
Einheit und schon hatten in Schweden die blutigen Kämpfe begonnen,
die zu diesem Ziele führen sollten.

Sehen wir bei den westlichen und nordischen Reichen Europas
eine ausgesprochene centripetale Entwickelung, so scheint bei den
Reichen der Mitte, Deutschland und Italien, das centrifugale Streben
den Sieg behalten zu sollen. Italien ist zerrissen durch widerstreitende
Interessen, Deutschland durch die wachsende Macht der Lehens-
fürsten, durch welche die Kaisermacht immer mehr eingeschränkt
wird. Aber trotz dieser Zersplitterung läſst sich doch bei den Einzel-
fürsten Italiens und Deutschlands ein ebenso energisches Streben
nach Machterweiterung und nach Erhöhung der Souveränität erkennen,
wie wir dies bei den einheitlichen Staaten des Westens gesehen
haben. In dieser Beziehung ging das Haus Habsburg, bei dem die
römische Kaiserkrone jetzt durch Gewohnheit erblich geworden war,
selbst allen anderen voraus, indem es planmäſsig seine Hausmacht
auf Kosten der kaiserlichen Macht vergröſserte und den mächtigen
österreichischen Staat gründete.

Alle diese Bestrebungen nach Erhöhung der Fürstenmacht, nach
Gründung starker staatlicher Verbände, fanden eine kräftige Stütze
und eine sittliche Rechtfertigung in dem römischen Recht, das, aus
den gleichen Verhältnissen hervorgegangen, auf dem Begriff der
Souveränität des Staates aufgebaut war. Deshalb unterstützten die

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[4/0024] Einleitung. roten und weiſsen Rose ein Ende gemacht. Heinrich Tudor bestieg als Heinrich VII. den englischen Thron, und wenn er auch kein Fürst von hervorragender Begabung war, so war doch seine Regierung eine kluge und sparsame, vor allem aber begriff er klar, daſs Eng- lands zukünftige Entwickelung von seiner bevorzugten Insellage bedingt sein müsse. Er lieſs deshalb die kriegerische Kontinentalpolitik seiner Vorgänger fallen und trat in freundschaftliche Beziehung mit der ersten Seemacht der damaligen Zeit, mit Spanien. Im Inneren aber stärkte er durch Schwächung des Adels und durch Kräftigung des Bürgerstandes die Einheit des Reiches. Auch das skandinavische Reich im Norden Europas rang nach Entwickelung einheitlicher Macht. Äuſserlich war diese ja schon von der genialen Königin Margarete durch die Kalmarische Union im Jahre 1397 erreicht worden. Aber eine innere Verschmelzung der drei stammverwandten Königreiche Dänemark, Schweden und Nor- wegen wurde hierdurch nicht erzielt. Ihre Lebensbedingungen waren zu verschieden, als daſs die künstliche Vereinigung eine dauernde hätte sein können. Jedes der drei Reiche strebte nach selbständiger Einheit und schon hatten in Schweden die blutigen Kämpfe begonnen, die zu diesem Ziele führen sollten. Sehen wir bei den westlichen und nordischen Reichen Europas eine ausgesprochene centripetale Entwickelung, so scheint bei den Reichen der Mitte, Deutschland und Italien, das centrifugale Streben den Sieg behalten zu sollen. Italien ist zerrissen durch widerstreitende Interessen, Deutschland durch die wachsende Macht der Lehens- fürsten, durch welche die Kaisermacht immer mehr eingeschränkt wird. Aber trotz dieser Zersplitterung läſst sich doch bei den Einzel- fürsten Italiens und Deutschlands ein ebenso energisches Streben nach Machterweiterung und nach Erhöhung der Souveränität erkennen, wie wir dies bei den einheitlichen Staaten des Westens gesehen haben. In dieser Beziehung ging das Haus Habsburg, bei dem die römische Kaiserkrone jetzt durch Gewohnheit erblich geworden war, selbst allen anderen voraus, indem es planmäſsig seine Hausmacht auf Kosten der kaiserlichen Macht vergröſserte und den mächtigen österreichischen Staat gründete. Alle diese Bestrebungen nach Erhöhung der Fürstenmacht, nach Gründung starker staatlicher Verbände, fanden eine kräftige Stütze und eine sittliche Rechtfertigung in dem römischen Recht, das, aus den gleichen Verhältnissen hervorgegangen, auf dem Begriff der Souveränität des Staates aufgebaut war. Deshalb unterstützten die

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Zitationshilfe: Beck, Ludwig: Die Geschichte des Eisens. Bd. 2: Das XVI. und XVII. Jahrhundert. Braunschweig, 1895, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/beck_eisen02_1895/24>, abgerufen am 28.03.2024.